VGH Baden-Württemberg

Merkliste
Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 14.03.2017 - 11 S 383/17 - asyl.net: M24847
https://www.asyl.net/rsdb/M24847
Leitsatz:

1. Auch ein regelmäßiger begleiteter Umgang deutet grundsätzlich auf eine familiäre Lebensgemeinschaft im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 4 AufenthG hin.

2. In Fällen, in denen lediglich ein seltener begleiteter Umgang stattfindet, sind die Hintergründe für die Entscheidung der Eltern bzw. des Familiengerichts für diese Umgangsform in den Blick zu nehmen.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: familiäre Lebensgemeinschaft, Eltern-Kind-Verhältnis, Umgangsrecht, Umgang, begleiteter Umgang,
Normen: AufenthG § 28 Abs. 1 S. 4, GG Art. 6, GG Art. 6 Abs. 1, GG Art. 6 Abs. 2 S. 2,
Auszüge:

[...]

Bei der Bewertung der familiären Beziehungen kommt es in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob eine Hausgemeinschaft vorliegt und ob die von einem Familienmitglied tatsächlich erbrachte Lebenshilfe auch von anderen Personen erbracht werden könnte (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 18.04.1989 - 2 BvR 1169/84 -, BVerfGE 80, 81 <95>; und vom 09.01.2009 - 2 BvR 1064/08 -, NVwZ 2009, 387 <388>). Die Entwicklung eines Kindes wird nicht nur durch quantifizierbare Betreuungsbeiträge der Eltern, sondern auch durch die geistige und emotionale Auseinandersetzung geprägt, was im Rahmen ausländerrechtlicher Entscheidungen zu berücksichtigen ist (BVerfG, Kammerbeschluss vom 08.12.2005 - 2 BvR 1001/04 -, BVerfGK 7, 49 <56> m.w.N.). Die familiäre (Lebens-)Gemeinschaft zwischen einem Elternteil und seinem minderjährigen Kind ist getragen von tatsächlicher Anteilnahme am Leben und Aufwachsen des Kindes. Im Falle eines regelmäßigen Umgangs des ausländischen Elternteils, der dem auch sonst Üblichen entspricht, wird in der Regel von einer familiären Gemeinschaft auszugehen sein (BVerfG, Kammerbeschluss vom 08.12.2005 - 2 BvR 1001/04 -, BVerfGK 7, 49 <58>, vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 01.12.2008 - 2 BvR 1830/08 -, BVerfGK 14, 458). Bei Umgangskontakten unterscheidet sich die Eltern-Kind-Beziehung typischerweise deutlich von dem Verhältnis des Kindes zur täglichen Betreuungsperson. Dass der Umgangsberechtigte nur ausschnittsweise am Leben des Kindes Anteil nehmen kann und keine alltäglichen Erziehungsentscheidungen trifft, steht der Annahme einer familiären Lebensgemeinschaft nicht entgegen. Es ist insbesondere im Einzelfall zu würdigen, in welcher Form die Elternverantwortung ausgeübt wird und welche Folgen eine endgültige oder vorübergehende Trennung für die gelebte Eltern-Kind-Beziehung und das Kindeswohl hätte (BVerfG, Kammerbeschluss vom 01.12.2008 - 2 BvR 1830/08 -, BVerfGK 14, 458 <464 f.>).Bei der Bewertung des "sonst Üblichen" ist auch in den Blick zu nehmen, ob das Verhältnis der Eltern der Kinder einem intensiveren Umgang - noch - im Wege steht und ob - bei objektiv allgemeiner Betrachtung geringem Kontaktumfang zwischen Elternteil und Kind - eine für das Kind günstige Entwicklung der Ausgestaltung des Umgangs eingesetzt hat. Gerade in Fällen, in denen es bislang lediglich zu einem begleiteten Umgang kommt, sind die Hintergründe der Entscheidung der Eltern - oder des Familiengerichts - für diese Umgangsform in den Blick zu nehmen. Auch ein regelmäßiger begleiteter Umgang führt dabei grundsätzlich auf eine familiäre Lebensgemeinschaft im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 4 AufenthG. [...]