VG Augsburg

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Zitieren als:
VG Augsburg, Urteil vom 31.03.2017 - Au 5 K 16.32765 - asyl.net: M24892
https://www.asyl.net/rsdb/M24892
Leitsatz:

1. Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach Art. 60 Abs. 5 AufenthG für eine Familie mit drei kleinen Kindern aus Mali, da sie nicht in der Lage wären, im Falle ihrer Rückkehr nach Mali ihren Lebensunterhalt ausreichend zu sichern.

2. Da Familienmitglieder aufgrund des Schutzes von Ehe und Familie nach Art. 6 GG nur gemeinsam mit ihren Kindern und ihrem Ehepartner in ihren Heimatstaat zurückkehren können, kommt es bei der Frage der Lebensunterhaltssicherung im Zielstaat auf die Möglichkeit der Existenzsicherung aller Familienmitglieder an.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Mali, Existenzminimum, Existenzgrundlage, Genitalverstümmelung, humanitäre Gründe, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, Achtung des Familienlebens, Sicherung des Lebensunterhalts, Kinder,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 5, EMRK Art. 3, GG Art. 6
Auszüge:

[...]

13 Die zulässigen Klagen sind begründet. Klagegegenstand war nach der Beschränkung des Klageantrags nur noch die Feststellung nationaler Abschiebungsverbote. Die Kläger haben einen Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der angefochtene Bescheid des Bundesamts vom 24. November 2016 war aufzuheben, soweit er dem entgegensteht. [...]

15 Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes können schlechte humanitäre Bedingungen eine auf eine Bevölkerungsgruppe bezogene Gefahrenlage darstellen, die zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK führt (vgl. BayVGH, B.v. 30.9.2015 - 13A ZB 15.30063 - juris Rn. 5; U.v. 21.11.2014 - 13A B 14.30284 - Asylmagazin 2015, 197; U.v. 21.11.2014 - 13A B 14.30285 -- InfAuslR 2015, 212). Bei der Rückkehr der Kläger ist dies angesichts der in Mali derzeit herrschenden Rahmenbedingungen unter Berücksichtigung der Auskunftslage nach Überzeugung des Gerichts der Fall.

16 Zwar ist in der Gesamtschau der ins Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnismittel nicht davon auszugehen, dass jeder Rückkehrer nach Mali generell in unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit den Tod oder schwerste Gesundheitsschäden bei einer Rückführung nach Afghanistan erleiden müsste. Insbesondere besteht nach der Rechtsprechung der Kammer für alleinstehende, junge und arbeitsfähige Männer vor allem im Süden Malis in aller Regel die Möglichkeit, sich eine neue Existenz aufzubauen (vgl. VG Augsburg, U.v. 20.2.2017 Au 5 K 16.32100 - juris Rn. 33; U.v. 13.2,2017 - Au 5 K 16.32802 - juris Rn. 24). Vorliegend kann für die Frage, ob ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG besteht, jedoch nicht ausschließlich auf den Kläger zu 1 abgestellt werden. Bei der Beurteilung, ob eine extreme Gefahrenlage bei einer Rückkehr nach Mali besteht, ist zu beachten, dass Familienangehörige wegen des Schutzes von Ehe und Familien nach Art. 6 Grundgesetz (GG) nur gemeinsam mit ihren Kindern und ihrem Ehepartner in ihren Heimatstaat zurückkehren können (vgl. BVerfG, B.v. 5.6.2013 2 BvR 586/13 - juris). Ihre einzelne und isolierte Rückkehr ist weder realistisch noch von Rechts wegen einzufordern. Bei einer Rückkehr nach Mali geht es damit nicht nur um die Sicherstellung des Lebensunterhalts des Klägers zu 1. Bei der Beantwortung der Frage, ob das Existenzminimum am Zufluchtsort gesichert sein wird, sind alle Familienmitglieder bzw. der Familienverband insgesamt zu berücksichtigen (VG Augsburg, U.v. 24.5.2012 - Au 6 K 11.30369 - juris Rn. 29). Damit können auch bestehende Unterhaltspflichten des Klägers zu 1 gegenüber seiner Ehefrau, der Klägerin zu 2, und seinen minderjährigen Kindern nicht unberücksichtigt bleiben (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2014 - 13A B 14.30285 - juris R.n. 21). Bei der anzustellenden Prognose, welche Gefahren dem Asylbewerber im Falle einer Abschiebung in dessen Heimatstaat drohen, ist regelmäßig von einer gemeinsamen Rückkehr aller Familienangehörigen auszugehen. Nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen, wie bei Angehörigen, die als politisch Verfolgte Abschiebungsschutz genießen, könnte eine andere Betrachtung geboten sein (BVerwG, U.v. 21.9.1999 - 9 C 12199 - juris Rn. 11). Ein derartiger Ausnahmefall ist hier nicht zu erkennen.

17 Es ist davon. auszugehen, dass der Kläger zu 1 und dessen Ehefrau, die zukünftig drei minderjährige Kinder, darunter ein Neugeborenes zu versorgen haben, als Rückkehrer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach der Rückkehr in eine extreme Gefahrenlage geraten würden, die eine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich als unzumutbar erscheinen lässt. [...]