VG Freiburg

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Zitieren als:
VG Freiburg, Beschluss vom 02.02.2017 - 4 K 303/17 - asyl.net: M24958
https://www.asyl.net/rsdb/M24958
Leitsatz:

Ablehnung der einstweiligen Anordnung einer vorläufigen Ausbildungsduldung:

1. Auch im Vorfeld des tatsächlichen Ausbildungsbeginns kann das Tatbestandsmerkmal der "Aufnahme" der Ausbildung nach § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG gegeben sein, insbesondere wenn ein Ausbildungsvertrag bereits abgeschlossen wurde (ausdrücklich entgegen der Gesetzesbegründung, unter Bezug auf VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 13.10.2016 - 11 S 1991/16 - asyl.net: M24317, Asylmagazin 12/2016).

2. Wenn die Ausbildung allerdings erst sechs Monate nach Abschluss eines Ausbildungsvertrages beginnen soll, reicht dieser für die Annahme der "Aufnahme" der Ausbildung nicht aus.

3. Vor Aufnahme einer Ausbildung bedarf es der Erlaubnis zur Ausübung einer Beschäftigung.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Ausbildungsduldung, Ausbildungsbeginn, Ausbildungsvertrag, Aufnahme, Arbeitserlaubnis,
Normen: AufenthG § 60a Abs. 2 S. 4, AufenthG § 60a, AufenthG § 60a Abs. 2 S. 3, § 60a Abs. 2 S. 4, AufenthG § 4 Abs. 3 S. 3, AufenthG § 42 Abs. 2 Nr. 5, BeschV § 32 Abs. 2 Nr. 2,
Auszüge:

[...]

Allerdings hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht, dass er zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts die qualifizierte Berufsausbildung bereits "aufnimmt" im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG.

Zwar setzt der Begriff der "Aufnahme" der Ausbildung nicht voraus, dass die Ausbildung bereits tatsächlich inder Weise begonnen wurde, dass sich der Betroffene an seinem Ausbildungsplatz eingefunden hat. Zwar mag die Gesetzesbegründung vordergründig für eine derartige restriktive Auslegung sprechen, wenn es dort heißt, der Ausländer nehme die Berufsausbildung auf, indem er " [...] zu dem Zweck der im Berufsausbildungsvertrag bezeichneten Ausbildung die Tätigkeit bei der Ausbildungsstätte beginnt" (BT-Drs. 18/9090, S. 26). Wäre aber die tatsächliche Aufnahme der Ausbildung Voraussetzung für die Erteilung einer Ausbildungsduldung, liefe die Vorschrift weitestgehend leer (vgl. zum Folgenden VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 13.10.2016 - 11 S 1991/16 -, juris). Denn dann müssten Ausbilder und Auszubildender mit der konkreten Ausbildung tatsächlich begonnen haben, damit der Ausländer in den Genuss der Ausbildungsduldung gelangt, während andererseits der Ausbildende als Arbeitgeber den Betreffenden ohne entsprechende Duldung nicht beschäftigen und daher die Ausbildungsmaßnahme gerade nicht beginnen dürfte. Auch der Umstand, dass es, soweit man die Aufnahme der Ausbildung an den tatsächlichen Beginn der Tätigkeit knüpft, kaum einen Moment auf der Zeitachse geben dürfte, in welchem der Betreffende die Ausbildung "aufnimmt", aber noch nicht "aufgenommen hat", legt eine Interpretation dahingehend nahe, dass die Aufnahme der Ausbildung bereits vor tatsächlichem Ausbildungsbeginn liegen kann. Schließlich spricht auch die Intention des Gesetzes, geduldeten Ausländern im geordneten Rahmen eine neue Perspektive zu eröffnen und zudem der Wirtschaft zusätzliche Fachkräfte zukommen zu lassen, gegen eine restriktive Auslegung der Norm. Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, für die Frage, ob der Betreffende eine Ausbildung "aufnimmt", dem Abschluss eines Ausbildungsvertrages besondere Bedeutung beizumessen, wie es auch der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (Beschluss vom 13.10.2016, a.a.O.; ähnlich auch Nieders. OVG, Beschluss vom 09.12.2016 - 8 ME 184/16 -, juris) getan hat.

Der Umstand, dass der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in dem von ihm zu entscheidenden Fall (nur) auf das Vorliegen eines Ausbildungsvertrages abgestellt hat, besagt auf der anderen Seite jedoch nicht, dass der zeitlichen Nähe des Antrags auf Duldungserteilung zum tatsächlichen Ausbildungsbeginn keine Bedeutung zuzumessen wäre. Zwar wäre es mit Blick auf den üblicherweise längeren organisatorischen Vorlauf vor dem regelmäßig im Herbst liegenden tatsächlichen Ausbildungsbeginn aus Sicht der betroffenen Unternehmen sicherlich wünschenswert, den Duldungsanspruch bereits an den Abschluss eines Ausbildungsvertrages zu knüpfen; diese rechtspolitischen Überlegungen aber haben in die Regelung des § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG, die die Ausbildungsduldung ausdrücklich von der Aufnahme der Ausbildung abhängig macht, keinen Eingang gefunden. Zwar lässt sich, die Existenz eines Ausbildungsvertrages vorausgesetzt, vor dem Hintergrund der obigen Erwägungen von der Aufnahme der Ausbildung auch dann ausgehen, wenn das Ausbildungsjahr "erst in ein paar Wochen beginnt" (HTK-AuslR, Stand 09.01.2017, § 60a AufenthG, zu Abs. 2 Satz 4, Rn. 15) oder der Ausbildungsbeginn erst "demnächst zu erwarten ist" (Nieders. OVG, Beschluss vom 09.12.2016 - 8 ME 184/16 -, juris). Vorliegend jedoch soll das Ausbildungsverhältnis bei der ... erst am 01.08.2016, vom Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung aus also in einem halben Jahr, beginnen. Ohne dass es darauf ankäme zu klären, wo genau die zeitliche Grenze einer "Aufnahme" des Ausbildungsverhältnisses zu ziehen ist, lässt sich jedenfalls bei einem zeitlichen Vorlauf von einem halben Jahr wie vorliegend nicht davon ausgehen, bereits derzeit nehme der Antragsteller, der gegenwärtig noch die allgemeinbildende Schule besucht, für eine Berufsausbildung mithin gar nicht zur Verfügung stünde, seine Ausbildung auf.

Ferner begründet nach Auffassung der Kammer nicht allein die faktische Aufnahme einer Berufsausbildung einen Anspruch auf Duldung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG. Vielmehr muss die Aufnahme der Ausbildung durch den Ausländer entsprechend den Vorgaben des Ausländerrechts erfolgen. [...]

Ausländer, die im Besitz einer Duldung - und damit keines die Ausübung einer Erwerbstätigkeit erlaubenden Aufenthaltstitels im Sinne von § 4 Abs. 2, 3 AufenthG - sind, dürfen eine Erwerbstätigkeit daher gemäß § 42 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG, § 32 BeschV nur auf Grundlage einer entsprechenden Erlaubnis durch die Ausländerbehörde ausüben, deren Erteilung grundsätzlich in deren Ermessen steht. Der Antragsteller hätte folglich ungeachtet dessen, dass die qualifizierte Berufsausbildung keiner Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit bedarf (§ 4 Abs. 3 Satz 3, § 42 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG i.V.m. § 32 Abs. 2 Nr. 2 BeschV), vor Aufnahme seiner Ausbildung eine Erlaubnis der Ausländerbehörde einholen müssen. Am Erfordernis einer vorherigen Erlaubnis zur Ausübung einer Beschäftigung vermag auch § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG nichts zu ändern. Die Einfügung von § 60a Abs. 2 Sätze 4 ff. AufenthG soll Geduldeten und ausbildenden Betrieben für die Zeit der Ausbildung und einen begrenzten Zeitraum danach mehr Rechtssicherheit verschaffen und das aufenthaltsrechtliche Verfahren vereinfachen, indem eine Duldung für den gesamten Zeitraum der Ausbildung erteilt wird (vgl. BT-Drs. 18/8615 S. 48); dagegen lässt sich der Regelung des § 60a Abs. 2 Sätze 4 ff. AufenthG keinerlei Hinweis darauf entnehmen, dass der Erlaubnisvorbehalt der Ausländerbehörde im Falle der Aufnahme einer Ausbildung nicht zum Tragen kommen und auch eine ohne Zustimmung der Ausländerbehörde begonnene Ausbildung einen Anspruch auf Duldung begründen sollte (wie hier Bayer. VGH, Beschluss vom 15.12.2016 - 19 CE 16.2025 -, juris; Nieders. OVG, Beschluss vom 09.12.2016 - 8 ME 184/16 -, juris; VG Freiburg, Beschluss vom 11.10.2016 - 4 K 3553/16 -, juris; Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 01.11.2016 - M3 -20010/5#18 - an die Innenministerien und Senatsverwaltungen für Inneres der Länder; wohl auch VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 13.10.2016 - 11 S 1991/16 -, juris; offen gelassen von VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 04.01.2017 - 11 S 2301/16 -, juris). [...]