VG Stuttgart

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Zitieren als:
VG Stuttgart, Beschluss vom 03.02.2017 - 11 K 8599/16 - asyl.net: M25108
https://www.asyl.net/rsdb/M25108
Leitsatz:

1. Ein die Hauptsache vorwegnehmender Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt unter dem Gesichtspunkt der Notwendigkeit der Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) nur dann in Betracht, wenn ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache ohne den Erlass der einstweiligen Anordnung zu schlechterdings unzumutbaren Nachteilen für den Antragsteller führen würde, die auch bei einem Erfolg in der Hauptsache nicht mehr zu beseitigen wären, und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass der mit der Hauptsache verfolgte Anspruch begründet ist.

2. Der Umstand, dass der Ausländer aus Altersgründen die ausländische Staatsangehörigkeit noch nicht aufgeben kann, unterfällt nicht § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StAG (juris: RuStAG), sondern ist dem § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StAG (juris: RuStAG) zuzurechnen.

3. Das Verlangen der Volljährigkeit einer Person, die die Entlassung aus der ausländischen Staatsangehörigkeit begehrt, ist eine abstrakt zumutbare Entlassungsbedingung.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Einbürgerung, Volljährigkeit, minderjährig, Zumutbarkeit, Aufgabe der Staatsangehörigkeit, Leistungssportler, Kenntnisse über die Rechts- und Gesellschaftsordnung, Gymnasium, Schulbesuch,
Normen: StAG § 10, StAG § 12, StAG § 12 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, StAG § 12 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, StAG § 8
Auszüge:

[...]

Nach diesen Grundsätzen steht dem Erlass der von der Antragstellerin begehrten einstweiligen Anordnung entgegen, dass sie nicht eine im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 123 VwGO nur mögliche vorläufige Regelung, sondern eine endgültige Befriedigung des Hauptsacheanspruchs begehrt. Der Erlass der von der Antragstellerin begehrten einstweiligen Anordnung würde dazu führen, dass dem auf Einbürgerung in den deutschen Staatsverband gerichteten Begehren endgültig und irreversibel entsprochen würde; dies widerspräche dem bloßen Sicherungszweck des Verfahrens nach § 123 VwGO. Der Antragstellerin entstehen durch die Ablehnung der einstweiligen Anordnung auch keine schweren und unzumutbaren Nachteile. Die Stützpunktleiterin des Nationalmannschaftszentrums Bundes- und Landesleistungszentrum - Rhythmische Sportgymnastik - in F. teilte mit Schreiben vom 28.07.2016 mit, im Falle einer Einbürgerung der Antragstellerin würde deren sportliche Leistung erneut beurteilt und sie werde bei entsprechender sportlicher Eignung in das Nationalmannschaftszentrum zurückgeholt und in das Training am Nationalmannschaftszentrum eingegliedert. Im Hinblick auf diese Stellungnahme ist ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache nicht mit unzumutbaren Nachteilen für die Antragstellerin verbunden. Soweit die Antragstellerin befürchtet, durch weitere Zeitverluste aus dem Nationalteam vollkommen ausgeschlossen zu werden, hat sie unzumutbare Nachteile nicht glaubhaft gemacht. Sie hat es vielmehr selbst in der Hand, für den Fall der Einbürgerung ab dem 18. Lebensjahr ihr sportliches Leistungsniveau bis zu einer Wiederaufnahme in das Nationalmannschaftszentrum durch kontinuierliches Training beim derzeitigen Verein TSV S. zu erhalten oder sogar zu steigern. [...]

Inhalt der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG) jedenfalls in Ansätzen kennt (vgl. HTK-StAR / § 10 StAG / zu Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Stand: 26.10.2016, Rn. 28 m.w.N.). Der Antragsgegner hat auch zutreffend dargelegt, dass sich die Antragstellerin auf einen Ausnahmetatbestand des § 12 StAG nicht berufen kann. Der Umstand, dass der Ausländer aus Altersgründen die ausländische Staatsangehörigkeit noch nicht aufgeben kann, unterfällt nicht § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StAG, sondern ist dem § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Alt. 2 StAG zuzurechnen (vgl. HTK-StAR / § 12 StAG / zu Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Alt. 2, Stand: 02.09.2016, Rn. 76). Das Verlangen der Volljährigkeit einer Person, die die Entlassung begehrt, ist eine abstrakt zumutbare Entlassungsbedingung (vgl. HTK-StAR a.a.O. Rn. 80). Die Entlassungsvoraussetzung des Erreichens der Volljährigkeit ist im vorliegenden Fall auch keine konkret-individuell unzumutbare Entlassungsvoraussetzung. Denn die Eltern der Antragstellerin besitzen ersichtlich nicht die deutsche Staatsangehörigkeit. Ein Gleichklang zwischen den staatsangehörigkeitsrechtlichen Verhältnissen der Eltern und derjenigen der minderjährigen Antragstellerin würde durch die begehrte Einbürgerung gerade nicht erreicht. Außerdem ist die Antragstellerin nur noch wenige Monate von der Volljährigkeitsgrenze entfernt und hat hinreichende Bindungen an den Staat ihrer Staatsangehörigkeit. Das mit der Altersbeschränkung verbundene Entlassungshindernis wirkt sich im Falle der Antragstellerin nur vorübergehend und nicht dauerhaft aus. Bei Abwägung aller Belange vermag das Gericht nicht zu erkennen, dass im Falle der Antragstellerin die Entlassungsvoraussetzung des Erreichens der Volljährigkeit eine konkret-individuell unzumutbare Entlassungsvoraussetzung darstellt. Damit dürfte auch die Erteilungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StRG nicht erfüllt sein. [...]