VG Köln

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Zitieren als:
VG Köln, Beschluss vom 28.06.2017 - 5 L 2191/17 - asyl.net: M25184
https://www.asyl.net/rsdb/M25184
Leitsatz:

Die Eltern eines Jugendlichen von 17,5 Jahren, der im Besitz einer Ausbildungsduldung ist, haben keinen Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung, weil der Jugendliche eigenständig in Deutschland leben kann oder die familiäre Lebensgemeinschaft auch im Herkunftsland Kosovo gelebt werden kann. In diesem Fall ist die Ausreise bereits dann zumutbar, wenn ein Familienmitglied eine Aufenthalts- oder Niederlassungserlaubnis hat und erst recht, wenn es nur eine Duldung hat.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Ausbildungsduldung, Achtung des Familienlebens, familiäre Lebensgemeinschaft, Duldung, familiäre Bindung, Kosovo, Kinderrechtskonvention,
Normen: VwGO § 123 Abs. 1 S. 1, AufenthG § 60a Abs. 2 S. 1, GG Art. 6,
Auszüge:

[...]

Ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis ergibt sich vorliegend auch nicht aus Art. 6 GG.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gewährt Art. 6 GG keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt. Allerdings verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des den (weiteren) Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, das heißt entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. [...]

Voraussetzung für das Vorliegen eines Abschiebehindernisses ist demnach grundsätzlich, dass es um die Trennung von Personen geht, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten. Berechtigterweise halten sich Ausländer mit einem Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet auf. Ausnahmsweise kann der Besitz einer Duldung jedoch genügen, um ein Abschiebehindernis von Familienangehörigen zu begründen (vgl. VGH BW, Beschluss vom 09.03.2005 - 13 S 1815/04 -). [...]

Dabei drängt die Pflicht des Staates zum Schutz der Familie einwanderungspolitische Belange erst dann zurück, wenn die gelebte Familiengemeinschaft nur in der Bundesrepublik Deutschland stattfinden kann, etwa weil besondere Umstände demjenigen Mitglied dieser Gemeinschaft, zu dem der Ausländer eine außergewöhnlich enge Beziehung hat, ein Verlassen der Bundesrepublik unzumutbar machen. Handelt es sich hierbei um ein Kind, ist maßgeblich auf dessen Perspektive abzustellen (BVerwG, Urteil vom 30.07.2013 - 1 C 15.12 -, juris).

Dies zugrunde gelegt, ist ein Abschiebehindernis hier nicht glaubhaft gemacht.

Soweit es um die eheliche Lebensgemeinschaft der Antragsteller untereinander geht, ist bereits nicht ersichtlich, dass diese getrennt abgeschoben werden würden. Es ist unabhängig davon auch nicht glaubhaft gemacht, dass eine Trennung der Antragsteller voneinander für einen überschaubaren Zeitraum nicht zumutbar wäre.

Soweit die Antragsteller die Unzumutbarkeit ihrer Abschiebung mit dem Aufenthalt des am … 1999 geborenen und damit ca. 17 1/2-jährigen Sohnes ..., der im Bundesgebiet über eine Ausbildungsduldung verfügt, begründen wollen, ist dem unter Würdigung der Gesamtumstände hier im Einzelfall nicht zu folgen.

Dabei kann offen bleiben, ob die Ausbildungsduldung, die nicht die Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes begründet, sondern nur die Aussetzung der Abschiebung für die Zeit der Ausbildung bedeutet, einen Ausnahmefall zum berechtigten Aufenthalt im vorstehenden Sinne begründet.

Denn jedenfalls haben die Antragsteller die Einschätzung der Antragsgegnerin, der Sohn sei aufgrund seines Alters, seiner Integration in die deutschen Lebensverhältnisse und seiner Persönlichkeit, wie er sie in der Vergangenheit in Kontakten mit der Ausländerbehörde der Antragsgegnerin gezeigt habe, in der Lage, bis zum Eintritt der Volljährigkeit eigenständig im Bundesgebiet zu leben, nicht widerlegt. Sie haben nicht glaubhaft gemacht, dass und aus welchen Gründen der Sohn zwingend auf den Aufenthalt der Antragsteller für die Monate bis zu seiner Volljährigkeit - oder ggf. auch darüber hinaus - angewiesen wäre.

Dem Sohn der Antragsteller ist auch die Ausreise zusammen mit den Antragstellern zumutbar, soweit die Antragsteller ihr Aufenthaltsbestimmungsrecht dahingehend ausüben.

Allein aus der Innehabung eines Aufenthaltsrechts eines Familienmitgliedes lässt sich noch nicht ableiten, dass diesem die Ausreise mit einem anderen Familienmitglied zur Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft im Herkunftsland unzumutbar wäre (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 24.07.2013 - 18 B 411/12 -, juris, Rn. 5 (m.w.N.). [...]

Dies gilt für den hier vorliegenden Fall, in dem der Sohn der Antragsteller lediglich über eine Ausbildungsduldung verfügt, die ihm weniger Schutz als eine Aufenthalts- oder Niederlassungserlaubnis bietet, erst recht.

Entscheidend ist vielmehr, ob die familiäre Lebensgemeinschaft auch im Herkunftsland gelebt werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.04.2009 - 1 C 3.08 -, juris, Rn. 18).

Dies ist vorliegend anzunehmen. Der Sohn der Antragsteller hat die prägenden Jahre seiner Kindheit im Kosovo verbracht. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass er nicht über hinreichende Sprachkenntnisse verfügen würde oder die Wiedereingliederung in die dortige Gesellschaft nicht möglich wäre. Allein die mögliche Verschlechterung hinsichtlich der wirtschaftlichen Situation und der beruflichen Möglichkeiten begründet eine Unzumutbarkeit im vorstehenden Sinne nicht.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der UN-Kinderrechtskonvention, auf die die Antragsteller zuletzt verweisen. Zunächst ist die Annahme nicht nachvollziehbar, dass es zu einer "zwangsweisen Trennung" zu ihrem Sohn käme. Denn es ist nichts dafür glaubhaft gemacht oder sonst ersichtlich, dass die Antragsteller nicht das Aufenthaltsbestimmungsrecht für den Sohn ausüben und diesen mitnehmen oder ggf. kurz nach der Abschiebung zu sich holen könnten. [...]