1. Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft eines ehemaligen afghanischen Polizisten wegen drohender (erneuter) Verfolgung durch die Taliban bei Rückkehr nach Afghanistan.
2. Für Personen, die ein deutlich erhöhtes Risikoprofil aufweisen, besteht in Afghanistan kein interner Schutz vor Verfolgung durch die Taliban. Die dem Gericht zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel lassen nicht den hinreichend sicheren Schluss zu, dass es einen Landesteil in Afghanistan gibt, der sicher erreicht werden kann und einen sicheren Aufenthaltsort bietet.
(Leitsatz der Redaktion)
[...]
2. Der Kläger erlitt damit unmittelbar vor seiner Ausreise aus Afghanistan durch nichtstaatliche Akteure i.S.v. § 3c Nr. 3 AsylG eine Verfolgung i.S.v. § 3a Abs. 2 Nr. 1 AsylG, die an die ihm von den nichtstaatlichen Akteuren zugeschriebene politische Überzeugung i.S.v. § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG anknüpfte.
Dem Kläger wurde im vorliegenden Einzelfall nach Überzeugung des Einzelrichters von den ihn verfolgenden Taliban (§ 3c Nr. 3 AsylG) eine gegen deren Organisation gerichtete abweichende politische Überzeugung nach § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG zumindest zugeschrieben, § 3b Abs. 2 AsylG. Der Kläger hat jedenfalls durch die Polizeidiensttätigkeit deutlich gegenüber den Taliban zu erkennen gegeben, dass er sich als Mitglied der afghanischen Polizei gegen die Handlungen und Ziele der Taliban wendet (vgl. VG Würzburg, U.v. 17.3.2017 - W 1 K 16.30817 - juris Rn. 19). Durch die frühere Verweigerung der Unterstützung der Taliban (Versorgung von deren Verletzten) war der Kläger zusätzlich "ins Visiert" der Taliban geraten. Der Vortrag des Klägers-steht insoweit auch in Einklang mit der Erkenntnislage des Gerichts zu Afghanistan, wonach Regierungs- und Behördenmitarbeiter sowie Angehörige der Sicherheitskräfte und des Militärs in besonderer Weise gefährdet sind, sowohl innerhalb als auch außerhalb des Diensts Opfer von Anschlägen durch die Taliban zu werden; dies gilt auch für ehemalige Mitarbeiter.
3. Bei dem vorverfolgt aus Afghanistan ausgereiste Kläger sind weder stichhaltige Gründe dafür ersichtlich, noch wurden solche von der Beklagten substantiiert vorgetragen, dass der Kläger bei seiner Rückkehr nach Afghanistan nicht erneut einer flüchtlingsschutzrelevanten Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt wäre. Dabei ist Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU (sog. Qualifikations-Richtlinie) ergänzend anzuwenden (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 2 und § 3e Abs. 2 Satz 1 AsylG), wonach die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits vorverfolgt wurde, ein ernsthafter Hinweis darauf ist, dass seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, es sprechen stichhaltige Gründe dagegen, dass der Asylantragsteller erneut von solcher Verfolgung bedroht wird. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei und ist bei der Auslegung des Begriffs der "begründeten Furcht vor Verfolgung" i.S.v. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG zu berücksichtigen. [...]
Ebenso wenig kann Kläger auf internen Schutz i.S.v. § 3e AsylG verwiesen werden. Er weist auf Grund der individuellen Umstände, die zu seiner Vorverfolgung führten, ein deutlich erhöhtes Risikoprofil dafür auf, erneut Opfer gezielter Nachstellungen und möglicher Angriffe der Taliban zu werden. Die dem Gericht zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel lassen nicht den hinreichend sicheren Schluss zu, dass es in Afghanistan (auch nicht in Kabul) einen erreich- und für den Aufenthalt des Klägers zumutbaren Landesteil i.S.v. § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG geben würde, in dem für den Kläger bei Berücksichtigung des Rechtsgedankens der Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU eine ausreichende Sicherheit vor erneuter Verfolgung durch die Taliban gegeben wäre. [...]