VG Braunschweig

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Zitieren als:
VG Braunschweig, Urteil vom 28.10.2016 - 7 A 107/16 - asyl.net: M25501
https://www.asyl.net/rsdb/M25501
Leitsatz:

Zuerkennung von subsidiärem Schutz aufgrund der Annahme eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts in Burundi. Die sich verschlechternde Sicherheitslage in Burundi begründet beachtliche Wiederaufgreifensgründe in einem Zweitverfahren (sich anschließend an VG Hannover, Urteil vom 30.09.2015, -10 A 10743/14 -, asyl.net: M24059).

(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Burundi, innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, Zweitantrag, subsidiärer Schutz, Änderung der Sachlage,
Normen: AsylG § 4, AsylG § 71a, VwVfG § 51 Abs. 1 Nr. 1, AsylG § 4 Abs. 1, AsylG § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 3,
Auszüge:

[...]

Dem Kläger ist subsidiärer Schutz gemäß § 4 Abs. 1 AsylG zu gewähren. Insoweit begründet die sich verschlechternde Sicherheitslage in Burundi beachtliche Wiederaufgreifensgründe im Sinne des § 71a AsylG i. V. m. § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG.

Eine nachträgliche Änderung der Sachlage im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG ist anzunehmen, da sich die Sicherheitslage in Burundi seit der Ankündigung Präsident Nkurunzizas am 26.04.2015 für eine dritte Amtszeit zu kandidieren und mithin nach der Entscheidung der belgischen Behörden über den letzten Asylantrag des Klägers im Jahr 2013 erheblich verschlechtert hat. [...]

Eine etwaige Stabilisierung der Lage ist bis heute nicht eingetreten. [...]

Die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 AsylG liegen vor, da dem Kläger aufgrund der gegenwärtigen gewaltsamen Zusammenstöße zwischen oppositionellen und staatlichen Milizen in Burundi bei seiner Rückkehr eine ernsthafte individuelle Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen dieses innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG droht. [...]

Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG liegt vor, weil sich die Aktivitäten der oppositionellen Gruppen in Burundi nicht auf bloße Meinungskundgaben und politische Willensbildung beschränken, sondern auch Angriffe auf Regierungsvertreter und willkürliche Straßensperren ein erhebliches Maß an Gewaltausübung zeigen und regierungsnahe Einheiten darauf wiederum mit erheblicher Gewaltanwendung auch gegen die Zivilbevölkerung reagieren (Human Rights Watch, Burundi's Human Rights Crisis, 2016):

"The crisis erupted in April 2015 when President Nkurunziza announced he would seek a controversial third term in office. His decision triggered widespread public protests, which the police brutally repressed. Armed opposition groups have also increasingly resorted to violence. While Burundi's security forces are targeting anyone deemed critical of the government, it has been difficult to identify who is responsible for some of the killings. The country is gripped by a climate of fear, distrust and lawlessness."

Ferner treten die Aktivitäten der Jugendmiliz Imbonerakure der Regierungspartei CNDD-FDD hinzu, deren Mitglieder willkürliche Gewalt gegen die Zivilbevölkerung ausüben. Sie sind teilweise bewaffnet und unterliegen keiner staatlichen Kontrolle (Agence France-Presse, Terror-stricken Burundi refugees see no hope of return, 24.09.2015):

"The Imbonerakure are the great 'fear' of 'traumatised' refugees (...). (...) Inside Burundi, 'the Imbonerakure enter houses at night and if you don't side with the ruling party, they drag you out and kill you' (...). At just 21, Terence has fled conflict three times, to Tanzania in 1993 and 1998, then to the DRC last June. He says his parents were killed by the Imbonerakure."

Der innerstaatliche bewaffnete Konflikt begründet auch eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit von Zivilpersonen in Burundi, der diese allein durch ihre Anwesenheit im Konfliktgebiet ausgesetzt sind (vgl. auch VG Hannover, Urteil vom 30.09.2015, -10 A 10743/14 -, juris).

Zwar dürfte sich eine hinreichend verdichtete Gefahrenlage nach wie vor nicht bereits aus der quantitativen Gegenüberstellung der Todesopfer bezogen auf die Zivilbevölkerung ergeben. So berichtet beispielsweise Amnesty International von mindestens 400 Menschen, die in der zweiten Jahreshälfte 2015 dem Konflikt zum Opfer gefallen seien (Amnesty International Report 2015/2016 - The State of the World's Human Rights - Burundi, 24.02.2016), was auf die Gesamtzivilbevölkerung gerechnet - singulär quantitativ - eine hinreichende Verdichtung der Gefahrenlage nicht begründen dürfte. Jedoch ergibt sich eine solche aus der Intensität der dokumentierten Gewalt, der Menge der flüchtenden Zivilbevölkerung sowie der Einschätzung internationaler Organisationen.

Das UK Foreign and Commenwealth Office berichtet in seinem aktuellen Lagebericht zu Burundi über willkürliche Angriffe auf friedliche Demonstranten (Human Rights and Democracy Report 2015 - Chapter IV: Human Rights Priority Countries - Burundi, 21.04.2016):

"Throughout 2015, there were reports of targeted killings, arbitrary arrests, indiscriminate attacks, torture, enforced disappearances, and violence against peaceful protestors, carried out by the police, Service Nationale de Renseignements (SNR - Burundis intelligence agency), and Inbonerakure, the ruling party's youth militia. (...) Looking to 2016, we are extremely concerned about the possibility of further deterioration in the political, economic and security situation in Burundi, additional displacement of people, and increased human rights violations and abuses. Recently there has been a small but significant increase of sexual violence."

Amnesty International berichtet über willkürliche Angriffe, die nicht an eine tatsächliche oppositionelle Betätigung anknüpfen würden und die in der Folge durch staatliche Behörden nicht aufgeklärt worden seien (Amnesty International, Just tell me what to confess to, 24.08.2015). Fast täglich seien Tote im ganzen Land gefunden worden (Amnesty International Report 2015/2016 - The State of the World's Human Rights - Burundi, 24.02.2016):

"Almost daily from September, dead bodies were found in the streets of Bujumbura and occasionally in other parts of the country."

Ähnliches lässt sich dem umfangreichen Bericht von Human Rights Watch (Burundi's Human Rights Crisis, 2016) entnehmen:

"As Burundi descends further into violence, killings, abductions, torture and arbitrary arrests have become a daily occurrence."

Für eine hinreichend verdichtete Gefahrenlage spricht zudem die sehr hohe Zahl an Flüchtlingen, die Burundi aufgrund des anhaltenden Konflikts bereits bis Anfang 2016 verlassen hatten (Amnesty International Report 2015/2016 - The State of the World's Human Rights - Burundi, 24.02.2016):

"More than 230.000 people fled to neighbouring countries. The fragile cohesion between different ethnic groups resulting from the implementation of the Arusha Accords was destabilized by the political crisis. Incendiary rhetoric from high level officials increased tensions towards the end of the year."

Hoffnung auf eine baldige Rückkehr besteht - wie sich den Erkenntnismitteln entnehmen lässt - nicht (vgl. Agence France-Presse, Terror-stricken Burundi refugees see no hope of return, 24.09.2015), da eine kurzfristige Entspannung der Lage weiterhin nicht absehbar ist (Human Rights and Democracy Report 2015 - Chapter IV: Human Rights Priority Countries - Burundi, 21.04.2016). [...]