VG Freiburg

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Zitieren als:
VG Freiburg, Beschluss vom 17.08.2017 - 3 K 5875/17 - asyl.net: M25542
https://www.asyl.net/rsdb/M25542
Leitsatz:

Kein Arbeitsverbot für Personen aus "sicheren Herkunftsstaaten" bei Stellung eines Asylgesuchs vor Stichtag:

Das Arbeitsverbot nach § 60a Abs. 6 S. 1 Nr. 3 AufenthG, welches die Erteilung einer Ausbildungsduldung für Personen aus "sicheren Herkunftsstaaten" ausschließt, wenn sie ihren Asylantrag nach dem Stichtag 31.8.2015 gestellt haben, gilt nicht, wenn Betroffene bis dahin ein (nicht förmliches) Asylgesuch gestellt hatten und eine förmliche Asylantragstellung aus Gründen, die sie nicht zu vertreten haben, noch nicht erfolgt war.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: sichere Herkunftsstaaten, Ausbildungsduldung, Asylantrag, Beurteilungszeitpunkt, Asylantrag, Asylgesuch, Arbeitsverbot, Arbeitserlaubnis, Asylantragstellung, Registrierung, Beschäftigungsverbot, einstweilige Anordnung, Arbeitsgenehmigung, Beschäftigungserlaubnis,
Normen: AufenthG § 60a Abs. 2 S. 4, AsylG § 13, AufenthG § 60a Abs. 6 S. 1 Nr. 3, AsylG § 14 Abs. 1 S. 1, AsylG § 14,
Auszüge:

[...]

3 Das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, die Dringlichkeit der begehrten vorläufigen gerichtlichen Entscheidung, wurde von der Antragstellerin auch unter Berücksichtigung des Gesichtspunktes der Vorwegnahme der Hauptsache hinreichend dargetan. Es drohen wesentliche Nachteile. Ein gerichtliches Hauptsacheverfahren würde keinen hinreichenden Rechtsschutz bieten. Die Antragstellerin beabsichtigt, die Berufsausbildung entsprechend dem mit dem Ausbilder abgeschlossenen Berufsausbildungsvertrag vom .03.2017 am 01.09.2017 aufzunehmen. Vor diesem Hintergrund kann ihr das Abwarten einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren (3 K 5874/17), mit der frühestens in mehreren Monaten zu rechnen ist, nicht zugemutet werden, zumal die naheliegende Gefahr besteht, dass der Ausbilder die Ausbildungsstelle anderweitig vergibt. [...]

5 Da die Antragstellerin nach rechtskräftigem Abschluss ihres Asylverfahrens lediglich geduldet ist, ist Rechtsgrundlage für den von ihr geltend gemachten Anspruch auf Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis § 4 Abs. 2 S. 3 AufenthG i.V.m. § 32 BeschV. Die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis ist auch in den Fällen, in denen der Ausländer eine sogenannte Ausbildungsduldung beanspruchen kann (§ 60 a Abs. 2 S. 4 AufenthG), nicht entbehrlich (vgl. Hessischer VGH, Beschluss vom 21.04.2017 - 3 B 826/17, 3 D 828/17 -, juris; VG Freiburg, Beschluss vom 11.10.2016 - 4 K 3553/16 -, juris; Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 01.11.2016 - M3 -20010/5#18 - an die Innenministerien und Senatsverwaltungen für Inneres der Länder, S. 2; offen gelassen durch VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 04.01.2017 - 11 S 2301/16 -, juris). [...]

Diese Entscheidung steht zwar grundsätzlich im Ermessen der Ausländerbehörde. Die Erlaubnis ist jedoch, sofern - wie im vorliegenden Fall (siehe dazu unten) - ein Anspruch auf Erteilung einer Ausbildungsduldung nach § 60 a Abs. 2 S. 4 AufenthG besteht, im Regelfall zu gewähren, um den mit der Einführung der Ausbildungsduldung verfolgten Zielen Rechnung zu tragen (vgl. VG Neustadt (Weinstraße), Beschluss vom 12.12.2016 - 2 L 993/16.NW -, juris; a. A. wohl Hessischer VGH, Beschluss vom 21.04.2017, a.a.O.). Etwas anderes gilt, sofern die Behörde Umstände vorträgt, die sie zulässigerweise im Rahmen ihrer Ermessenserwägungen der Erteilung der Beschäftigungserlaubnis entgegenhalten könnte (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 27.06.2017 - 11 S 1067/17 -, juris). Dies ist aber hier nicht der Fall. Der Antragsgegner hat die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis allein mit der Begründung abgelehnt, die Erteilung einer Ausbildungsduldung sei nach § 60a Abs. 6 S. 1 Nr. 3 AufenthG ausgeschlossen. Dies ist aber aus den folgenden Gründen nicht der Fall: [...]

10 Dem von der Antragstellerin geltend gemachten Anspruch steht voraussichtlich auch nicht § 60 a Abs. 6 AufenthG entgegen. Insbesondere liegen nach Auffassung der Kammer die Voraussetzungen des § 60a Abs. 6 S. 1 Nr. 3 AufenthG nicht vor. [...] Die Antragstellerin bzw. die sie vertretenden Eltern haben aber aller Voraussicht nach ihren Asylantrag im Sinne dieser Vorschrift nicht nach dem 31.08.2015 gestellt, weil jedenfalls ihr Asylgesuch vom 28.08.2014 als Antragstellung im Sinne dieser Vorschrift anzusehen ist (zur vergleichbaren Vorschrift in § 61 Abs. 2 S. 4 AsylG vgl. VG Freiburg, Beschluss vom 20.01.2016 - 6 K 2967/15 -, abrufbar bei HTK-AuslR/§ 61 AsylG/zu Abs. 2, sowie Beschluss vom 10.08.2017 - 6 K 4934/17 -; HTK-AuslR/§ 61 AsylG/zu Abs. 2, Rn. 22 f.; a. A. Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 08.12.2016 - 8 ME 183/16 -, juris; VG Karlsruhe, Beschluss vom 30.06.2017 - 7 K 8819/17 -, juris). Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

11 Der bloße Wortlaut des § 60 a Abs. 6 S. 1 Nr. 3 AufenthG dürfte dieser Auslegung nicht entgegenstehen. Vielmehr lässt dieser nicht eindeutig erkennen, ob für die Stellung des Asylantrags schon das (nicht förmliche) Nachsuchen um Asyl im Sinne der Legaldefinition des "Asylantrags" in § 13 AsylG ausreicht oder ob damit nur die förmliche Stellung eines Asylantrags beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) gemeint ist, wie sie § 14 AsylG regelt. Auch die Gesetzessystematik dürfte der von der Kammer vorgezogenen Auslegung nicht entgegenstehen. Vielmehr ergibt auch die systematische Auslegung wohl kein eindeutiges Ergebnis.

12 Einerseits differenziert zwar das Asylgesetz an mehreren Stellen zwischen den beiden Begriffen des "Nachsuchens um Asyl" und der (förmlichen) "Stellung des Asylantrags" (vgl. zum "Nachsuchen um Asyl" etwa die Regelungen in §§ 16 Abs. 1 S. 1, 18 Abs. 1, 18a Abs. 1, 19 Abs. 1 AsylG; siehe zur "Asylantragstellung" die Regelungen in §§ 23 Abs. 1 und 2, 24 Abs. 1 S. 2 AsylG; siehe schließlich zur Differenzierung zwischen "Asylnachsuche" und "Asylantragstellung" innerhalb der - allerdings erst ab 24.10.2015 mit Wirkung für die Zukunft in Kraft getretenen [dazu Art. 15 Abs. 1 Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz, BGBl. I, 1722, 1735] neuen Regelung des § 63a Abs. 1 AsylG über die Ausstellung einer "Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender" - sog. BÜMA; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 03.12.1997 - 1 B 219.97 -, NVwZ-RR 1998, 264). Andererseits verwendet das Asylgesetz aber bezüglich der von ihm in § 13 AsylG legal als "Asylantrag" definierten und als "Nachsuchen um Asyl" beschriebenen Handlung eines Asylbewerbers unter anderem auch den Begriff der "Stellung eines Asylgesuchs" (vgl. §§ 20 Abs. 2 S. 1 und Abs. 23 S. 1 AsylG).

13 Aus dem vom Gesetzgeber mit der Novellierung verfolgten Sinn und Zweck der Regelungen der §§ 60 a Abs. 6 S. 1 Nr. 3 AufenthG, 61 Abs. 2 S. 4 AsylG, wie er insbesondere auch den vorliegenden Gesetzesmaterialien zu entnehmen ist, dürfte sich aber voraussichtlich ergeben, dass sich § 60a Abs. 6 S. 1 Nr. 3 AufenthG nicht auf Asylbewerber erstrecken soll, die - wie hier die Antragstellerin - bereits vor Inkrafttreten dieser Regelung zum 24.10.2015 (längst) ins Bundesgebiet eingereist waren und schon bis zum 31.08.2015 durch Stellung eines (nicht förmlichen) Asylgesuchs im Sinne von § 13 AsylG zu erkennen gegeben haben, dass sie zum Zwecke der Durchführung eines Asylverfahrens eingereist sind. Dies gilt jedenfalls dann, wenn das Asylgesuch ohne Verschulden des Asylbewerbers infolge der Rückstauproblematik bei der Bearbeitung der Asylgesuche durch das Bundesamt erst nach dem 31.08.2015 beim Bundesamt als "Asylantrag eingegangen" ist. Dies war hier der Fall. [...]

14 Das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz verfolgt mit der Einführung der Beschäftigungsverbote in den §§ 61 Abs. 2 S. 4 AsylG und 60 a Abs. 6 AufenthG für Asylbewerber bzw. geduldete abgelehnte Asylbewerber aus sicheren Herkunftsstaaten ersichtlich nur das Ziel, vor dem Hintergrund der bis Ende September 2015 beispiellos gestiegenen Zahlen von Asylbewerbern aus diesen jetzt zu sicheren Herkunftsstaaten erklärten Staaten (darunter das Herkunftsland der Antragstellerin: Serbien), "Fehlanreize" zu beseitigen, die zu einem "weiteren Anstieg" der Zahl ungerechtfertigter Asylanträge führen können (vgl. BTDrs 18/6185 v. 29.09.2015, S. 1 und S. 25; siehe auch BR-Drs 446/15 v. 29.09.2015, S. 1 Teil A, und S. 45).

15 Damit verfolgt die Einführung der beiden Beschäftigungsverbote ersichtlich einen in die Zukunft gerichteten Zweck, nämlich die Vermeidung eines "weiteren" Anstiegs der Asylzahlen durch Beseitigung von Anreizen für Ausländer aus sicheren Herkunftsstaaten, die sich von dort andernfalls erst noch in Erwartung einer Beschäftigungsmöglichkeit zusätzlich auf den Weg machen würden, und damit die Zahl der schon nach Deutschland eingereisten, ein voraussichtlich erfolgloses Asylverfahren Betreibenden noch weiter steigern würden. Insoweit tritt die Beseitigung von Fehlanreizen allein durch das Beschäftigungsverbot ein und nicht durch die Streichung von Beschäftigungsmöglichkeiten bezüglich der bereits eingereisten Asylbewerber aus sicheren Herkunftsstaaten, die schon einen Asylantrag gestellt haben. 16 Nach alledem steht § 60 a Abs. 6 S. 1 Nr. 3 AufenthG der Erteilung einer Ausbildungsduldung zu Gunsten der Antragstellerin nicht entgegen. [...]