VG Göttingen

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Zitieren als:
VG Göttingen, Beschluss vom 08.06.2017 - 2 B 377/17 (Asylmagazin 12/2017, S. 454 f.) - asyl.net: M25634
https://www.asyl.net/rsdb/m25634
Leitsatz:

[Asylanträge nach EU-Verteilung in anderen Mitgliedstaat unzulässig (hier: Fall einer sog. Relocation von Griechenland nach Portugal)]

Nimmt ein Mitgliedstaat Asylbewerber im Rahmen des sog. Relocation-Verfahrens auf, so wird er der für die Bearbeitung der Asylanträge zuständige Mitgliedstaat. Fand die Umsiedlung nicht nach Deutschland statt, sind hier gestellte Asylanträge unzulässig.

(Amtlicher Leitsatz)

Anmerkung:

Schlagwörter: Relocation, Zuständigkeit, Asylverfahren, Unzulässigkeit, Verteilung, EU-Verteilung, Umsiedlung, Relocation-Programm, Beschluss, Griechenland, Portugal, Dublinverfahren, Dublin III-Verordnung, Wiederaufnahmeverfahren, subjektives Recht, Familienangehörige, Familieneinheit, Selbsteintritt,
Normen: VO 604/2013 Art. 18 Abs. 1 b, AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1 a, AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1 b, VO 604/2013 Art. 13 Abs. 1, VO 604/2013 Art. 26, VO 604/2013 Art. 2g, VO 604/2013 Art. 3 Abs. 3,
Auszüge:

[...]

6 Voraussichtlich zu Unrecht wenden die Antragsteller gegen die Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides ein, der Anwendungsbereich der Dublin-III-VO sei in Fällen der Relocation nicht eröffnet.

7 Dabei lässt das Gericht zunächst offen, ob sich die Antragsteller überhaupt auf Regelungen der Beschlüsse des Rates vom 14. und 22. September 2015 zu ihren Gunsten berufen können oder ob diese Regelungen nur zwischen den Mitgliedstaaten Rechtswirkungen entfalten. Auch in Anwendung der Beschlüsse hat das Gericht keine Zweifel daran, dass Portugal nunmehr der für die Bearbeitung der Asylanträge der Antragsteller zuständige Mitgliedstaat ist, so dass die in Deutschland gestellten Asylanträge gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 a), wahlweise 1 b), unzulässig sind.

8 Zwar enthalten die oben genannten Beschlüsse des Rates keine ausdrückliche Regelung dazu, welcher Mitgliedstaat nach der Umsiedlung der für die Bearbeitung der Asylanträge im europäischen Kontext zuständige ist. Es ergibt sich jedoch aus dem Sinngehalt der Vorschriften und den hierzu niedergelegten Erwägungsgründen hinreichend deutlich, dass dies der den Asylbewerber im Rahmen des Relocation-Verfahrens aufnehmende Staat ist.

9 So enthalten die Art. 5 Abs. 10 UA 1 der Beschlüsse Fristen, die von den beteiligten Mitgliedstaaten zu beachten sind. Art. 5 Abs. 10 UA 2 bestimmt, dass Italien und Griechenland weiterhin für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz gemäß der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 zuständig sind, wenn das Umsiedlungsverfahren nicht innerhalb dieser Fristen abgeschlossen wird. Im Umkehrschluss folgt hieraus, dass für den Fall, dass die Fristen eingehalten werden, der aufnehmende Staat der zuständige Staat im Sinne der Dublin-III-VO wird. Auch die Regelung in Art. 6 Abs. 5 der Beschlüsse kann nur so verstanden werden, dass der aufnehmende Staat der für die Bearbeitung der Asylanträge der umgesiedelten Personen zuständige bleibt. Danach müssen Antragsteller oder internationalen Schutz genießende Personen, die in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates, der nicht der Umsiedlungsmitgliedstaat ist, einreisen, ohne die Voraussetzungen für den Aufenthalt in diesem anderen Mitgliedstaat zu erfüllen, unverzüglich zurückkehren. Sie müssen unverzüglich wieder vom Umsiedlungsmitgliedstaat aufgenommen werden. Auch hierin kommt die alleinige Zuständigkeit des Aufnahmemitgliedstaates für die Prüfung der Asylanträge der umgesiedelten Personen zum Ausdruck. Bestätigt wird diese Auslegung durch die Erwägungsgründe (18) und (19) des Beschlusses (EU) 2015/1523 und (23) und (24) des Beschlusses (EU) 2015/1601. Danach haben die in den Beschlüssen vorgesehenen Maßnahmen zur Umsiedlung von Migranten aus Italien und Griechenland eine vorübergehende Aussetzung der in Art. 13 Abs. 1 der Dublin-III-VO festgelegten Bestimmung zur Folge, wonach Italien und Griechenland auf der Grundlage der in Kapitel III der genannten Verordnung festgelegten Kriterien für die Prüfung eines Antrages auf internationalen Schutz zuständig wären. Da die Aussetzung nur Italien und Griechenland betrifft, aber nicht die Rede von einer vollständigen Aufhebung der Regelungen der Dublin-III-VO ist, ist davon auszugehen, dass der Aufnahmestaat, hier Portugal, nunmehr der für die Prüfung der Asylanträge zuständige Staat ist. Dass die Regelungen der Dublin-III-VO im Übrigen erhalten bleiben sollen, ergibt sich aus dem weiteren Erwägungsgrund (19) bzw. (24), wonach die Umsiedlungsmaßnahmen die Mitgliedstaaten nicht von der vollständigen Anwendung der Dublin-III-VO einschließlich der Bestimmungen zur Familienzusammenführung, zum besonderen Schutz für unbegleitete Minderjährige und zur Ermessensklausel im Zusammenhang mit humanitären Gründen entbinden. Schließlich sprechen die Erwägungsgründe (30) bzw. (35) der Beschlüsse davon, dass es sich bei der Umsiedlungsentscheidung um eine Überstellungentscheidung im Sinne des Art. 26 der Dublin-III-VO handelt. Dies kann nichts anderes bedeuten, als dass der aufnehmende Mitgliedstaat für die Behandlung der Asylanträge der aufzunehmenden Migranten zuständig wird.

10 Auch mit dem Einwand, ihre Umsiedlung habe gegen das Gebot der Familieneinheit verstoßen, dringen die Antragsteller nicht durch. [...]

11 [...] Denn ein Verstoß gegen den Grundsatz der Familieneinheit liegt nicht vor.

12 Gemäß dem jeweiligen Art. 6 Abs. 2 der Beschlüsse tragen die Mitgliedstaaten dafür Sorge, dass Familienangehörige, die unter diese Beschlüsse fallen, in das Hoheitsgebiet desselben Mitgliedstaates umgesiedelt werden. Der jeweilige Art. 2 d) der Beschlüsse verweist bezüglich des Begriffs "Familienangehörige" auf Art. 2 g der Dublin-III-VO. Nach dieser Vorschrift gehören volljährige Schwägerinnen nicht zu den zu berücksichtigenden Familienangehörigen.

13 Auch der Einwand der Antragsteller, die Antragsgegnerin habe dadurch konkludent von seinem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 3 Dublin-III-VO Gebrauch gemacht, dass sie sie auch zu ihrem Verfolgungsschicksal angehört hat, geht fehlt. Hierzu hat die Kammer in ihrem Beschluss vom 03.01.2014 ausgeführt:

14 "Soweit die Antragsteller einwenden, die Antragsgegnerin habe ihr Selbsteintrittsrecht ausgeübt, indem das Bundesamt sie - die Antragsteller - am 28. Mai 2013 persönlich zu ihren Asylgründen insgesamt und nicht nur zu ihrem Reiseweg angehört habe und damit in eine sachliche Prüfung des (weiteren) Asylantrags vom 23. Mai 2013 eingetreten sei, hat die Kammer zu dieser Frage in ihrem Urteil vom 25. Juli 2013 - 2 A 652/12 -, zit. nach juris Rn. 26, im Anschluss an die Rechtsprechung des Bayerischen VGH (Beschluss vom 3. März 2010 - 15 ZB 10.30005 -, InfAuslR 2010, S. 467 f.) bereits entschieden, dass eine - wie im vorliegenden Fall - bloß routinemäßige, an die Befragung zu Herkunft und Modalitäten der Einreise sowie die Erforschung des Reisewegs sich nahtlos unmittelbar anschließende Anhörung des Asylbewerbers zu den Gründen der Verfolgungsfurcht für sich genommen regelmäßig nicht hinreichend zum Ausdruck bringe, die Bundesrepublik Deutschland habe bereits den Entschluss gefasst, von ihrem Recht Gebrauch zu machen, das Asylverfahren abweichend vom Regelfall in seiner "Gesamtheit" in eigener Verantwortung durchzuführen." [...]