LG Frankfurt a.M.

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Zitieren als:
LG Frankfurt a.M., Beschluss vom 09.10.2017 - 2-29 T 41/17 - asyl.net: M25756
https://www.asyl.net/rsdb/M25756
Leitsatz:

Zur Aufhebung der Haftanordnung bei Wegfall des Haftgrundes:

1. Da nach § 426 Abs. 1 S. 1 FamFG die Haftanordnung von Amts wegen aufzuheben ist, wenn der Haftgrund entfällt, sind dem Gericht Umstände, die den Haftgrund entfallen lassen unverzüglich mitzuteilen (hier: die Weigerung der Fluggesellschaft, gefesselte Personen zu befördern). Nur so kann das Gericht seiner Sachaufklärungspflicht aus § 26 FamFG nachkommen.

2. Eine (noch) nicht angeordnete Haftverlängerung ist dabei nicht zu berücksichtigen, auch wenn sie ohne weiteres möglich gewesen wäre.

3. Diese Anforderungen gelten auch bei Haft, die nach Zurückweisung nach § 15 Abs. 6 i.V.m. Abs. 5 AufenthG angeordnet wurde (hier: Zurückweisungshaft einer Brasilianerin und ihres einjährigen Kindes nach erfolglosem Asylverfahren am Flughafen).

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Abschiebungshaft, Abschiebung, Zurückweisung, Zurückweisungshaft, Flughafenverfahren, Fluggesellschaft, Luftweg, Einreiseverweigerung, Fesselung, Zwang, Haftanordnung, Aufhebung, von Amts wegen, Amtsermittlung, Sachaufklärungspflicht, Untersuchungsgrundsatz, Mitteilungspflicht, Haftverlängerung,
Normen: AufenthG § 15 Abs. 6, AufenthG § 15 Abs. 5, AsylG § 18a Abs. 3, AufenthG § 15 Abs. 5 S. 2, AufenthG § 62 Abs. 4, FamFG § 426 Abs. 1 S. 1, FamFG § 26, GG Art. 2 Abs. 2 S. 2, GG Art. 104,
Auszüge:

[...]

Der Haftgrund des § 15 Abs. 6, Abs. 5 AufenthG lag zunächst vor. Gemäß § 15 Abs. 6, Abs. 5 AufenthG soll ein Ausländer zur Sicherung der Zurückweisung auf richterliche Anordnung in Haft genommen werden, wenn eine Zurückweisungsentscheidung ergangen ist und diese nicht unmittelbar vollzogen werden kann. [...]

Eines weiteren Haftgrundes nach § 62 Abs. 3 AufenthG bedurfte es nicht, wie aus der Verweisung in § 15 Abs. 5 Satz 2 AufenthG allein auf § 62 Abs. 4 AufenthG deutlich wird. [...]

Nach § 426 Abs. 1 S. 1 FamFG ist der Beschluss, durch den eine Freiheitsentziehung angeordnet wird, vom Amts wegen aufzuheben, wenn der Grund für die Freiheitsentziehung weggefallen ist. Eine Haft zur Sicherung der Abschiebung darf nicht aufrechterhalten werden, wenn sich ergibt, dass eine Zurückschiebung[en] innerhalb des angeordneten Haftzeitraums nicht mehr durchgeführt werden kann. Der die Freiheitsentziehung anordnende Beschluss ist deshalb in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen darauf zu untersuchen, ob der Grund für die Freiheitsentziehung entfallen ist. Ergeben sich nach Anordnung der Haft für das Gericht hinreichende Anhaltspunkte, dass die Voraussetzungen der Freiheitsentziehung möglicherweise nicht mehr vorliegen, hat es deshalb gemäß § 26 FamFG den Sachverhalt aufzuklären. Unterlässt es das Gericht, in die gebotene Sachaufklärung einzutreten, verletzt die weitere Freiheitsentziehung den Betroffenen in seinem Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG, Art. 104 GG (vgl. BGH, Beschluss vom 15.9.2016 - V ZB 43/16, zitiert nach juris). Eine mögliche, aber (noch) nicht angeordnete Haftverlängerung ist dabei nicht zu berücksichtigen. Die Aufrechterhaltung einer angeordneten Sicherungshaft bis zu der Entscheidung über eine Haftverlängerung ist nämlich nicht zulässig. Sie dient dann nicht mehr unmittelbar der Sicherung der Rückführung. Eine nur mittelbare Sicherung dieses Zwecks sieht das Gesetz nicht vor (vgl. BGH, a.a.O.). Die vom BGH aufgestellten Anforderungen gelten auch für eine Zurückführung gemäß § 15 Abs. 6 i.V.m. Abs. 5 AufenthG. Die Rechtsprechung des BGH ist dahingehend zu erweitern, dass von der antragstellenden Behörde Umstände, aufgrund derer der Grund für die bis zu einem bestimmten Termin angeordnete Freiheitsentziehung weggefallen ist, dem Gericht unverzüglich mitzuteilen sind. Denn nur dann kann das Amtsgericht seiner Prüfungspflicht gerecht werden. Vorliegend hätte die antragstellende Behörde die E-Mail der Lufthansa vom 17.2.2017 dem Gericht unverzüglich mitteilen müssen. Da eine Zurückführung der Betroffenen mit ihrem minderjährigen Kind innerhalb des angeordneten Zeitraums nicht zu erwarten war - die Rückführung mit einem anderen Flugunternehmen zum 24.2.2017 wurde seitens der Lufthansa erst am 20.2.2017 mitgeteilt - hätte das Amtsgericht spätestens am 18.2.2017 die angeordnete Unterbringung gemäß § 426 Abs. 1 S. 1 FamFG aufheben müssen, da auch ein Folgeantrag zu diesem Zeitpunkt nicht gestellt war. Dass dies ohne Weiteres möglich gewesen wäre, spielt nach der oben zitierten Rechtsprechung keine Rolle. Die Anordnung des Aufenthaltes in der Asylbewerberunterkunft auf dem Gelände des Flughafens war damit in der Zeit vom 18.2.2017 bis zum Erlass des Haftbeschlusses vom 22.2.2020 [sich 10] rechtswidrig und hat die Betroffene in ihren Rechten verletzt. [...]