VG Düsseldorf

Merkliste
Zitieren als:
VG Düsseldorf, Urteil vom 08.03.2018 - 5 K 12373/17.A - asyl.net: M26086
https://www.asyl.net/rsdb/M26086
Leitsatz:

Krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot in Bezug auf Bangladesch:

Diabetes mellitus Typ 1 und Bluthochdruck sind in Bangladesch zwar behandelbar, die Kosten für Medikamente und Arztbesuche sind jedoch so hoch, dass eine Person mit durchschnittlichem Einkommen sie sich nicht leisten kann. Eine Krankenversicherung existiert in Bangladesch praktisch nicht.

(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Krankenversicherung, medizinische Versorgung, Krankheit, Bangladesch, erhebliche individuelle Gefahr, krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot, Abschiebungsverbot,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1, AufenthG § 60 Abs. 5,
Auszüge:

[...]

Zwar sind die hier in Rede stehenden Erkrankungen in Bangladesch behandelbar; die Behandlung dürfte für den Kläger aber nicht finanzierbar sein.

Die Behandelbarkeit seiner Erkrankung in Bangladesch zeigt sich daran, dass es dort Diabetologen gibt, für deren monatliche Konsultation Kosten in Höhe von 500,- Taka bis 600,- Taka (z.Zt. ca. 5,75 - 6,90 Euro) entstünden (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Münster vom 26 Mai 2014 – 508-9-516.80/47 981 -).

Diese müsste der Kläger auch monatlich aufwenden, da nach den vorgelegten ärztlichen Attesten eine solche engmaschige Kontrolle erfolgen müsste.

Ausweislich der allgemein zugänglichen Internetplattform "mph Bangladesh" (www.mphbd.com), die ein Informationssystem zu Medikamenten, die in Bangladesch lieferbar sind, und zu deren Preisen dort betreibt und den Internetseiten www.diacare.shop/store/store_fronts/product/32092-HUMALOG-100-unitsml-1-Box5cartridges und medex.com.bd/brands/16781/humalog, sind auch die vom Kläger zur Behandlung seiner Diabetes benötigten Medikamente/Wirkstoffe ggf. als Generika in Bangladesch erhältlich, und zwar:

a. Lantus (Handelsname), d.h. Insulin glarin; dort gehandelt u.a. als Vibrenta; Packung zu 5 x 3 ml (100 IU/ml) zu 600 Taka (z.Zt. ca. 6,90 Euro); da der Kläger ausweislich der von ihm vorgelegten fachärztlichen Unterlagen einmal täglich eine Gabe dieses Medikaments mit dem Wirkungsgrad 6 IE benötigt, reicht eine Packung (5 x 3 x 100 = 1.500 IU ./. 6 IU tgl. =) ca. 250 Tage oder, d.h. er müsste für dieses Medikament monatlich ca. 0,90 Euro aufwenden;

b. Liprolog (Handelsname), d.h. Insulin lispro; dort gehandelt u.a. als Humalog; Packung 5 x 3 ml (100 IU/ml) im Mittel zu 4.000 Taka (z.Zt. ca. 40,- Euro); da der Kläger ausweislich der von ihm vorgelegten fachärztlichen Unterlagen dreimal täglich Gaben dieses Medikaments mit einem Wirkungsgrad bis zu 31 IE benötigt, reicht eine Packung (5 x 3 x 100 = 1.500 IU ./_ 31 IU tgl. =) ca. 48 Tage oder, d.h. er müsste für dieses Medikament monatlich ca.25 Euro aufwenden;

Die Behandlungskosten in Bangladesch beliefen sich demnach auf einen monatlichen Betrag in Höhe von ca. 32,80 Euro/mtl. oder rund 394,- Euro jährlich.

Der Kläger müsste nach den Umständen der medizinischen Versorgung in Bangladesch diese Behandlungskosten mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit - jedenfalls in ganz erheblichem Umfang - selbst tragen.

Denn ein staatliches Sozial- und Krankenversicherungssystem existiert, bis auf geringe Beihilfen zum Existenzminimum an Senioren, nicht. Abgesehen von einer Reihe medizinischer Hilfsprojekte von Nichtregierungsorganisationen gibt es praktisch keine kostenlose medizinische Versorgung (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 1. Juli 2008, Seite 24).

Die meisten medizinischen Hilfsprogramme von Nichtregierungsorganisationen sind zudem dadurch gekennzeichnet, dass sie etwa für Medikamente eine hohe Selbstbeteiligung (von typischerweise 50 % oder mehr) vorsehen (vgl. MedCOI-Bericht vom 20.21. 2013 (Erkenntnisliste B. VII.5), S. 10).

Der private Krankenversicherungsmarkt steckt noch "in den Kinderschuhen" (vgl. MedCOI-Bericht vom 20.2.2013 (Erkenntnisliste B VII.5). S. 9, "… a private insurance market which is in a very nascent stage."

Wird mithin der Kläger die Behandlungskosten voraussichtlich selbst tragen müssen, ist der in Rede stehende Betrag für ihn mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht finanzierbar.

Ein Betrag dieser Höhe ist nach den wirtschaftlichen Verhältnissen in Bangladesch so erheblich, dass nicht erwartet werden kann, dass ein durchschnittlicher Bangladescher ihn ohne Weiteres tragen könnte. Dies zeigt schon der Umstand, dass das jährliche pro-Kopf-Einkommen in Bangladesch im Jahre 2013 bei nur etwa 840,- US-Dollar, das sind z. Zt. etwa 740,- Euro, lag (vgl. Länderinformationen des Auswärtigen Amtes zu Bangladesch (Stand April 2014 - Teil B, 1.2. Nr. 1 der Auskunftsliste)).

Der Kläger auch glaubhaft machen können, dass (auch) er bei Rückkehr nach Bangladesch die Behandlungskosten weder durch eigenes Vermögen oder (überdurchschnittliches) Arbeitseinkommen finanzieren noch von seiner (näheren) Verwandtschaft nach deren wirtschaftlicher Lage finanzielle Unterstützung in dem erforderlichen Umfang erwarten kann.

Da ausweislich der vorgelegten fachärztlichen Bescheinigungen die Absetzung der klägerseits benötigten Medikamente tödlich sein kann, liegt wegen der mangelnden Finanzierbarkeit der Behandlung und Medikation im Heimatland auch eine "extreme" Gefahrensituation im oben genannten Sinne mit der Folge vor, dass das Wiederaufgreifensermessen des Bundesamtes hier "auf Null" reduziert ist.

Da das Bundesamt nach allem zu verpflichten ist, zu Gunsten des Klägers ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG festzustellen, erübrigt sich die zusätzliche Feststellung eines Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 5 AufenthG. [...]