BGH

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Zitieren als:
BGH, Beschluss vom 03.05.2018 - V ZB 230/17 (Asylmagazin 10-11/2018, S. 387 f.) - asyl.net: M26295
https://www.asyl.net/rsdb/M26295
Leitsatz:

Bei Haftverlängerung sind Verfahrensbevollmächtigte nicht zu beteiligen, wenn die Vertretung vorher nur beim erstmals Haft anordnenden Gericht angezeigt wurde:

Keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei verpasster Beschwerdefrist, da der Betroffene verschuldet die Frist versäumt hat, weil er seinen Verfahrensbevollmächtigten nicht über die Haftanordnung informiert hat.

Für die Bestellung von Verfahrensbevollmächtigten im Haftverlängerungsverfahren genügt es nicht, dass die Vertretung bei Einlegung der Beschwerde gegen den ersten Haftanordnungsbeschluss angezeigt wurde, da es sich um unterschiedliche Verfahren handelt.

(Leitsätze der Redaktion)

Anmerkung des Einsenders:

Die Entscheidung des BGH führt letztlich dazu, dass im Ersthaftanordnungsverfahren legitimierte Anwälte jetzt vorsorglich bei allen in Betracht kommenden Gerichten eine Schutzschrift hinterlegen sollten.

Schlagwörter: Zurückschiebungshaft, Abschiebungshaft, Haftbeschluss, Verlängerungsbeschluss, Prozessbevollmächtigte, Rechtsanwalt, Vertretenmüssen, Vertretung, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, Fristversäumnis,
Normen: FamFG § 63 Abs. 1, FamFG § 63 Abs. 3 S. 1, FamFG § 41 Abs. 1 S. 2, FamFG § 15 Abs. 2 S. 1, ZPO § 173 S. 1, ZPO § 172 Abs. 1 S. 1, FamFG § 17, FamFG § 11 S. 5, ZPO § 85 Abs. 2,
Auszüge:

[...]

1. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde wurde der Lauf der einmonatigen Frist zur Einlegung der Beschwerde (§ 63 Abs. 1 FamFG) durch die im Termin zur Anhörung erfolgte Übergabe des Beschlusses an den Betroffenen in Gang gesetzt, so dass die am 14. Juni 2017 bei Gericht eingegangene Beschwerde die Frist nicht gewahrt hat.

a) Die in dem Termin am 11. Mai 2017 erfolgte Übergabe war eine wirksame Bekanntgabe i.S.v. § 63 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 41 Abs. 1 Satz 2 FamFG, weil sie durch Zustellung an den Betroffenen selbst erfolgen konnte (§ 15 Abs. 2 Satz 1 FamFG i.V.m. § 173 Satz 1 ZPO). Zwar kann die Zustellung dann, wenn für den Rechtszug ein Verfahrensbevollmächtigter bestellt ist, aus-schließlich an diesen vorgenommen werden (§ 15 Abs. 2 Satz 1 FamFG i.V.m. § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Hier fehlt es jedoch an einer entsprechenden Bestellung des Verfahrensbevollmächtigten. [...]

aa) Für eine Bestellung genügt es nicht, dass sich der Verfahrensbevollmächtigte im Zusammenhang mit der Einlegung der Beschwerde gegen den Haftanordnungsbeschluss des Amtsgerichts Kempten vom 17. April 2017 für den Betroffenen bestellt hatte. Insoweit handelte es sich nämlich um ein eigenständiges Verfahren, das mit dem hier in Rede stehenden Verfahren nicht identisch ist. Beide Verfahren betreffen einen unterschiedlichen Gegenstand und wurden auch vor unterschiedlichen Gerichten in jeweils gesonderten Akten geführt (vgl. zu diesem Gesichtspunkt Senat, Beschluss vom 1. Dezember 2011 V ZB 73/11, FGPrax 2012, 83 Rn. 10). Anders als die Rechtsbeschwerde meint, prüft der Haftrichter, der über die Verlängerung der Haft entscheidet, in den Fällen, in denen ein anderes Gericht die Haft erstmalig angeordnet hat, nicht zugleich, ob die Haft überhaupt angeordnet werden durfte. Vielmehr bleibt das Gericht, das die ursprüngliche Haftanordnung erlassen hat, für die Entscheidung über die Aussetzung oder Aufhebung dieser Haft gemäß § 424 oder § 426 FamFG so lange zuständig, bis es gemäß § 106 Abs. 2 Satz 2 AufenthG die Sache an das Gericht des Haftortes abgegeben hat (vgl. Senat, Beschluss vom 2. März 2017 - V ZB 122/15, InfAuslR 2017, 293 Rn. 13).

bb) Ob sich die von dem Verfahrensbevollmächtigten in dem Verfahren vor dem Amtsgericht Kempten vorgelegte Vollmacht auf die gesamte Haft einschließlich einer Verlängerung der Haft bezog, bedarf keiner Entscheidung. Selbst wenn dies zu Gunsten des Betroffenen unterstellt wird, hatte das Amtsgericht Mühldorf am Inn im Zeitpunkt der Aushändigung des Beschlusses vom 11. Mai 2017 von der Vollmacht keine Kenntnis. Der Abgabebeschluss des Amtsgerichts Lindau, an das das Amtsgericht Kempten das Verfahren durch Beschluss vom 18. April 2017 abgegeben hatte, ist erst am 11. Mai 2017 ergangen, so dass die Akten, die die Vollmacht enthielten, dem Amtsgericht Mühldorf am Inn am Tag der Aushändigung des Beschlusses vom 11. Mai 2017 noch nicht vorlagen. In dem Haftantrag der beteiligten Behörde vom 8. Mai 2017 wurde die Bevollmächtigung nicht erwähnt, weil die Behörde nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts von der Bevollmächtigung nicht in Kenntnis gesetzt wurde.

2. Im Ergebnis richtig ist auch die weitere Auffassung des Beschwerdegerichts, dass die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht vorliegen, weil der Betroffene nicht glaubhaft gemacht hat, ohne Verschulden an der Einhaltung der Frist gehindert gewesen zu sein (§ 17 FamFG). Hierfür kann dahinstehen, ob - so das Beschwerdegericht - von einem dem Betroffenen gemäß § 11 Satz 5 FamFG i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Verschulden seines Verfahrensbevollmächtigten ausgegangen werden kann. Jedenfalls liegt ein eigenes Verschulden des Betroffenen vor. Warum er in der Zeit nach Erhalt des Haftanordnungsbeschlusses vom 11. Mai 2017 nebst Rechtsbehelfsbelehrung und Rücküberstellung nach Italien am 22. Mai 2017 seinen Verfahrensbevollmächtigten nicht über den Beschluss unterrichtet hat bzw. bei diesem wegen des weiteren Vorgehens Rücksprache genommen hat, wird in dem Wiedereinsetzungsantrag nicht erläutert. Aus der Inhaftierung allein kann er sein fehlendes Verschulden nicht herleiten (vgl. hierzu auch Senat, Beschluss vom 1. Dezember 2011 - V ZB 73/11, FGPrax 2012, 83 Rn. 12). Insbesondere ist nicht ersichtlich, warum er seinen Verfahrensbevollmächtigten weder angerufen noch auf schriftlichem Weg Kontakt mit ihm aufgenommen hat. Dass dieser ohne vorherige Absprache mit ihm Beschwerde einlegen würde, konnte er nicht in Rechnung stellen. [...]