VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Urteil vom 19.02.2018 - 16 K 466.17 V - asyl.net: M26356
https://www.asyl.net/rsdb/M26356
Leitsatz:

Kein Familiennachzug zu subsidiär schutzberechtigtem Ehemann und Vater:

1. Die persönliche Beantragung von Visa bei der zuständigen Auslandsvertretung ist jedenfalls dann keine Voraussetzung für die Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO, wenn wegen der Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten hierfür keine Termine vergeben werden. Eine persönliche Antragstellung ist gesetzlich nicht ausdrücklich gefordert (unter Bezug auf Urteil vom 07.11.2017 - 36 K 92.17 V - asyl.net: M25744, Asylmagazin 3/2018 mit Anmerkung).

2. Die Aussetzung des Familiennachzugs nach § 104 Abs. 13 AufenthG ist mit EU-Recht vereinbar. Die Familienzusammenführungsrichtlinie enthält keine hier anwendbaren vorrangigen Regelungen, da sie sich nur auf Flüchtlinge bezieht (unter Bezug auf OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17.10.2017 - OVG 3 S 84.17 - asyl.net: M25778).

3. Die Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten verstößt nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 GG. Vor allem in Bezug auf anerkannte Flüchtlinge rechtfertigt der unterschiedliche Schutzstatus die unterschiedliche Behandlung.

4. Die Aussetzung des Familiennachzugs hält grundsätzlich einer verfassungsrechtlichen Prüfung stand, da durch die Anwendung von § 22 AufenthG Sonderfällen Rechnung getragen werden kann, die eine Familienzusammenführung erfordern. Diese Norm ist jedoch keine allgemeine Härtefallregelung.

5. Im vorliegenden Fall liegt kein besonderer Härtefall i.S.d. § 22 AufenthG vor. Die mehrjährige Trennung ist auch bei Überschreitung der vom BVerfG 1987 aufgestellten Dreijahresgrenze und auch bei Verlängerung der Aussetzung des Familiennachzugs zumutbar: Die Familienangehörigen können mit modernen Kommunikationsmitteln in Kontakt bleiben. Ein weiterer Kinderwunsch des Ehepaars ist noch realisierbar, da die Ehefrau erst 36 Jahre alt ist. Die Familie besteht schon länger und ist gefestigt und die bedeutsame Mutter-Kind-Beziehung ist gewährleistet. Die Nachzugswilligen haben familiäre Unterstützung in Syrien. Die schlechte Sicherheitslage und wirtschaftliche Situation der Nachzugswilligen rechtfertigen keinen Ausnahmefall. Die psychische Belastung der Kinder ist nicht ausreichend dargelegt worden.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Familienzusammenführung, Familiennachzug, subsidiärer Schutz, Unionsrecht, Völkerrecht, Kinderschutzkonvention, Kindeswohl, Aussetzung, Härtefall, Aufnahme aus dem Ausland, humanitäre Gründe, außergewöhnliche Härte, nationales Visum, Visum, dringende humanitäre Gründe, Untätigkeitsklage, Verpflichtungsklage, Familienzusammenführungsrichtlinie, Qualifikationsrichtlinie, allgemeiner Gleichheitssatz, Diskriminierungsverbot, Familienangehörige, Familieneinheit, Familiennachzug, Schutz von Ehe und Familie,
Normen: AufenthG § 71 Abs. 2, VwGO § 75, AufenthG § 22, AufenthG § 22 Abs. 1, AufenthG § 6 Abs. 3, AufenthG § 30, AufenthG § 32, AufenthG § 104 Abs. 13, AufenthG § 104 Abs. 13 S. 1, AufenthG § 25 Abs. 2 S. 1, RL 2003/86/EG Art. 10 Abs. 3 Bst. a, 2003/86/EG Art. 4 Abs. 2 Bst. a, 2003/86/EG Art. 2 Bst. b, RL 2011/95/EU Art. 2 Bst. j, 2003/86/EG Art. 23, RL 2013/33/EU Art. 2 Bst. c, RL 2013/33/EU Art. 12, GR-Charta Art. 7, GR-Charta Art. 24, GG Art. 3 Abs. 1, GG Art. 6 Abs. 1, GG Art. 6 Abs. 2 S. 1, EMRK Art. 8, UN-KRK Art. 10 Abs. 1,
Auszüge:

[...]
Sie ist zulässig. [...] Die persönliche Antragstellung bei einer für die Erteilung der Visa nach § 71 Abs. 2 AufenthG zuständigen Auslandsvertretung ist jedenfalls dann keine Voraussetzung für eine die Wirkungen des § 75 VwGO auslösende Antragstellung, wenn - wie hier - wegen der Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten von den zuständigen Botschaften in gebotener Zeit praktisch keine Termine für hierauf gerichtete Anträge vergeben werden und Anträge nach § 22 AufenthG einer Vorprüfung durch die Zentrale des Auswärtigen Amtes unterliegen (vgl. Weisung vom 20. März 2017 - Gz.: 508-3-543.5312). Gesetzlich ausdrücklich gefordert ist eine persönliche Antragstellung nicht (vgl. VG Berlin, u.a. Urteil vom 7. November 2017 - VG 36 K 92.17 V -, Juris Rn. 21 m.w.N.). Jedenfalls im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung lag kein sachlicher Grund dafür vor, dass die Beklagte die Anträge der Kläger - wenn dies nicht mit der E-Mail vom 8. Februar 2017 ohnehin als hinreichend erfolgt angesehen wird - nicht förmlich beschieden hat.

Die Klage ist indessen unbegründet. Die Ablehnung/Unterlassung der Erteilung von Visa an die Kläger zum Zuzug zu ihrem sich als subsidiär Schutzberechtigter im Bundesgebiet aufhaltenden Ehemann und Vater ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Kläger haben keinen Anspruch auf Erteilung der begehrten Visa.

Die Voraussetzungen des im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung in Verbindung mit § 6 Abs. 3 AufenthG allein als Anspruchsgrundlage in Betracht kommenden § 22 Satz 1 AufenthG (im Folgenden unter 1.) - weswegen bereits der Klageantrag zu 1 unbegründet ist - sind nicht erfüllt (im Folgenden unter 2.) - weswegen auch der (hilfsweise) Klageantrag zu 2 unbegründet ist. [...]

Ob dem Beigeladenen zu 1 - wie er in einem Asylklageverfahren geltend macht - gegebenenfalls auch ein höherwertiger Schutz zustünde und er als Flüchtling anzuerkennen wäre, ist keine Frage, die im Visumsverfahren seiner Angehörigen inzident zu klären wäre. Für eine Inzidentprüfung der Erfolgsaussichten der vom Beigeladenen zu 1 erhobenen Klage auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist angesichts der eigenständigen Ausgestaltung des asylrechtlichen Verfahrens durch den Gesetzgeber in einem auf Visumerteilung gerichteten Verfahren kein Raum (vgl. u.a. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. Februar 2017 - OVG 3 S 9.17 - Juris Rn. 3 m.w.N.). Es verbleibt insoweit dabei, dass bis zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung über die Anträge der Kläger der Beigeladene zu 1 nicht als Asylberechtigter oder Flüchtling anerkannt worden ist; daher ist Ausgangspunkt der weiteren Prüfung hier seine Anerkennung als subsidiär Schutzberechtigter. [...]

Auch die Qualifikationsrichtlinie und die Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen, stehen der Regelung des § 104 Abs. 13 AufenthG nicht entgegen. Denn beide Richtlinien enthalten nur Vorgaben, die die Einheit sich im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates bereits aufhaltender Familien betreffen (Art. 2 Buchstabe j), Art. 23 Qualifikationsrichtlinie; Art. 2 Buchstabe c), Art. 12 RL 2013/33/EU).

Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union steht der Aussetzungsregelung ebenfalls nicht entgegen. [...]

b) § 104 Abs. 13 AufenthG ist nicht wegen Verletzung des Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG verfassungswidrig, weil er nur die Rechtsstellung subsidiär Schutzberechtigter betrifft. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet nicht, anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte in Bezug auf den Familiennachzug gleich zu behandeln. [...]

c) Die mit § 104 Abs.13 AufenthG geschaffene Rechtslage hält einer verfassungsrechtlichen Prüfung am Maßstab von Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG, Art. 8 EMRK sowie der EU-Grundrechtecharta (namentlich Art. 24) und dem von den Klägern angeführten Völkerrecht stand, da in Anwendung von § 22 Satz 1 AufenthG den Fällen Rechnung getragen werden kann, in denen den geschützten familiären Belangen ein solches Gewicht zukommt, dass ihnen in Abwägung mit entgegenstehenden öffentlichen Interessen unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten der Vorrang gegeben werden muss. [...]

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts begründen weder das in Art. 6 Abs. 1 GG verbürgte Recht auf familiäres Zusammenleben noch die in Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleistete Wahrnehmung der Elternverantwortung im Interesse des Kindeswohls einen unmittelbaren Anspruch auf Einreise und Aufenthalt. Vielmehr überantwortet das Grundgesetz es weitgehend der gesetzgebenden und vollziehenden Gewalt festzulegen, in welcher Zahl und unter welchen Voraussetzungen Ausländern der Zugang zum Bundesgebiet ermöglicht wird (BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 1987 - BVerfG 2 BvR 1226/83 u.a. -, Juris Rn. 96 f.).

Die Aussetzung des Familiennachzugs ist jedoch an der in Art. 6 GG enthaltenen - völkerrechtsfreundlich zu verstehenden - wertentscheidenden Grundsatznorm zu messen. [...]

Auch Art. 8 EMRK gewährleistet es nicht als Grundrecht eines Ausländers, in ein bestimmtes Land einzureisen oder sich dort aufzuhalten (EuGH, Urteil vom 27. Juni 2006 - C-540/03 -, Juris Rn. 53; BVerwG, Urteil vom 13. Juni 2013 - BVerwG 10 C 16.12 -, Juris Rn. 22), sondern verpflichtet ebenfalls (nur) zu einer Abwägung nach Verhältnismäßigkeitsgrundsätzen (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. März 2010 - BVerwG 1 C 8.09 -, Juris Rn. 34).

Ebenso lässt sich der UN-Kinderrechtskonvention kein voraussetzungsloser Anspruch auf Kindernachzug oder unbedingter Vorrang des Kindeswohls vor entgegenstehenden öffentlichen Belangen entnehmen (BVerwG, Urteil vom 13. Juni 2013 - BVerwG 10 C 16.12 -, Juris Rn. 24; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19. September 2017 - OVG 3 M 93.17 1 OVG 3 S 52.17 , EA S. 5). […]

Die vorübergehende Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten für einen Zeitraum von zwei Jahren hält grundsätzlich einer verfassungsrechtlichen Prüfung - einschließlich der europa- und sonstigen völkerrechtlichen Aspekte - unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten stand. Der Gesetzgeber durfte dem öffentlichen Interesse an einer Begrenzung des weiteren Zuzugs mit Blick auf die Belastung der "Aufnahme- und Integrationssysteme in Staat und Gesellschaft" (BT-Drs. 18/7538, S.1) - insbesondere in den Jahren 2015 und 2016, aber auch immer noch andauernd angesichts durch Asylklagen und sonstige aufenthaltsrechtliche Klagen überlasteter Verwaltungsgerichte und Behörden und auch sonst betreffend die seinerzeit und danach gekommenen ausländischen Migranten vieltausendfach offener Fragen von Abschiebung oder (weiterer) Integration - vor den von Art. 6 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 GG und u.a. Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten privaten Interessen an einem familiären Zusammenleben grundsätzlich den Vorrang einräumen. Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt betont, dass dem Ziel der Begrenzung des Zuzugs von Ausländern von Verfassungs wegen erhebliches Gewicht beigemessen werden darf. Die verfolgten öffentlichen Interessen müssen dabei keinen Verfassungsrang haben. [...] Die Einschätzung des Gesetzgebers, dass eine Begrenzung des Zuzugs unerlässlich war und die hohe Zahl der Asylsuchenden eine hohe Zahl von Anträgen auf Familiennachzug erwarten ließ (BT-Drs. 18/7538, S.1), ist ebenso vertretbar (zur Kontrolldichte vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 1987 - BVerfG 2 BvR 1226/83 -, Juris Rn. 104 f.) wie die Einschätzung, dass die Aussetzung des Familiennachzugs zu Personen mit subsidiärem Schutz für einen Zeitraum von zwei Jahren zur besseren Bewältigung der bei Erlass des Gesetzes "aktuellen Situation" geeignet war (vgl. BT-Drs. 18/7538, S. 2). Auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Familieneinheit regelmäßig nur im Bundesgebiet hergestellt werden kann, womit dem privaten Interesse besonderes Gewicht zukommt (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Juni 2013 - BVerwG 10 C 16.12 -, Juris Rn. 21; EGMR, Urteil vom 1. Dezember 2005 - Nr. 60665/00, Tuquabo-Tekle -, InfAusR 2006, 105) und die Aussetzung des Familiennachzugs damit zu einer erzwungenen Aufrechterhaltung der durch die Flucht eines oder mehrerer Familienmitglieder herbeigeführten Trennung führt, ist die Regelung mit ihrer zeitlichen Befristung auf zwei Jahre (und gegebenenfalls auch eine moderate Verlängerung und Modifikation) verhältnismäßig.

Verfassungsrechtlich bedenklich wäre allerdings eine ausnahmslose Aussetzung des Familiennachzugs. Das Abwägungsgebot des Art. 6 GG und Art. 8 EMRK und u.a. die in der UN-Kinderrechtskonvention und Art 25 EU-Grundrechtecharta verankerte Verpflichtung zur Prüfung und vorrangigen Erwägung des Kindeswohls fordern, dass von Gesetzes wegen die Möglichkeit besteht, besonderen Einzelfällen gerecht zu werden, in denen den privaten Belangen - etwa wegen einer dringenden Gefährdung des Kindeswohls - ein solches Gewicht zukommt, dass öffentliche Belange zurückstehen müssen. Diese Möglichkeit eröffnet vorliegend § 22 AufenthG, der in diesem Licht ausgelegt und angewendet werden muss (in diese Richtung BVerfG, Beschluss vom 11. Oktober 2017 - BVerfG 2 BvR 1758/17 -. Juris Rn. 12). [...]

Aus den vorgenannten Gründen bedurfte es keiner - von den Klägern beantragten - Vorlage bestimmter Fragen an das Bundesverfassungsgericht bzw. den Europäischen Gerichtshof. Nach Auffassung des Gerichts stellt sich weder § 104 Abs. 13 AufenthG als verfassungswidrig dar noch kommt es hier auf die Familienzusammenführungsrichtlinie - die in Bezug auf einen nur subsidiär Schutzberechtigten, wie ausgeführt, schon nicht gilt, ohne dass es dazu noch näherer Klärung bedürfte -, entscheidungserheblich an.

2. Gemessen an den oben genannten Maßstäben lagen bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 22 AufenthG im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (st. Rspr.,vgl. BVerwG, Urteil vom 18. April 2013 - BVerwG 10 C 9/12 -, Juris Rn. 11) nicht vor. Damit ist auch kein Raum für einen Anspruch etwa nur auf ermessensfehlerfreie Neubescheidung. [...]

Damit ist § 22 AufenthG keine allgemeine Härtefallregelung, durch die Ausländern, die - wie die Kläger - die Voraussetzungen für die Einreise nach anderen Vorschriften nicht erfüllen, die Einreise nach Deutschland ermöglicht werden soll bzw. kann (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 8. Januar 2018 - OVG 3 S 109.17 - Juris Rn. 4 m.w.N.). Abgesehen von konkret regelnden völkerrechtlichen Gründen (z.B. zwischenstaatliche Aufnahmeabkommen) können - und gegebenenfalls müssen - dringende humanitäre Gründe vielmehr nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen bejaht werden. Sie liegen nur vor, wenn sich der Ausländer aufgrund besonderer Umstände in einer auf seine Person bezogenen Sondersituation befindet, sich diese Sondersituation deutlich von der Lage vergleichbarer Ausländer unterscheidet, der Ausländer spezifisch auf die Hilfe der Bundesrepublik Deutschland angewiesen ist oder eine besondere Beziehung des Ausländers zur Bundesrepublik Deutschland besteht und die Umstände so gestaltet sind, dass eine baldige Ausreise und Aufnahme unerlässlich sind (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 8. Januar 2018, a.a.O., ebd.). Die Aufnahme des Ausländers muss im konkreten Einzelfall namentlich verfassungsrechtlich oder durch zwingendes Europarecht geboten oder auch sonst, etwa im Zuge völkerrechtsfreundlicher Normanwendung, ein unabweisbares Gebot der Menschlichkeit sein. Ein solcher Fall ist für die Kläger hier derzeit weder dargetan noch sonst ersichtlich.

Im Ergebnis der mündlichen Verhandlung steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die Belange und Interessen der Kinder und Eltern im vorliegenden Fall (noch) keinen nach § 22 Satz 1 AufenthG - im Lichte des Art. 6 GG und der weiteren vorgenannten Vorschriften des EU-Rechts und sonstigen Völkerrechts zu verstehenden - völkerrechtlichen oder dringenden humanitären Grund für die Erteilung der beantragten Visa darstellen. [...]

Es ist - auch unter Einbeziehung der völkerrechtlichen Wertungen - kein dringender humanitärer Grund zugunsten der Kläger dargetan oder sonst ersichtlich. Der Ablauf der Zweijahresfrist des § 104 Abs. 13 AufenthG zum 16. März 2018 - gegebenenfalls auch noch eine gewisse maßvolle Verlängerung dieser Frist, wie sie derzeit avisiert ist - kann noch abgewartet werden. [...]

aa) Die Klägerin zu 1, die Ehefrau des Beigeladenen zu 1 und Mutter der beiden gemeinsamen Kinder, ist durch den ausgesetzten Familiennachzug im Hinblick auf ihre Kernfamilie (Eheleute und Kinder) darin betroffen, dass sie zeitweilig mit ihrem Ehemann familiäres Leben nicht unmittelbar ausüben kann. So kann sie insbesondere ihrem Ehemann nicht persönlich nahe sein, was gegenwärtig auch dem von ihr erwähnten Wunsch entgegensteht, noch ein weiteres gemeinsames Kind zu bekommen. Zudem fehlt ihr der unmittelbare Beistand des Ehemannes, wenn es um Erziehung der und Fürsorge für die beiden gemeinsamen Töchter geht. Andererseits ist die Klägerin zu 1 an ihrem gegenwärtigen Aufenthaltsort familiär durchaus nicht alleingelassen. Immerhin ist die Situation der Klägerin zu 1 dadurch gekennzeichnet, dass sie familiäres Leben mit ihren beiden Kindern wahrnehmen kann: die regelmäßig nicht nur für die Kinder, sondern auch für die Mutter sehr wichtige - oft sogar wichtigste - Mutter-Kind-Beziehung ist insoweit gewährleistet. Außerdem steht die Klägerin zu 1 auch im Hinblick auf sonstige Verwandtschaft am Aufenthaltsort in Damaskus oder auch sonst im Heimatland nicht allein. So lebt sie mit den beiden Kindern im Haus einer Tante. Auch die Großmutter der Kinder lebt innerhalb der Stadt Damaskus und kann aufgesucht werden. Der Klägerin zu 1 fehlt somit im Wesentlichen "nur" ihr Ehemann. Immerhin ist es ihr aber heutzutage - und auch nach ihren persönlichen Verhältnissen - möglich, mit ihrem Ehemann und Kindsvater auf technischem Wege ohne größeren Aufwand, gegebenenfalls auch spontan, zu kommunizieren, so dass sich die Eheleute gegenseitig über alles informieren können, so wie sie auch "einfach miteinander und über alles reden" können. Dass dies auch mittels Bildtelefon (z.B. whats app, skype o.ä.) geschieht, stellt dabei eine neue Dimension der Nähe auch über große Entfernungen hinweg zur Verfügung, wie sie noch vor einiger Zeit durch allenfalls Briefpostverkehr bzw. seltene sehr kostenintensive Auslandsferngespräche nicht ansatzweise vergleichbar hätte gewährleistet werden können. [...]

Es ist der Klägerin zu 1 - auch mit ihren Kindern - (noch) zuzumuten, die zeitweilige Aussetzung des Familiennachzuges zu dem nur subsidiär schutzberechtigten Beigeladenen zu 1 hinzunehmen.

Das Gericht geht davon aus, dass es keine starre Dreijahresgrenze gibt, sondern dass eine problematische Lage, ein dringender humanitärer Grund, unter Umständen des Einzelfalles auch schon etwas früher in Betracht kommen kann, umgekehrt aufgrund besonderer abmildernder Umstände aber im Einzelfall auch eine längere Trennung zumutbar sein kann als drei Jahre. Danach stellt sich die Situation der Kläger noch als derzeit (übrigens gegebenenfalls auch noch für eine gewisse weitere Zeit) hinzunehmen dar. [...]

Dies gilt zumal unter den besonderen Umständen des Einzelfalles, in denen - auch wenn in den 1987 vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fällen auch der abmildernde Umstand praktisch in Betracht kam, dass die Eheleute sich alle paar Monate für eine gewisse Besuchszeit im Heimatland hätten treffen können - heutige Kontaktmöglichkeiten technischer Art unvergleichlich besser und - soweit damals überhaupt existent gewesen - auch auf einen Bruchteil günstiger als vor mehr als 30 Jahren geworden sind. Gegenüber seinerzeit oft mehrwöchig schleppendem, dennoch ungewissem Postverkehr und teuren internationalen Ferngesprächen oder gegebenenfalls Telegrammen u.ä. stellt die heutige Technik mit - wie auch in der syrischen Hauptstadt Damaskus - nahezu überall verfügbarer Mobilfunktechnologie für günstige Ferngespräche sowie Internet, die auch simultane Bildtelefonie (z.B. Messengerdienste, Skype u.a.) unaufwändig und flexibel ermöglichen - wie dies nach den Angaben des Beigeladenen zu 1 von ihm und den Klägern, soweit sie dies wollen, auch praktiziert wird -, eine große Verbesserung oder Erleichterung der Kommunikation und durchaus intensiven Kontaktpflege dar. Die früher besonders bedrückende Situation, jeweils längere Zeiten nichts oder allenfalls in begrenztem Umfange etwas von einer wichtigen familiären Bezugsperson zu erfahren und nur unter günstigen Umständen mit ihr überhaupt einmal telefonieren zu können, ist im Falle der Kläger wesentlich anders und entspannter, wobei es ihre eigene Entscheidung ist, ob sie es gerade möchten, ein Telefonat mit oder ohne gleichzeitige Bildübertragung zu führen oder ein Telefonat auch gar nicht durchzuführen. Schon allein die Möglichkeit zu haben, nahezu jederzeit mit dem Beigeladenen zu 1 zu kommunizieren, erlaubt es, den Klägern noch etwas mehr an Zuwarten zuzumuten, als wenn es diese heutigen abmildernden Umstände für sie nicht gäbe. [...] Vielmehr zeigt das Alter der beiden gemeinsamen Kinder von 9 und 7 Jahren, dass die familiäre Beziehung schon länger besteht und demgemäß durch entsprechende gemeinsame Lebenserfahrungen, gute wie schlechte Zeiten, geprägt und bewährt ist und insbesondere durch die Existenz gemeinsamer Kinder besondere Verbundenheit befördert wird. Soweit die Klägerin zu 1 geltend macht, bei allzu langer Trennung möglicherweise einmal biologisch zu alt zu werden, um sich einen angeblich bestehenden weiteren Kinderwunsch mit dem Beigeladenen zu 1 erfüllen zu können, drängt sich eine solche Situation für die Klägerin zu 1 nicht auf, die nicht vor dem besonderen Risiko einer Erstgebärenden steht, vor kurzem gerade erst 36 Jahre alt geworden ist, also noch mehrere Jahre im typischerweise gebärfähigen Alter ist und voraussichtlich - nur - noch einige weitere Monate zuwarten muss, bis es gegebenenfalls zu einem Familiennachzug im Wege einer Kontingentlösung kommt oder dann zwischenzeitlich ein dringlicher humanitärer Fall entstanden sein mag, der dann auf Visumsantrag zum selben Ziele führt. [...] Des weiteren ist vorliegend ein dringender humanitärer Grund für die Klägerin zu 1 auch deswegen - allein, wie auch im Verbund mit den übrigen Gesichtspunkten - (noch) nicht gegeben, weil sie - neben immerhin einer Fernbeziehung der oben beschriebenen Art mit ihrem Mann - ihr Leben gemeinsam mit ihren beiden Kindern führt, also gerade die bedeutsame Mutter-Kind-Beziehung gewährleistet ist, und weitere familiäre Unterstützung und personelle Vertrautheit (namentlich Tante, Großmutter) besteht.

Soweit die Klägerin zu 1 und in der mündlichen Verhandlung insbesondere auch der Beigeladene zu 1 auf eine schlechte Sicherheitslage der Kläger in Damaskus hinweisen, ist nicht näher dargetan, dass dies gerade auch den Klägern Probleme von einem solchen Gewicht bereitete, dass sich im Blick darauf gerade für sie ein dringender humanitärer Grund für eine Visumserteilung ergäbe. Dass die klägerische Familie bereits polizeilichen Kontrollen unterzogen worden sei, wobei auch nach dem Beigeladenen zu 1 und seinem Verbleib gefragt worden sei, ist - ein solches Geschehen einmal als zutreffend unterstellt - für sich genommen nichts den Fall der Kläger aus der allgemeinen Lage in Syrien Heraushebendes. [...]

Dass die Sicherheitslage in der von der syrischen Regierung weitgehend kontrollierten Hauptstadt Damaskus, in der sich die Kläger aufhalten, für sich genommen keinen dringenden humanitären Grund für eine Visumserteilung darstellt, wird schließlich auch dadurch unterstrichen, dass es den Klägern - von gelegentlich besondere Vorsicht empfehlenden Momenten wie nach einem Anschlag abgesehen - durchaus möglich ist, wesentliche Elemente geordneten Lebens wie den - nach Angabe des Beigeladenen zu 1 in der mündlichen Verhandlung häufigen - Schulbesuch der Kinder und einen Besuch bei der Großmutter in anderen Teilen von Damaskus einschließlich der dafür nötigen Fahrten durch die Stadt durchzuführen.

Auch soweit die Kläger zunächst geltend gemacht hatten, dass ihre wirtschaftliche Lage sehr schlecht sei, ergibt sich daraus kein dringender humanitärer Grund für eine Visumserteilung. [...]

bb) Für die Kläger zu 2 und zu 3 gilt - auch unter besonderer Berücksichtigung insbesondere des Aspektes ihres Kindeswohls - zunächst Gleiches wie hinsichtlich ihrer Mutter, der Klägerin zu 1. Vor diesem Hintergrund wird auf das oben stehende zur Begründung verwiesen. Auch für sie gilt insbesondere, dass sie nicht etwa alleingelassene oder unbegleitete Minderjährige sind, sondern mindestens eine der wichtigsten familiären Bezugspersonen - wenn nicht gar die wichtigste Bezugsperson, nämlich ihre Mutter - bei sich haben, weitere Verwandte, nämlich insbesondere Großeltern, Tante sowie sonstige Verwandte der Klägerin zu 1 und des Beigeladenen zu 1 ebenfalls in derselben Stadt zumindest besuchen können oder im Hause haben und auch nicht von einem Kontakt mit dem ihnen fehlenden Vater, dem Beigeladenen zu 1, abgeschnitten sind, sondern nahezu so oft sie dies möchten, jedenfalls oft, telefonieren können und dies auch per Bildtelefonie wahrnehmen können. [...] Soweit die Kläger geltend gemacht haben, dass gerade das jüngere Kind, die Klägerin zu 3, unter einer Spannung psychischen Ursprungs leide, die sich in nächtlicher Schlaflosigkeit und Einnässen (Inkontinenz) manifestiere und dass beide Kinder Albträume hätten, ist dafür nichts Belastbares dargetan. [...]

b) Die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Aufnahme aus völkerrechtlichen oder dringenden humanitären Gründen wären übrigens auch dann nicht gegeben, wenn hier einmal unterstellt wird, dass es nach dem 16. März 2018 zu einer - wie avisierten - ca. 4 ½-monatigen Verlängerung der Aussetzungsregelung mit anschließender modifizierter Wiedereröffnung des Familiennachzugs auch bei nur subsidiär Schutzberechtigten (Kontingentlösung für monatlich bis zu 1.000 Familienangehörige) neben weiter der Möglichkeit der Aufnahme aus völkerrechtlichen oder dringenden humanitären Gründen (§ 22 Satz 1 AufenthG) kommt (vgl. Abdruck in Bundesratsdrucksache 31/18 vom 9. Februar 2018). Insoweit ist nochmals - wie bereits angelegentlich obenstehend miterwähnt - festzuhalten, dass eine moderate Verlängerung der Aussetzung um ca. 4 ½ Monate bis Ende Juli 2018 bei den derzeitigen Umständen der klägerischen Familie und insbesondere dem Zeitablauf noch keine Notwendigkeit bedeutete, den Klägern schon vor dem 31. Juli 2018 aus Gründen ihres Einzelfalles eine Aufenthaltserlaubnis erteilen zu müssen. [...]