VG Karlsruhe

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Zitieren als:
VG Karlsruhe, Beschluss vom 15.03.2018 - A 3 K 2695/18 - asyl.net: M26477
https://www.asyl.net/rsdb/M26477
Leitsatz:

[Keine Ausbildungsduldung bei Abschiebungsanordnung im Dublin-Verfahren:]

1. Es entspricht der gesetzlichen Zielsetzung, wenn der mit der Unzulässigkeitsentscheidung gem. § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG [...] zeitgleich erfolgende Erlass einer Abschiebungsanordnung gem. § 34a Abs 1 Satz 1 AsylG bewirkt, dass der jeweils betroffene und im sog. "Dublin-Verfahren" abzuschiebende Asylbewerber im Regelfall keinen Anspruch auf eine Ausbildungsduldung erwerben kann (Rn. 21) (Rn. 35).

2. Die Stellung eines Antrages gem. § 80 Abs. 5 VwGO mit der in § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylG [...] geregelten Folge lässt nicht das "Bevorstehen konkreter Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung" im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG [...] entfallen.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Ausbildungsduldung, Dublinverfahren, Unzulässigkeit, Abschiebungsanordnung, vorläufiger Rechtsschutz, aufenthaltsbeendende Maßnahmen,
Normen: AylG § 29 Abs. 1 Nr. 1, AsylG § 34a Abs. 1 S. 1, VwGO § 80 Abs. 5, AsylG § 34a Abs. 2 S. 2, AufenthG (§ 60a Abs. 2 S. 4, AufenthG § 60a Abs. 2 S. 3,
Auszüge:

[...]

21 Insbesondere besteht kein Anspruch auf Erteilung einer sog. Ausbildungsduldung als nationales Abschiebungsverbot (§ 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG). Gemäß § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG ist eine Duldung wegen dringender persönlicher Gründe im Sinne von § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG zu erteilen, wenn der Ausländer eine qualifizierte Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf in Deutschland aufnimmt oder aufgenommen hat, die Voraussetzungen nach § 60a Abs. 6 AufenthG nicht vorliegen und konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung nicht bevorstehen. Diese Voraussetzungen liegen hier jedoch nicht vor. Denn der Antragsteller hatte weder während des laufenden Asylverfahrens noch danach einen Anspruch auf Erteilung einer Ausbildungsduldung, welcher weiterhin fortbestehen würde.

22 aa) Die Erteilung einer Ausbildungsduldung setzt zunächst voraus, dass eine vollziehbare Ausreisepflicht besteht, welche erst dann entsteht, wenn dem jeweils Betroffenen der Aufenthalt im Bundesgebiet nicht mehr zur Durchführung des Asylverfahrens gestattet ist; mit anderen Worten, wenn die asylrechtliche Aufenthaltsgestattung erloschen ist (Röder/Wittmann, ZAR 2017, 345 <346>; Thym, ZAR 2017, 241 <250>). Wird also vor dem Erlass der verfahrensbeendenden Behördenentscheidung die Ausbildungsduldung  beantragt, besteht keine vollziehbare Ausreisepflicht, sodass kein Anspruch auf eine Ausbildungsduldung entstehen kann. [...]

24 bb) Auch nach der verfahrensgegenständlichen Entscheidung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 11.10.2017 ist kein Anspruch auf die Erteilung einer Ausbildungsduldung entstanden, weil nach der Bekanntgabe dieser Entscheidung am 14.10.2017 die Voraussetzung des Nichtbevorstehens konkreter Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung nicht (mehr) erfüllt war. Entscheidend ist insofern, zu welchem Zeitpunkt diese Voraussetzung vorliegen muss. Zwar mögen als maßgebliche Zeitpunkte grundsätzlich auch der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, derjenige der Behördenentscheidung oder derjenige der Aufnahme der Berufsausbildung in Betracht kommen (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 13.10.2016 – 11 S 1991/16 –, juris). Sinn und Zweck des Instituts der Ausbildungsduldung entspricht es indes, denjenigen der Antragstellung bei der zuständigen Ausländerbehörde zugrunde zulegen, da diese letztlich der Kern des Rechtsanspruchs ist und hierauf bezogene Einschränkungen nur dann geeignet sind, diesen Rechtsanspruch nicht entstehen zu lassen, wenn sie vorher auf den Weg gebracht worden sind (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 13.10.2016 – 11 S 1991/16 –, juris). [...]

27 Mit der verfahrensbeendenden Unzulässigkeitsentscheidung gem. § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG und dem zeitgleichen Erlass der Abschiebungsanordnung entsteht zwar die vollziehbare Ausreisepflicht als erste Voraussetzung einer Ausbildungsduldung. Gleichzeitig entfällt jedoch jedenfalls dann die Voraussetzung des  Nichtbevorstehens konkreter Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung (§ 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG), wenn – wie hier – mit dieser Unzulässigkeitsentscheidung eine Abschiebungsanordnung in den zuständigen Mitgliedstaat gem. § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG verbunden und erlassen wird. [...]

29 Das Gericht verkennt dabei nicht, dass diese Rechtsauffassung zur Folge hat, dass in Fällen von Personen, deren Asylanträge im sog. "Dublin-Verfahren" auf Grundlage des § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) AsylG in Verbindung mit der Dublin III-VO als unzulässig abgelehnt worden sind, jedenfalls im Regelfall des zeitgleichen Erlasses einer Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG kein Anspruch auf eine Ausbildungsduldung entstehen kann (so auch im Ergebnis Bundesministerium des Innern, Schreiben an die Innenministerien und Senatsverwaltungen für Inneres der Länder vom 01.11.2016 – M3-20010/5#18 –, S. 4; offen gelassen von VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 04.01.2017 – 11 S 2301/16 –, juris; vgl. Röder/Wittmann, ZAR 2017, 345 <350 f.> auch zum Ausnahmefall der Abschiebungsandrohung im Dublin-Verfahren).

30 Dieses Ergebnis entspricht dem Sinn und Zweck des Instituts der Ausbildungsduldung und der § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG zugrunde gelegten gesetzlichen Zielsetzung des Integrationsgesetzes (Integrationsgesetz vom 31.07.2016, BGBl. 2016 I, 1939). [...]

32 Die Zubilligung eines Anspruchs auf Erteilung einer Ausbildungsduldung würde vielmehr zu einer Privilegierung illegaler Sekundärmigration führen, welcher durch das Gemeinsame Europäische Asylsystem und klare unionsweite Zuständigkeitsregelungen entgegengewirkt werden sollte (vgl. hierzu auch Bundesministerium des Innern, Schreiben an die Innenministerien und Senatsverwaltungen für Inneres der Länder vom 01.11.2016 – M3-20010/5#18 –, S. 4, wonach hierdurch das Dublin-Verfahren "ad absurdum" geführt würde). [...]

34 Dass der tatsächliche Vollzugsakt – die Abschiebung selbst – erst noch organisiert und terminiert werden muss, steht dem nicht entgegen (OVG d. Saarlandes, Beschl. v. 26.09.2017 – 2 B 467/17 –, juris). Denn wie  bereits ausgeführt, stand die Durchführung der Abschiebung aufgrund der an die gem. Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO fingierte Annahme des Wiederaufnahmegesuchs anknüpfende Überstellungsfrist von sechs Monaten nicht mehr zur Disposition der hierfür zuständigen Behörde, sondern war vielmehr aufgrund des sog. Dublin-Beschleunigungsgrundsatzes ohne Weiteres absehbar (OVG d. Saarlandes, Beschl. v. 26.09.2017 – 2 B 467/17 –, juris).

35 Auch die am 18.10.2017 erfolgte Stellung des unter dem Aktenzeichen A 3 K 14113/17 des beschließenden Gerichts geführten Antrags gem. § 80 Abs. 5 VwGO ändert hieran nichts. Denn ein solcher Antrag vermag es nicht, die Abschiebung in einen zeitlich nicht überschaubaren oder ungewissen Rahmen zu verlagern und den jeweils Betroffenen in eine Situation wie die in den Gesetzgebungsmaterialien zum Integrationsgesetz beschriebene zu versetzen, sondern allenfalls diese Abschiebung zu verzögern (vgl. OVG d. Saarlandes, Beschl. v. 26.09.2017 – 2 B 467/17 –, juris). [...]