OVG Saarland

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Zitieren als:
OVG Saarland, Urteil vom 20.08.2018 - 1 A 589/17 - asyl.net: M26521
https://www.asyl.net/rsdb/M26521
Leitsatz:

Keine Flüchtlingsanerkennung für ehemaligen Schuldirektor aus Syrien und keine Reflexverfolgung von Familienangehörigen bei Desertion:

1. Keine Verfolgung wegen Aufgabe der Arbeitsstelle als Direktor eines staatlichen Gymnasiums und illegaler Ausreise. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der syrische Staat bei Schuldirektoren, die ihren Arbeitsplatz eigenmächtig verlassen und illegal ausreisen grundsätzlich eine oppositionelle Haltung unterstellt (sich anschließend an OVG Bremen, Urteil vom 24.01.2018 - 2 LB 194/17 - asyl.net: M26101; in Abgrenzung zu OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 12.04.2018 - 1 A 10988/16 - asyl.net: M26347).

2. Allein die Wehrdienstenziehung oder Desertation einer Person bedingt keine Reflexverfolgung für ihre Familienangehörigen (unter Bezug auf VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 09.08.2017 - A 11 S 710/17 - asyl.net: M25430; OVG Sachsen, Urteil vom 07.02.2018 - 5 A 1246/17.A - asyl.net: M26096; VGH Bayern, Urteil vom 22.6.2018 - 21 B 18.30852 - asyl.net: M26612).

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Syrien, politische Verfolgung, Berufsgruppe, Dienstvergehen, Flüchtlingsanerkennung, Upgrade-Klage, subsidiärer Schutz, Schuldirektor, Reflexverfolgung, Familienangehörige, Desertion, Militärdienst, Wehrdienstverweigerung, Sippenhaft, Staatsdienst, Flüchtlingseigenschaft, illegale Ausreise, Aufenthalt im Ausland, Lehrer,
Normen: AsylG § 3,
Auszüge:

[...]

Die Kläger haben keinen Anspruch auf die begehrte Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. [...]

Eine asylrelevante Gefährdung des Klägers zu 1. ergibt sich fallbezogen nicht ausnahmsweise daraus, dass er als Direktor eines staatlichen Gymnasiums und damit als Staatsbediensteter seine Arbeitsstelle eigenmächtig aufgegeben hat und illegal ausgereist ist. [...]

Wie bereits in dem in einem anderen Asylverfahren ergangenen Urteil (OVG des Saarlandes, Urteil vom 20.8.2018 - 1 A 619/17) vom heutigen Tag ausgeführt, überzeugt die allgemein auf Lehrer bezogene Argumentation des Oberverwaltungsgerichts Bremen (OVG Bremen, Urteil vom 24.1.2018, a.a.O., Rdnrn. 60 f.). Dafür dass in Bezug auf Direktoren größerer Schulen losgelöst vom Einzelfall - mithin grundsätzlich - zu deren Gunsten eine abweichende Verfolgungsprognose angezeigt wäre, gibt es nach der Auskunftslage keine durchgreifenden Anhaltspunkte.

Zunächst ist zu sehen, dass von Staatsbediensteten im Allgemeinen und insbesondere auch seitens des syrischen Staates erwartet wird, dass sie sich gegenüber dem Staat loyal verhalten. Ferner ist sämtlichen syrischen Staatsbediensteten grundsätzlich untersagt, das Land ohne eine entsprechende Erlaubnis ihrer Beschäftigungsbehörde zu verlassen. Ausweislich verschiedener Quellen erhalten Bedienstete in nicht sensiblen Bereichen, wie etwa Lehrer, eine solche Erlaubnis in aller Regel ohne Schwierigkeiten und binnen weniger Stunden. Wer ohne Ausreiseerlaubnis an der Grenze kontrolliert werde, werde für zwei oder drei Stunden festgehalten, während derer seine Identität und der Zweck der Reise geklärt würden. Danach sei eine Ausreise unproblematisch möglich. Wer das Land unerlaubt verlassen habe, müsse bei seiner Rückkehr mit einer Untersuchung rechnen, die eine Aufklärung der Gründe zum Ziel habe. Abhängig vom Ergebnis werde dann versucht, eine Lösung zu finden, um eine Rückkehr an den Arbeitsplatz zu erleichtern. Diese Kompromissbereitschaft habe ihre Ursache dann, dass dem Regime daran gelegen sei, sich seine Unterstützer zu erhalten (OVG Bremen, Urteil vom 24.1.2018, a.a.O., Rdnr. 61 m.w.N.; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 12.4.2018 - 1 A 10988/16 -, juris Rdnr. 46 m.w.N.). [...]

Der Fall des Klägers bietet nicht allein mit Blick darauf, dass er nicht "einfacher" Lehrer, sondern Direktor eines mit 560 Schülern durchaus größeren Gymnasiums war, Besonderheiten, die eine andere Einschätzung zur Folge haben müssten.

Soweit das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 12.4.2018, a.a.O., Rdnrn. 45 ff.) basierend auf der aufgezeigten Auskunftslage kürzlich in Bezug auf den Direktor eines Gymnasiums mit rund 450 Schülern zu der Einschätzung gelangt ist, dass unter den konkreten Gegebenheiten beachtlich wahrscheinlich sei, dass diesem Schuldirektor in Anknüpfung an seine illegale Ausreise eine oppositionelle Haltung unterstellt werde, ist dies zunächst argumentativ maßgeblich darauf gestützt, dass er - auch nach außen hin - eine deutlich hervorgehobene Position im syrischen Verwaltungsapparat inne gehabt habe. Zu sehen ist, dass im dortigen Einzelfall aufgrund des im Verlauf des Verfahrens mehrfach ergänzten Vorbringens zu einer etwaigen Vorverfolgung die Frage aufgeworfen war, ob der dortige Kläger einzelne Steigerungen befriedigend zu erklären vermocht hat. Diese Problematik hat das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz offen gelassen, was implizieren könnte, dass es insoweit einen realen Hintergrund des späten Vortrags nicht als gänzlich ausgeschlossen angesehen hat.

Jedenfalls ist die dortige Entscheidung nach Einschätzung des erkennenden Gerichts letztlich das Ergebnis einer einzelfallbezogenen Bewertung des unterbreiteten Lebenssachverhalts. [...]

Zwar trifft zu, dass der Direktor einer Schule für deren Leitung und Außendarstellung verantwortlich ist. Hinzu tritt, dass er in eine enge Zusammenarbeit mit den Schulbehörden und damit mit dem syrischen Verwaltungsapparat eingebunden ist und insoweit im Vergleich zur Bevölkerung und zu "einfachen" Lehrern eine hervorgehobene Position innehat. Dennoch unterscheiden die wenigen verfügbaren Quellen - wohl zu Recht - nicht zwischen der Situation von Lehrern und Schulleitern.

Die Notwendigkeit einer solchen Differenzierung drängt sich nicht auf. Wenngleich der Leiter zumal einer größeren Schule ein Staatsbediensteter in einer hervorgehobenen Position ist, darf nicht verkannt werden, dass es in den Städten und größeren Ortschaften Syriens auch nach 2011 eine Vielzahl von Schulen, auch von größeren Schulen, mit der Folge einer beachtlichen Anzahl gleichwertig beschäftigter Staatsbediensteter gab. Zudem obliegt einem Schulleiter neben seiner Tätigkeit als Lehrkraft eine Verwaltungsaufgabe, deren Kernbereich in der Organisation der Lehrtätigkeit und der Abstimmung der Bildungsangebote mit den Schulbehörden liegt. Dies sind nicht primär als politisch einzustufende Tätigkeiten, was sich als Hintergrund der in der Auskunftslage zu verzeichnenden Zuordnung von Lehrern zu den nicht sensiblen Bereichen des Staatsdienstes darstellen dürfte, und in Bezug auf Schuldirektoren keine grundsätzlich andere Sichtweise zu rechtfertigen vermag. [...]

Nach alldem vermag das erkennende Gericht nicht die Überzeugungsgewissheit zu gewinnen, dass jedem Direktor einer größeren Schule, der seinen Arbeitsplatz und das Land illegal verlassen hat, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung droht.

Dafür dass im Fall des Klägers zu 1. aufgrund hinzutretender konkreter Gegebenheiten ausnahmsweise eine konkrete Verfolgungsgefährdung zu bejahen wäre, liegen nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung keine Anhaltspunkte vor. [...]

Schließlich drohen den Klägern als Eltern bzw. Geschwistern eines Deserteurs in Syrien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungsmaßnahmen seitens des syrischen Regimes.

Das Verfahren .../17 des ältesten Sohnes der Familie, der angeblich 2012 aus der Armee desertiert sein soll, ist derzeit noch anhängig. Eines Zuwartens auf den Ausgang des Verfahrens und die vom Zweiten Senat zu treffende Entscheidung über die Glaubhaftigkeit und gegebenenfalls die rechtliche Relevanz des Vortrags, desertiert zu sein, bedarf es nicht. Denn falls dem ältesten Sohn die Flüchtlingseigenschaft wegen einer infolge Desertion beachtlich wahrscheinlichen Verfolgungsgefahr zuerkannt würde, würde dies nicht bedingen, dass den Klägern des vorliegenden Verfahrens mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit als Eltern bzw. Geschwistern eines Deserteurs eine sogenannte Reflexverfolgung drohen würde. [...]