OVG Berlin-Brandenburg

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Zitieren als:
OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 15.11.2018 - 3 S 87.18 - asyl.net: M26575
https://www.asyl.net/rsdb/M26575
Leitsatz:

Eilrechtsschutz gegen Rückführung Schutzberechtigter nach Bulgarien wegen uneinheitlicher Rechtsprechung:

Die obergerichtliche Rechtsprechung zu der Aufnahmesituation für international Schutzberechtigte in Bulgarien ist uneinheitlich. Die Rechtsfrage ist durch das angerufene Gericht noch nicht abschließend geklärt. Die Abwägung zwischen dem Vollzugsinteresse an der Vollziehung der nach § 75 AsylG sofort vollziehbaren Abschiebungsandrohung und dem Aussetzungsinteresse führt dazu, dass letzteres überwiegt.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Bulgarien, Abschiebungsandrohung, Abschiebungsverbot, Suspensiveffekt, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, Europäische Menschenrechtskonvention, internationaler Schutz in EU-Staat, vorläufiger Rechtsschutz, uneinheitliche Rechtsprechung,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 5, EMRK Art. 3, VwGO § 80 Abs. 7,
Auszüge:

[...]

3 Die Abwägung zwischen dem Interesse der Antragsgegnerin an der Vollziehung der nach § 75 AsylG sofort vollziehbaren Abschiebungsandrohung und dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers führt dazu, dass letzteres überwiegt. Die Frage, ob anerkannt Schutzberechtigte (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG), zu denen der Antragsteller aufgrund der Zuerkennung des Flüchtlingsstatus durch die bulgarischen Behörden zählt, bei ihrer Rückkehr nach Bulgarien aufgrund der dort für sie herrschenden Lebensverhältnisse einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung (§ 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK) ausgesetzt sind, sodass ihnen die Abschiebung dorthin nicht angedroht werden darf (§ 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG), wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung gegensätzlich beurteilt. Während das Oberverwaltungsgericht Magdeburg die Frage im Beschluss vom 31. August 2016 – 3 L 94/16 – (juris Rn. 11 ff.) verneint hat, gehen mehrere Oberverwaltungsgerichte (OVG Schleswig, Urteil vom 24. Mai 2018 – LB 17/17 – juris Rn. 57 ff.; OVG Saarlouis, Urteil vom 19. April 2018 – 2 A 737/17 – juris Rn. 18 ff.; OVG Lüneburg, Urteil vom 29. Januar 2018 – 10 LB 82/17 – juris Rn. 26 ff.) gestützt auf neuere Erkenntnisquellen (Auswärtiges Amt, Auskunft an das OVG Lüneburg vom 18. Juli 2017; Ilareva, Expertise zu der aktuellen rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Situation anerkannter Schutzberechtigter in Bulgarien vom 7. April 2017 an das OVG Lüneburg, deutsche Übersetzung; Amnesty International, Report Bulgarien 2017/18 [Stand 12/2017]), die auch in den im Tenor genannten Beschlüssen des Verwaltungsgerichts Berlin noch nicht berücksichtigt worden sind, davon aus, dass anerkannt Schutzberechtigte in Bulgarien Gefahren im Sinne von Art. 3 EMRK zu erwarten haben. Eine grundsätzliche Klärung der Frage ist jedenfalls durch das beschließende Gericht bislang nicht erfolgt, sodass sie als derzeit offen anzusehen ist (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 4. September 2018 – OVG 3 M 1.18 – juris Rn. 2). Offen ist auch die daran anknüpfende Frage, ob ein Mitgliedstaat unionsrechtlich gehindert ist, einen Antrag auf internationalen Schutz wegen Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in einem anderen Mitgliedstaat als unzulässig abzulehnen, wenn die Ausgestaltung des internationalen Schutzes, namentlich die Lebensbedingungen für Flüchtlinge, in dem anderen Mitgliedstaat nicht den Anforderungen der Art. 20 ff. der Richtlinie 2011/95/EU entspricht und/oder gegen Art. 4 GR-Charta beziehungsweise Art. 3 EMRK verstößt (vgl. BVerwG, Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH, Beschluss vom 2. August 2017 – 1 C 37/16 – juris) und auch aus diesem Grund die Abschiebung nach Bulgarien nicht angedroht werden darf (§ 35 AsylG). Die Abwägung der widerstreitenden Belange führt zur Aussetzung der Abschiebung. Auf Seiten des Antragstellers kommt der Eintritt von Gefährdungen im Sinne von Art. 3 EMRK in Betracht, denen das lediglich zeitlich gefährdete Abschiebungsinteresse der Antragsgegnerin gegenübersteht. [...]