VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Beschluss vom 26.09.2018 - 9 L 657.18 A - asyl.net: M26610
https://www.asyl.net/rsdb/M26610
Leitsatz:

Kein Schutzstatus oder Abschiebungsverbot für afghanischen Mann aus Paktia im Eilverfahren:

1. In der Provinz Paktia herrscht bei Weitem nicht ein solches Ausmaß willkürlicher Gewalt, dass mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr bestünde, ziviles Opfer des Konfliktes in dieser Provinz zu werden. Ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt i.S.d. § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG vorliegt, kann offen bleiben.

2. Die UNHCR-Richtlinien zu Afghanistan vom 30.08.2018 treffen keine Aussage zur Lage in Kabul hinsichtlich eines Abschiebungsverbotes, sondern nur zur Einstufung als interne Fluchtalternative und decken sich diesbezüglich nicht mit dem Bericht des EASO (Common Analysis, Juni 2018).

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Afghanistan, Paktia, Kabul, Abschiebungsverbot, subsidiärer Schutz, interne Fluchtalternative, UNHCR, UNHCR-Guidelines, UNHCR-Richtlinien, EASO, beachtlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab, Gefahrenprognose, ziviles Opfer, extreme Gefahrenlage, Zivilbevölkerung,
Normen: VwGO § 80 Abs. 7, VwGO § 80 Abs. 7 S. 2, AsylG § 4, AufenthG § 60 Abs. 5,
Auszüge:

[...]

Das Vorbringen des Antragstellers, ihm sei die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, trifft nicht zu. [...]

2. Auch der weitere Vortrag des Antragstellers, ihm sei subsidiärer Schutz zuzuerkennen, kann keinen Anspruch auf Abänderung der Beschlüsse vom 17. Juli 2018 und vom 3. September 2018 begründen. Dazu dass ihm in Afghanistan die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG), oder Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG) drohe, hat er nicht weiter vorgetragen. Auch die Voraussetzungen von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG liegen weiterhin nicht vor. Dabei kann offen bleiben, ob in der Provinz Paktia, der als Zielort zu betrachtenden Herkunftsprovinz des Antragstellers (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Juli 2009 - BVerwG 10 C 9/08 -, juris Rn. 17), ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt herrscht (zu den Voraussetzungen vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 4/09 -, juris Rn. 22 ff.; VG Berlin, Urteil vom 30. Juni 2011 - VG 33 K 229.10 A -, juris Rn. 55 ff.). Denn die in der Provinz Paktia stattfindenden Anschläge und sicherheitsrelevanten Vorfälle erreichen bei Weitem nicht ein solches Ausmaß willkürlicher Gewalt, dass für den Antragsteller mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr bestünde, ziviles Opfer des Konfliktes in dieser Provinz zu werden. [...]

In der Provinz Paktia wurden im Jahr 2017 86 Zivilpersonen pro 100.000 Einwohner getötet (vgl. EASO, Country Guidance: Afghanistan, Guidance note and common analysis, Juni 2018, S. 88). Die Wahrscheinlichkeit, ziviles Opfer des innerstaatlichen Konflikts in der Provinz Paktia zu werden, betrug im vergangenen Jahr somit 0,086 Prozent. Dies ist weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt. Gefahrerhöhende persönliche Umstände in der Person des Antragstellers liegen nicht vor.

3. Schließlich ergibt sich auch aus den aktuelleren Erkenntnismitteln, insbesondere den UNHCR Eligibility Guidelines For Assessing The International Protection Needs Of Asylum-Seekers From Afghanistan vom 30. August 2018 (UNHCR Guidelines) nicht, dass der Antragsteller nach der im einstweiligen Rechtsschutz allein möglichen summarischen Prüfung einen Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebeverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG hat. [...]

Aus den UNHCR Guidelines ergibt sich nicht, dass ein solch hohes Gefährdungsniveau in Afghanistan landesweit vorliegt. Der UNHCR kommt trotz der Feststellungen zu einer verschlechterten Wirtschaftslage und verschärften Konkurrenzsituation zu dem Ergebnis, dass "alleinstehende, nicht behinderte, leistungsfähige Männer sowie verheiratete Paare im berufsfähigen Alter" ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf unter bestimmten Umständen ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in "urbanen und semi-urbanen Umgebungen" leben können, die die notwendige Infrastruktur sowie Erwerbsmöglichkeiten zur Sicherung der Grundversorgung bieten und unter tatsächlicher staatlicher Kontrolle stehen (UNHCR, Richtlinien von August 2018, S. 110). Hinzu kommt, dass die aktuelle Situation in Kabul nicht im Hinblick auf die Voraussetzungen eines Abschiebeverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG und Art. 3 EMRK, sondern als interne Fluchtalternative i.S.d. § 3e AsylG geprüft wurde (UNHCR Guidelines, 30. August 2018, Seite 112 ff.) und sich das diesbezüglich gefundene Ergebnis nicht mit dem des European Asylum Support Office deckt. Hier heißt es, dass die Städte Kabul, Herat und Mazar-e Sharif für alleinstehende und leistungsfähige Männer im erwerbsfähigen Alter generell interne Fluchtalternativen darstellen und dies auch ohne unterstützendes Netzwerk. Danach kann davon ausgegangen werden, dass es ihnen dort möglich ist, sich ihre Existenz zu sichern (EASO, Common Analysis, Juni 2018, Seite 106). [...]