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Zitieren als:
BAMF, Bescheid vom 08.10.2018 - Az. unbek. - asyl.net: M26640
https://www.asyl.net/rsdb/M26640
Leitsatz:

Krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot für junge Frau mit schwerer PTBS, der bei Rückkehr nach Tschetschenien die Gefahr einer Retraumatisierung droht.

(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Russische Föderation, PTBS, Tschetschenien, Posttraumatische Belastungsstörung, psychische Erkrankung, Retraumatisierung, Abschiebungsverbot, krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 2, AufenthG § 60 Abs. 1, AufenthG § 60 Abs. 5, AufenthG § 60 Abs. 7,
Auszüge:

[...]

Zwar kommt das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 5 AufenthG vorliegend nicht in Betracht. Es sind jedoch die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gegeben.

Von einer Abschiebung gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn für den Ausländer eine erhebliche und konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht (BVerwG, U. v. 13.01.2013, 10 C 15.12, Rdnr. 37). [...]

In den medizinischen Unterlagen wird der Antragstellerin attestiert, dass sie aufgrund einer rezidivierenden depressiven Störung, ggw. schwer, ohne psychotische Symptome und einer posttraumatischen Belastungsstörung - auch stationär - behandelt wird.

Eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) stellt nach gesetzgeberischer Wertung grundsätzlich keine lebensbedrohliche und schwerwiegende Erkrankung dar, die sich durch eine Abschiebung wesentlich verschlechtern würde (vgl. BT-Drs. 18/7538, S. 18). Im hier vorliegenden Fall liegen jedoch hinreichende Anhaltspunkte dafür vor, dass die Abschiebung bei der Antragstellerin zu einer wesentlichen Gesundheitsgefährdung bis hin zur Selbstgefährdung führen könnte und die Erkrankung der Antragstellerin damit - ausnahmsweise doch als eine solche schwerwiegende Erkrankung einzustufen ist.

Die Androhung einer Abschiebung, so wird in der fachärztlichen Stellungnahme vom … 2017 erklärt, und die Trennung von der restlichen Familie (Mutter und Geschwister) könne zu einer Retraumatisierung der Patientin führen. Das Wiedererleben der Umstände, denen die Antragstellerin als Kind und junge Frau in Tschetschenien ausgesetzt gewesen ist, könne zu einer akuten Gefährdung durch eine Retraumatisierung führen.

Nach Auswertung aller vorliegenden ärztlichen Unterlagen und unter Beachtung der hier vorliegenden individuellen Sachverhalte ergibt sich, dass die Gefahr einer Retraumatisierung nicht nur im Zusammenhang mit dem Abschiebeprozess akut besteht, sondern eben nach Rückkehr in den Herkunftsstaat aufgrund des Wiedererlebens/Wiedersehens der dortigen Gegebenheiten. Damit droht der Antragstellerin bei Rückkehr in die Russische Föderation alsbald eine konkrete lebensbedrohliche Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes auf Grund des Schweregrades der bestehenden posttraumatischen Belastungsstörung. Bei der Entscheidung wurde auch der Aufenthalt der Antragstellerin von 2014 bis Juni 2017 in der Russischen Föderation berücksichtigt. Weiter wird darauf verwiesen, dass sich die Antragstellerin in der Bundesrepublik Deutschland wiederholt über längere Zeiträume hinweg in stationärer/teilstationärer Behandlung befunden hat.

Die im Entlassungsbrief des Klinikums ... vom … 2018 aufgeführte Schwangerschaft der Antragstellerin führt - darauf wird ergänzend hingewiesen - nicht zur Feststellung von Abschiebungsverboten.

Die Schwangerschaft der Antragstellerin ist als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis von der zuständigen Ausländerbehörde zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.11.1997 - 9 C 13.96 -, BverwGE 105, 322). [...]