OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 28.11.2018 - 13 ME 473/18 - Asylmagazin 3/2019, S. 75 f. - asyl.net: M26821
https://www.asyl.net/rsdb/M26821
Leitsatz:

Kein Anspruch auf Familiennachzug oder Duldung für Familienangehörige von Personen mit einer Ausbildungsduldung:

"1. Familienangehörige des Inhabers einer bloßen Ausbildungsduldung können weder einen Familiennachzug noch eine Aussetzung der Abschiebung wegen einer im Bundesgebiet bestehenden familiären Lebens­gemeinschaft beanspruchen.

2. Einem Ausländer, der ausschließlich eine Ausbildungsduldung nach § 60a Abs. 2 Satz 3 ff. AufenthG innehat, ist es grundsätzlich zumutbar, gemeinsam mit anderen Familienangehörigen das Bundesgebiet zu verlassen und eine gewünschte familiäre Lebensgemeinschaft im Ausland zu führen."

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Ausbildungsduldung, Familiennachzug, familiäre Lebensgemeinschaft, Duldung, Abschiebungshindernis, Schutz von Ehe und Familie, Familieneinheit,
Normen: AufenthG § 60a Abs. 2 S. 1, GG Art. 6, AufenthG § 60a Abs. 2 S. 3, GG Art. 6 Abs. 1, EMRK Art. 8 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

6 Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG gebieten es aber regelmäßig nicht, dem Wunsch eines Ausländers nach familiärem Zusammenleben im Bundesgebiet zu entsprechen, wenn ein solches Zusammenleben auch im Heimatland des Ausländers oder eines Familienangehörigen zumutbar möglich ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 12.5.1987, a.a.O., S. 43 f. und 57; Senatsurt. v. 8.2.2018 - 13 LB 45/17 -, juris Rn. 63; Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 1.12.2010 - 8 ME 292/10 -, juris Rn. 14; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 18.4.2007 - 11 S 1035/06 -, juris Rn. 53 jeweils m.w.N.). Ob es dem Ausländer oder Familienangehörigen zuzumuten ist, das Bundesgebiet zu verlassen und die familiäre Lebensgemeinschaft in einem anderen Land zu führen, hängt dabei maßgeblich von dem aufenthaltsrechtlichen Status des Ausländers oder Familienangehörigen im Bundesgebiet ab (vgl. bspw. BVerwG, Urt. v. 30.4.2009 - BVerwG 1 C 3.08 -, NVwZ 2009, 1239, 1240 f.; OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 4.2.2008 - 11 B 4.07 -, juris Rn. 37 (Zumutbarkeit bejaht bei Innehaben einer Niederlassungserlaubnis); Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 2.2.2011, a.a.O., S. 152 (Zumutbarkeit verneint bei Innehaben einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK (Schutz des Privatlebens)); OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 24.8.2009 - 17 B 1224/09 -, juris Rn. 9 f. (Zumutbarkeit verneint bei Innehaben einer Aufenthaltserlaubnis nach § 23 AufenthG i.V.m. Bleiberechtsregelung 2006); VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 5.2.2009 - 11 S 3244/08 -, juris Rn. 2 und 17 (Aufenthaltserlaubnis nach § 23a AufenthG als gesichertes Aufenthaltsrecht)). [...]

8 Unter Berücksichtigung des konkreten Aufenthaltsstatus der Kindesmutter (und des gemeinsamen Kindes) ist es diesen im vorliegenden Einzelfall aber zuzumuten, das Bundesgebiet zu verlassen, um mit dem Antragsteller eine familiäre Lebensgemeinschaft in ihrem Heimatland Albanien zu führen.

9 Die Kindesmutter verfügt nach unstreitigem Vortrag nur über eine sog. "Ausbildungsduldung" nach § 60a Abs. 2 Satz 3 ff. AufenthG. Das Vorliegen auch nur der tatbestandlichen Voraussetzungen für die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen, etwa nach § 25 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK oder nach § 25a Abs. 1 AufenthG, ist nicht ansatzweise glaubhaft gemacht. Satz 5 der danach allein in den Blick zu nehmenden Vorschrift des § 60a Abs. 2 AufenthG sieht die Erteilung einer Duldung für die im Ausbildungsvertrag bezeichnete Dauer der Berufsausbildung vor. Lediglich nach erfolgreichem Abschluss dieser Ausbildung besteht nach § 18a Abs. 1a AufenthG unter den dort genannten Voraussetzungen ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für weitere zwei Jahre. In diesem Stadium befindet sich die Kindesmutter aber zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt nicht. Sie ist lediglich im Besitz einer Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 3 ff. AufenthG. Nach der Systematik des Aufenthaltsgesetzes ist sie mithin weiterhin vollziehbar ausreisepflichtig, ihr geduldeter Aufenthalt ist weder rechtmäßig noch auf Dauer angelegt (vgl. § 60a Abs. 3 AufenthG). Die Regelung des § 60a Abs. 2 Satz 3 ff. AufenthG dient lediglich dazu, den Geduldeten und ausbildenden Betrieben Rechtssicherheit für die Zeit der Ausbildung und für einen begrenzten Zeitraum danach zu verschaffen und das diesbezügliche aufenthaltsrechtliche Verfahren zu vereinfachen (vgl. BR-Drs. 266/16, S. 48 f.). Anders als in den Fällen, in denen humanitäre Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen eine vorübergehende Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet erfordern, beruht die Ausbildungsduldung auf der persönlichen Entscheidung des Ausländers, gegebenenfalls trotz vollziehbarer Ausreisepflicht von Angehörigen eine Berufsausbildung in Deutschland aufzunehmen. Entsprechend ergeben sich unmittelbar aus der Erteilung einer Ausbildungsduldung weder Möglichkeiten des Familiennachzugs noch ein Anspruch auf Erteilung von Duldungen an Familienangehörige (vgl. Allgemeine Anwendungshinweise des BMI v. 30.5.2017 zur Duldungserteilung nach § 60a AufenthG, S. 15). Weder Systematik, gesetzgeberischer Wille noch Sinn und Zweck des § 60a Abs. 2 Satz 3 ff. AufenthG begründen mithin ein derart verfestigtes Bleiberecht, dass ein Verzicht auf dieses Recht und ein Verlassen des Bundesgebiets dem Duldungsinhaber unzumutbar sein könnte. Auch im vorliegenden Fall muss die Kindesmutter vielmehr persönlich entscheiden und dies ist ihr auch durchaus zuzumuten, ob sie ihre Ausbildung im Bundesgebiet fortsetzen und die Chance auf eine Aufenthaltserlaubnis nach § 18a Abs. 1a AufenthG - unter Hinnahme einer vorübergehenden Trennung vom Kindesvater - wahren oder ob sie mit diesem und dem gemeinsamen Kind im Ausland eine familiäre Lebensgemeinschaft führen will. [...]

16 2. Schließlich kann der Antragsteller auch eine Aussetzung der Abschiebung im Ermessenswege nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG nicht beanspruchen.

17 Aus den gesetzlichen Regelungen, die weder einen Familiennachzug noch die Aussetzung der Abschiebung der Familienangehörigen im Falle der Erteilung einer Ausbildungsduldung an einen Familienangehörigen vorsehen, folgt vielmehr, dass auch dringende persönliche Gründe im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG regelmäßig nicht schon deshalb zu bejahen sind, weil sich ein Familienmitglied für die Aufnahme einer Ausbildung im Bundesgebiet entscheidet und infolge dessen mit einer Trennung der Familienmitglieder für die Dauer der Ausbildung zu rechnen ist. Dies ist mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK und auch Art. 2 und 3 der UN-Kinderrechtskonvention regelmäßig nicht zu beanstanden, weil die damit verbundene Trennung der Familienangehörigen auf der persönlichen Entscheidung des Ausländers beruht, trotz vollziehbarer Ausreisepflicht der übrigen Familienangehörigen eine Ausbildung im Bundesgebiet aufzunehmen (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 14.11.2017 - 18 B 1169/17 -, juris Rn. 12). Im Übrigen hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht, dass das dem Antragsgegner zukommende Ermessen auch dahin reduziert ist, die Abschiebung auszusetzen. [...]