OVG Rheinland-Pfalz

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Zitieren als:
OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 20.12.2018 - 10 A 11029/18 - asyl.net: M26907
https://www.asyl.net/rsdb/M26907
Leitsatz:

Keine Verletzung subjektiver Rechte durch 30tägige Ausreisefrist entgegen dem Gesetz:

Ein Ausländer wird durch eine Abschiebungsandrohung, die objektiv rechtswidrig ist, weil in ihr statt einer Ausreisefrist von einer Woche gemäß § 36 Abs. 1 AsylG eine solche von 30 Tagen nach § 38 Abs. 1 Satz 1 AsylG gesetzt wurde, nicht in subjektiven Rechten verletzt (im Anschluss an BVerwG, Beschluss vom 4. November 2005 - 1 B 5805 -, juris, Rn. 4 m.w.N.).

(Amtlicher Leitsatz, ähnlich auch OVG Niedersachsen, Beschluss vom 21.12.2018 - 10 LB 201/18 – asyl.net: M26898)

Schlagwörter: internationaler Schutz in EU-Staat, Abschiebungsandrohung, Unzulässigkeit, Ausreisefrist, aufschiebende Wirkung, Suspensiveffekt, Rechtsschutzinteresse, subjektives Recht, Anerkannte,
Normen: AsylG § 36 Abs. 1, AsylG § 38 Abs. 1 S. 1, AsylG § 36, AsylG § 37 Abs. 1 S. 1, AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2, AsylG § 75 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

6 2. Des Weiteren hält der Kläger die Frage für grundsätzlich bedeutsam, ob eine objektiv rechtswidrige Abschiebungsandrohung den betroffenen Ausländer in seinen Rechten im Sinne des § 113 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – verletzt. Diese Frage rechtfertigt schon deshalb nicht die Zulassung der Berufung, weil sie nicht klärungsbedürftig ist. Vielmehr lässt sie sich ohne Durchführung eines Berufungsverfahrens anhand des Gesetzes und der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dahingehend beantworten, dass ein Ausländer die Aufhebung einer Abschiebungsandrohung nicht deshalb beanspruchen kann, weil in ihr statt einer Ausreisefrist von einer Woche gemäß § 36 Abs. 1 AsylG eine solche von 30 Tagen nach § 38 Abs. 1 Satz 1 AsylG gesetzt wurde.

7 Zwar ist das Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz als allgemeine Handlungsfreiheit im umfassenden Sinn zu verstehen, das auch die Gewährleistung enthält, nur aufgrund solcher Vorschriften mit einem Nachteil belastet zu werden, die formal und materiell der Verfassung gemäß sind. Da der Adressat eines belastenden Verwaltungsakts stets einem staatlichen Freiheitseingriff unterliegt, folgt nach der sog. Adressatentheorie allein hieraus ein Klagerecht nach § 42 Abs. 2 VwGO. Konsequenterweise und korrespondierend hiermit muss eine als Eingriff in die Freiheit ihres Adressaten zu bewertende behördliche Verfügung regelmäßig nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufgehoben werden, wenn die Sach- und Rechtsprüfung ergibt, dass der grundrechtliche Anspruch auf Gesetzmäßigkeit durch die Eingriffsverwaltung verletzt wurde, denn der Eingriff ist dann nicht durch die Ermächtigungsgrundlage gedeckt. Jedoch können sich in durch besondere Normstrukturen gekennzeichneten Ausnahmefällen das Bedürfnis einer näheren Begründung dieser Regel oder eine Ausnahme von ihr ergeben (BVerwG, Beschluss vom 19. Juli 2010 – 6 B 20/10 –, juris, Rn. 16).

8 Einen solchen Ausnahmefall hat das Bundesverwaltungsgericht anerkannt, wenn eine bestimmte materiell-rechtliche oder verfahrensrechtliche Anforderung ausschließlich dazu bestimmt ist, dem öffentlichen Interesse zu dienen. Dann ist eine diese Anforderung verletzende Handlung der Verwaltung zwar objektiv rechtswidrig, es fehlt jedoch an der Verletzung eines subjektiven, dem Einzelnen zustehenden Rechts im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO, so dass den Verwaltungsgerichten die Aufhebung eines nur objektiv rechtswidrigen Verwaltungsakts verwehrt und insoweit in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise auch die allgemeine Handlungsfreiheit begrenzt ist. Diese Voraussetzungen hat das Bundesverwaltungsgericht in dem Gebot eines „unverzüglichen“ Widerrufs der Anerkennung als politischer Flüchtling in § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG 1992 als erfüllt angesehen. Danach dient die Pflicht zum unverzüglichen Widerruf der Anerkennung als Asylberechtigter und als politischer Flüchtling allein dem öffentlichen Interesse an der alsbaldigen Beendigung der dem Ausländer nicht (mehr) zustehenden Rechtsposition. Deshalb kann ein als asylberechtigt Anerkannter nicht dadurch in seinen Rechten verletzt werden, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einen - ansonsten berechtigten – Widerruf nicht unverzüglich, sondern später ausspricht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 4. November 2005 – 1 B 58/05 –, juris, Rn. 4 m.w.N.).

9 Diese Rechtsprechung ist auf den vorliegenden Fall übertragbar, da die in § 36 Abs. 1 AsylG objektivrechtlich gebotene Ausreisefrist von einer Woche auf dem Beschleunigungskonzept des Gesetzgebers beruht (vgl. Marx, AsylG, 9. Aufl. 2017, § 36 Rn. 5) und damit ausschließlich dem öffentlichen Interesse an der Beendigung des Aufenthalts eines Ausländers dient, dem bereits ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union internationalen Schutz im Sinne des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt hat. Deshalb kann die Setzung einer hiervon abweichenden längeren Frist keine Verletzung subjektiver Rechte darstellen (so im Ergebnis auch: VG Göttingen, Urteil vom 15. Oktober 2018 – 3 A 745/17 -, juris, Rn. 41 ff.; VG Düsseldorf, Urteil vom 04. September 2018 - 22 K 16303/17.A -, juris, Rn. 30 f.; VG Chemnitz, Beschluss vom 27. August 2018 - 3 L 354/18.A -, juris, Rn. 36; VG Schwerin, Urteil vom 18.06.2018 - 3 A 3589/17 As SN -, juris, Rn. 53; a.A.: VG Berlin, Beschluss vom 25. Januar 2018 – VG 28 L 872.17 A -, juris, Rn. 9; VG Bayreuth, Urteil vom 1. Dezember 2017 – B 3 K 17.33153 -, juris, Rn. 33). Etwas Anderes folgt entgegen der Auffassung des Klägers nicht aus der Rechtsprechung zum Verhältnis zwischen Abschiebungsandrohung und Abschiebungsanordnung, da es sich hierbei um eine gänzlich andere Fallkonstellation handelt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. Oktober 2015 – 1 B 41/15 -, juris, Rn. 15; BayVGH, Beschluss vom 14. Juni 2016 - 21 ZB 16.30074 -, juris, Rn. 11).

10 Ein rechtlicher Nachteil, der ein subjektives Recht auf Aufhebung einer Abschiebungsandrohung, welche mit einer Ausreisefrist von 30 Tagen verbunden ist, kann auch nicht damit begründet werden, dass durch die Fristsetzung die Spezialregelung des § 36 i.V.m. § 37 Abs. 1 Satz 1 AsylG für das Verfahren bei Unzulässigkeit eines Asylantrags nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG umgangen werde. Denn entgegen der Auffassung des Klägers ändert die Ausreisefrist von 30 Tagen, welche in § 38 Abs. 1 AsylG für Abschiebungsandrohungen bei sonstiger Ablehnung eines Asylantrages zu setzen ist, nichts daran, dass die hier angefochtene Abschiebungsandrohung in einem Verfahren erlassen wurde, in dem ein Asylantrag nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG unzulässig ist. Somit handelt es bei der in Rede stehenden Abschiebungsandrohung unabhängig von der Länge der gesetzten Frist um eine solche nach § 36 Abs. 1 AsylG. Weil demnach kein Fall des § 38 Abs. 1 AsylG vorliegt, hat die hiergegen erhobene Klage gemäß § 75 Abs. 1 AsylG keine aufschiebende Wirkung, so dass ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft war (vgl. VG Trier, Beschluss vom 13. Dezember 2017 – 7 L 14132/17.TR –, juris, Rn. 2 ff.; a.A. VG Chemnitz, Beschluss vom 27. August 2018 – 3 L 354/18.A -, juris , Rn. 16 ff.). Ein solcher nach § 37 Abs. 1 Satz 1 AsylG zu stellender Antrag hätte im vorliegenden Fall keinen Erfolg gehabt, da – worauf das Verwaltungsgericht zu Recht hingewiesen hat – an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Bundesamtes über die Unzulässigkeit nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG keine ernstlichen Zweifel im Sinne des § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG bestehen. Insofern verweist der Senat auf die zulassungsrechtlich nicht mit Erfolg angegriffenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts zum Nichtbestehen eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG. [...]