SG Leipzig

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Zitieren als:
SG Leipzig, Beschluss vom 06.12.2018 - S 1 AL 232/18 ER - Asylmagazin 4/2019, S. 132 ff. - asyl.net: M26917
https://www.asyl.net/rsdb/M26917
Leitsatz:

Weder aufstockende AsylbLG-Grundleistungen noch SGB-Härtefall nach 15 Monaten für Auszubildende:

1. Fällt eine Person, die berechtigt ist Analogleistungen nach § 2 AsylbLG zu beziehen, unter die Ausschlussklausel des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB XII, weil sie grundsätzlich berechtigt ist Ausbildungsförderung zu erhalten, ist weder ein "Aufstocken" mit Grundleistungen nach § 3 AsylbLG möglich, noch die Annahme eines Härtefalls iSd. § 22 Abs. 1 S. 2 SGB XII (ausdrücklich entgegen: SG Dresden, Beschluss vom 16.01.2018 - S 20 AY 46/17 ER - asyl.net: M26339).

2. Bei der Prognose, ob ein rechtmäßiger dauerhafter Aufenthalt gem. § 132 SGB III zu erwarten ist, der Voraussetzung für Ausbildungsbeihilfe ist, muss neben der Gesamtschutzquote des betreffenden Herkunftsstaats im Hauptsacheverfahren geprüft werden, ob individuelle Umstände der betroffenen Person zu berücksichtigen sind.

(Leitsätze der Redaktion; der Beschluss ist nicht rechtskräftig, da die Bundesarbeitsagentur Beschwerde eingelegt hat und das Verfahren beim LSG Sachsen unter dem Az. L 3 AL 171/18 B ER anhängig ist)

Anmerkung:

Schlagwörter: Asylverfahren, Asylbewerber, Asylsuchende, Ausbildung, Berufsausbildung, Berufsausbildungsbeihilfe, einstweilige Anordnung, Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, Asylbewerberleistungsgesetz, Sozialleistungen, Analogleistungen, Ausbildungsförderung, Aufstockungsleistungen, SGB XII, SGB III, Existenzminimum, Studium, schulische Ausbildung, betriebliche Ausbildung
Normen: AsylbLG § 1 Abs. 1 Nr. 1, AsylbLG § 2 Abs. 1, AsylbLG § 3, SGB XII § 22 Abs. 1 S. 1, SGB III § 51, SGB III § 57, SGB III § 58, SGB XII § 22 Abs. 1 S. 2, SGB XII § 23 Abs. 2, SGB III § 59 Abs. 2, SGB III § 59, SGB III § 132 Abs. 1 S. 1 Nr. 2,
Auszüge:

[...]

21 Dem Antragsteller war Berufsausbildungsbeihilfe im Wege der einstweiligen Anordnung zuzusprechen. Da derzeit offen ist, ob ein Anordnungsanspruch besteht, war eine Folgenabwägung zu seinen Gunsten vorzunehmen. Ein Anspruch auf Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) gegen den Beigeladenen besteht hingegen nach summarischer Prüfung nicht. [...]

29 [...] Die Aufstockung sogenannter "Grundleistungen" nach § 3 AsylbLG kommt ebenso wenig in Betracht wie die Gewährung von "Analogleistungen" als Härtefall.

30 Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 AsylbLG sind Ausländer leistungsberechtigt, die sich im Bundesgebiet aufhalten und eine Aufenthaltsgestattung nach dem Asylgesetz besitzen. Der Antragsteller besitzt einen solchen Aufenthaltstitel, der ihm gemäß § 55 Asylgesetz den Aufenthalt im Bundesgebiet gestattet zur Durchführung des Asylverfahrens. Da er sich zum 01.03.2017 seit 15 Monaten ohne wesentliche Unterbrechungen im Bundesgebiet aufgehalten hatte, ohne die Dauer seines Aufenthalts rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst zu haben, waren dem Antragsteller Analogleistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG zu gewähren. Die (weitere) Gewährung von Grundleistungen nach § 3 AsylbLG kam nicht in Betracht. Sowohl § 2 AsylbLG als auch § 3 AsylbLG formulieren Ansprüche. Ein Ermessensspielraum besteht nicht. Der Beigeladene war daher dazu verpflichtet, dem Antragsteller Leistungen entsprechend dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) zu gewähren. Die vom SG Dresden im Beschluss vom 16.01.2018 (Az.: S 20 AY 46/17 ER) vorgenommene verfassungskonforme Auslegung dahin, dem betroffenen Auszubildenden anstelle der ihm grundsätzlich zustehenden Analogleistungen Grundleistungen nach § 3 AsylbLG zuzusprechen, dürfte nicht sachgerecht sein. Denn das aufgezeigte verfassungsrechtliche Problem – die Sicherung des Existenzminimums – stellt sich dem Grunde nach nicht. Vielmehr hat es der Betroffene selbst in der Hand, sein Existenzminimum weiterhin durch Analogleistungen zu sichern, wenn auch durch den – unerwünschten - Abbruch der Ausbildung. [...]

35 Im Falle des Antragstellers liegen die Voraussetzungen für den Leistungsausschluss nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB XII vor. Diese Wirkung tritt ein, sofern die Ausbildung nach dem BAföG oder den §§ 51, 57, 58 SGB III dem Grunde nach förderungsfähig ist. Dafür kommt es nur darauf an, ob die Ausbildung ihrer Art nach zu Leistungen nach dem BAföG oder SGB III führen kann (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 17.02.2015 – B 14 AS 25/14 R; Urteil vom 06.09.2007 – B 14/7b AS 28/06 R). Eine berufsbefähigende Ausbildung kann nur entweder nach dem BAföG oder nach dem SGB III durch Berufsausbildungsbeihilfe förderungsfähig sein. Als Regel gilt, dass das BAföG Ausbildungen mit überwiegend schulischem Charakter erfasst, das SGB III dagegen Ausbildungen mit vorwiegend betrieblich-praktischem Charakter (vgl. BSG, Urteil vom 27.01.2005 – B 7/7a AL 20/04 R). [...]

37 Damit sind für den Antragsteller gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB XII Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des SGB XII ausgeschlossen. [...]

38 Der Antragsteller hat auch keinen Anspruch auf Leistungen nach § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB XII. Danach können in besonderen Härtefällen Leistungen nach dem Dritten oder Vierten Kapitel als Beihilfe oder Darlehen gewährt werden. Ein Härtefall ist allerdings nur dann anzunehmen, wenn die Folgen des Anspruchsausschlusses über das Maß hinausgehen, das regelmäßig mit der Versagung von Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt für eine Ausbildung verbunden ist und vom Gesetzgeber in Kauf genommen wird. Mit Rücksicht auf den Gesetzeszweck, die Sozialhilfe von den finanziellen Lasten einer Ausbildungsförderung freizuhalten, muss der Ausschluss von der Ausbildungsförderung als übermäßig hart, d.h. als unzumutbar oder in hohem Maße unbillig erscheinen (BSG, Urteil vom 06.09.2007 – B 14/7b AS 28/06 R). Allein der Umstand, dass der Antragsteller die begonnene Ausbildung aus wirtschaftlichen Gründen nicht fortsetzen kann, ist nicht geeignet, einen besonderen Härtefall zu begründen. Vielmehr bedarf es außergewöhnlicher Umstände, um die Voraussetzungen der Ausnahmevorschrift des § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB XII zu erfüllen. Besondere Umstände des Einzelfalls, welche es – über den gegebenenfalls notwendigen Abbruch der Ausbildung hinaus – als unzumutbar erscheinen lassen, dem Antragsteller Leistungen zur Sicherung seines Lebensunterhalts zu verweigern (vgl. dazu BSG, Urteil vom 06.09.2007 – B 14/7b AS 28/06 R), hat dieser jedoch weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht.

39 Auf Leistungen der Sozialhilfe für Ausländer hat der Antragsteller nach § 23 Abs. 2 SGB XII von vornherein keinen Anspruch, da er – unabhängig vom Leistungsausschluss nach § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB XII - Leistungsberechtigter nach § 1 AsylbLG ist. Denn würde er seine Berufsausbildung abbrechen, hätte er sogleich Anspruch auf Analogleistungen nach § 2 Abs. 1 SGB XII.

40,41 Der Antragsteller könnte jedoch einen Anspruch auf Berufsausbildungsbeihilfe gegenüber der Antragsgegnerin haben. [...]

43 Problematisch erscheint aber, ob der Antragsteller zum förderungsfähigen Personenkreis gehört. Dabei erfüllt der Antragsteller jedenfalls die Voraussetzungen des § 59 SGB III offensichtlich nicht. Keine der darin genannten Fallgestaltungen ist einschlägig. Insbesondere liegen die Voraussetzungen des § 59 Abs. 2 SGB III nicht vor, da der derzeitige Aufenthaltstitel des Antragstellers keine Duldung, sondern eine Aufenthaltsgestattung ist. Eine entsprechende Anwendung der Norm kommt nicht in Betracht, da es sich um keine analogiefähige Ausnahmevorschrift handelt (vgl. LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 27.08.2018 – L 2 AL 29/18 B ER). In Erweiterung dieser Vorschrift sieht § 132 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB III die Förderung von Ausländern mit Berufsausbildungsbeihilfe vor, sofern sie sich seit mindestens 15 Monaten gestattet in Deutschland aufhalten, bei ihnen ein rechtmäßiger dauerhafter Aufenthalt zu erwarten ist, sie nicht aus einem sicheren Herkunftsstaat nach § 29a Asylgesetz stammen und sie nicht in einer Aufnahmeeinrichtung wohnen. Der Antragsteller hält sich seit mindestens 15 Monaten gestattet in Deutschland auf. Er wohnt in keiner Gemeinschaftseinrichtung und stammt aus keinem sicheren Herkunftsland.

44 Ob im Falle des Antragstellers ein rechtmäßiger dauerhafter Aufenthalt zu erwarten ist, lässt sich im Verfahren des Eilrechtsschutzes allerdings nicht abschließend aufklären. Ausweislich der BT-Drucks. 18/8615 (Seite 32) versteht der Gesetzgeber darunter die "gute Bleibeperspektive". Das Tatbestandsmerkmal des "rechtmäßigen dauerhaften Aufenthalts" ist offensichtlich dem § 44 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) entnommen. Dieser bezieht sich auf die Teilnahme noch nicht anerkannter Asylbewerber an Integrationskursen. Diese Vorschrift definiert nicht weiter, wann von einem rechtmäßigen dauerhaften Aufenthalt auszugehen ist. Er zielt darauf ab, solche Asylbewerber einzubeziehen, die aus einem Land mit einer hohen Anerkennungsquote stammen oder bei denen viel dafür spricht, dass ihr Asylantrag erfolgreich verbeschieden wird (BT-Drucks. 18/6185, Seite 48).

45 Nach der Ansicht des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH) im Beschluss vom 21.02.2017 (Az.: 19 CE 16.2204) ist dazu auf die Gesamtschutzquote des Landes abzustellen, aus dem der Asylbewerber stammt. [...]

50 Gleichwohl sind die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) im Beschluss vom 28.09.2017 (Az.: 1 BvR 1510/17) offenbar dahin zu verstehen, dass die Auslegung des BayVGH zur "guten Bleibeperspektive" auf der Grundlage des § 44 Abs. 4 AufenthG nicht ohne weiteres auf die Gewährung existenzsichernder Berufsausbildungsbeihilfe zu übertragen sein dürfte. Vor diesem  Hintergrund erscheint es aber fraglich, ob die Gesamtschutzquote überhaupt für Fallgestaltungen wie diese herangezogen werden kann. Denn das BVerfG hat zugleich die Ausbildungsduldung im Zusammenhang mit dem Tatbestandsmerkmal des "rechtmäßigen und dauerhaften Aufenthalts" erwähnt. Mit Blick darauf und auf das im Gesetzgebungsverfahren befindliche "Fachkräfteeinwanderungsgesetz" spricht viel für die Annahme, dass auch derzeit – trotz der zitierten Entscheidungen der Landessozialgerichte – noch keine gefestigte sozialgerichtliche Rechtsprechung zur Auslegung des § 132 SGB III besteht und womöglich individuelle Aspekte der Betroffenen stärker berücksichtigt werden müssten (vgl. dazu SG Potsdam Beschluss vom 20.12.2017 – S 6 AL 237/17 ER und ihm folgend LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24.01.2018 – L 14 AL 5/18 B ER; SG Köln, Beschluss vom 22.05.2018 – S 20 AL 204/18 ER). [...]