VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Urteil vom 25.10.2018 - 8 K 870.16 A - asyl.net: M26989
https://www.asyl.net/rsdb/M26989
Leitsatz:

Keine Flüchtlingsanerkennung für staatenlosen Palästinenser aus Syrien, der als "nichtregistrierter Ehemann" nicht selbst unter dem Schutz der UNRWA stand:

1. Nur Personen, die tatsächlich Hilfe der UNRWA in Anspruch nehmen, können "ipso facto" als Flüchtlinge nach § 3 Abs. 3 S. 2 AsylG anerkannt werden.

2. Für den Nachweis der tatsächlichen Inanspruchnahme des Schutzes der UNRWA genügt die förmliche Registrierung. Nicht registrierte Betroffene dagegen müssen diese auf andere Weise nachweisen.

3. Personen, die unverfolgt aus Syrien ausgereist sind, droht nicht allein aufgrund ihrer Ausreise, Asylantragstellung sowie ihres längeren Aufenthalts im westlichen Ausland Verfolgung, weil ihnen das syrische Regime eine oppositionelle Gesinnung zuschreibt.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Syrien, Upgrade-Klage, Palästinenser, UNRWA, oppositionelle Gesinnung, Opposition, Regimegegner, subsidiärer Schutz, Flüchtlingsanerkennung, Jordanien, nichtregistrierter Ehemann, Asylantrag, Auslandsaufenthalt, Staatenlosigkeit, ipso facto, ipso facto-Flüchtling,
Normen: AsylG § 3, AsylG § 3 Abs. 3, AsylG § 3 Abs. 3 S. 2,
Auszüge:

[...]

14 Die Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Bundesamtes vom 5. Oktober 2016 ist, soweit dem Kläger die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft versagt wird, rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne von § 3 Asylgesetz (AsylG).

15 Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung als palästinensischer ipso facto Flüchtlinge nach § 3 Abs. 3 Satz 2 AsylG. [...]

16 UNRWA hat seit dem 1. Mai 1950 für palästinensische Flüchtlinge im Nahen Osten ein Mandat zur materiellen Unterstützung all derjenigen, die in Folge des Arabisch-Israelischen Krieges 1948 ihre angestammten Gebiete im neu gegründeten Staat Israel verlassen mussten und in den arabischen Nachbarstaaten Zuflucht suchten. Die Organisation wurde auf der Grundlage der Resolution 302 (IV) der UN-Generalversammlung vom 8. Dezember 1949 gegründet, um "in Zusammenarbeit mit den örtlichen Regierungen (...) direkte Nothilfe- und Wiederaufbauprogramme (für palästinensische Flüchtlinge) durchzuführen" und "mit den interessierten Regierungen im Nahen Osten Maßnahmen zu beraten, die diese ergreifen sollten, sofern internationale Hilfe nicht mehr zur Verfügung steht". [...]

17 Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, der der Einzelrichter folgt, sind nur diejenigen Personen, die die Hilfe der UNRWA tatsächlich in Anspruch nehmen, von der Ausschlussklausel des Art. 1 Abschnitt D der Genfer Konvention erfasst (Urteil vom 17. Juni 2010 - C-31/09 -, juris Rn. 51), so dass auch nur diese Personen für eine Flüchtlingsanerkennung gemäß § 3 Abs. 3 Satz 2 AsylG in Betracht kommen können. Als Nachweis einer tatsächlichen Inanspruchnahme genügt die förmliche Registrierung von UNRWA, wobei von der Organisation nichtregistrierte Betroffene den Nachweis der tatsächlichen Inanspruchnahme des Schutzes und des Beistandes auch auf andere Weise erbringen können (EuGH, a.a.O., Rn.52; Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 30. Juli 2018 – 3 A 582/17.A –, Juris Rn. 20 ff.). [...]

19 Der Kläger selbst stand jedoch nicht unter dem Schutz von UNRWA in Syrien. Die von ihm vorgelegten Unterlagen belegen allenfalls eine Registrierung als Ehegatte seiner unter dem Schutz von UNRWA in Jordanien stehenden Ehefrau. Aus den von ihm vorgelegten Fotokopien eines "UNRWA-Family Records" und einer "UNRWA Family-Registration Card" ergibt sich, dass er unter der Nummer 2... als Ehegatte bei der UNRWA für die Region ..., Jordanien mit dem Status "NH" (Not registrated Husband), geführt wird. Seine Ehefrau ... ist unter der Nr. ... und dem Status "RR" erfasst. Das Dokument verweist lediglich unter dem Gesichtspunkt der tatsächlichen Adresse ("physical address") auf Damaskus in Syrien. [...]

20 Selbst wenn man aber die Registrierung des Klägers als nicht eigenständig berechtigter Ehegatte als Registrierung bei UNRWA ausreichen ließe, kann für die in Jordanien bei UNRWA registrierten Palästinenser nicht angenommen werden, dass der dort durch UNRWA vermittelte Schutz entfallen wäre. Die als berechtigt registrierte Ehefrau des Klägers lebt nach dessen Angaben, wieder in / Jordanien und kann dort die Leistungen von UNRWA in Anspruch nehmen.

21 Daraus, dass der Kläger über einen von der Auslandsvertretung der palästinensischen Autonomiebehörde ausgestellten Reisepass verfügte, ergibt sich für die Anerkennung als ipso facto Flüchtling nichts. Im Übrigen wird der Personenkreis staatenloser Palästinenser, die den Schutz der UNRWA nie in Anspruch genommen haben, durch die oben dargestellten genannten Regelungen nicht begünstigt, was zur Folge hat, dass die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus voraussetzt, dass der Nachweis eines individuellen Verfolgungsschicksals geführt wird (vgl. Oberverwaltungsgericht des Saarlandes, Urteil vom 16. Mai 2018 – 1 A 679/17 –, Rn. 26, juris). [...]

23 Der Kläger kann einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht daraus herleiten, dass er wegen seiner Ausreise und Asylantragstellung in der Bundesrepublik Deutschland vom syrischen Staat als Oppositioneller betrachtet würde. Nach der Rechtsprechung des OVG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 22. November 2017 - OVG 3 B 12.17 -, juris) droht Schutzsuchenden, die unverfolgt aus Syrien ausreist sind, bei einer Rückkehr nach Syrien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit allein aufgrund ihrer Ausreise, Asylantragstellung sowie eines längeren Aufenthalts im westlichen Ausland eine politische Verfolgung. Die vorliegenden Erkenntnisquellen tragen danach nicht die Feststellung, dass der syrische Staat einem für längere Zeit ausgereisten Palästinenser aus Syrien, der im (westlichen) Ausland ein Asylverfahren betrieben hat und wieder zurückkehrt, pauschal unterstellt, ein Regimegegner zu sein bzw. in engerer Verbindung mit oppositionellen Kreisen im Exil zu stehen, auch wenn keine besonderen zusätzlichen Anhaltspunkte bzw. gefahrerhöhende Merkmale vorliegen. [...] Das Risiko liege eher in der Gefahr, dass syrische Sicherheitskräfte Gewalt willkürlich anwenden. [...] Der Gefahr, in Syriern aufgrund willkürlicher Gewalt einen ernsthaften Schaden zu erleiden, hat der Beklagte durch die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus gemäß § 4 Abs. 1 AsylG Rechnung getragen. [...]