VG Sigmaringen

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Zitieren als:
VG Sigmaringen, Beschluss vom 22.01.2019 - 8 K 3/19 - asyl.net: M27013
https://www.asyl.net/rsdb/M27013
Leitsatz:

Hinweispflicht der Behörde bei Geltendmachung einer Mitwirkungspflichtverletzung:

Kein Widerruf der Beschäftigungserlaubnis und damit der Ausbildungsduldung, weil die vorgeworfene Verweigerung der Mitwirkung an der Beschaffung von Identitätspapieren nicht ausreichend belegt wird. Der Antragsteller hatte im Beisein eines Vertreters einer gambischen Delegation gegenüber einem Mitarbeiter des Regierungspräsidiums Karlsruhe die verlangten Angaben gemacht, aber ein zusätzliches Gespräch mit der Delegation abgelehnt, ohne dass ihr deutlich gemacht worden wäre, dass dies zur Erfüllung der Mitwirkungspflicht notwendig wäre.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Ausbildungsduldung, Mitwirkungspflicht, Identitätsklärung, Identitätsfeststellung, Reisepass, Passpflicht, Widerruf, Arbeitsgenehmigung, Beschäftigungserlaubnis,
Normen: AufenthG § 60a Abs. 2 S. 4, AufenthG § 60a Abs. 6 S. 1 Nr. 2,
Auszüge:

[...]

Nach der im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung ist das Schreiben des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 19.11.2018 als Verwaltungsakt zu qualifizieren. Es kann hier dahingestellt bleiben, ob im Falle der Ausbildungsduldung eine selbständige Beschäftigungserlaubnis erforderlich ist (und hier zugleich mit der Duldung am 28.09.2018 erteilt wurde) oder ob diese in der rechtlich gebundenen Ausbildungsduldung quasi mit enthalten ist (offen gelassen von VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 04. Januar 2017 -11 S 2301/16 -, juris). Jedenfalls ist das Schreiben vom 19.11.2018 so zu verstehen, dass die erteilte Ausbildungsduldung und ggf. die gleichzeitig erteilte Beschäftigungserlaubnis vor Ablauf der Gültigkeitsdauer zum Erlöschen gebracht werden sollten. Für eine Regelungswirkung des Schreibens spricht bereits der Wortlaut ("wird hiermit Ihre ... Ausbildungsduldung ... widerrufen und Ihnen die Ausübung einer Beschäftigung versagt".) Auch vermag das Gericht nach summarischer Prüfung nicht festzustellen, dass die Ausbildungsduldung und ggf. die Beschäftigungserlaubnis bereits durch Eintritt einer auflösenden Bedingung erloschen sind und dem Schreiben vom 19.11.2018 keine Regelungswirkung, sondern nur eine bloße Hinweisfunktion zukommt. Der Zusatz "die Beschäftigungserlaubnis erlischt b. unzureichender Mitwirkung an Identitätsklärung," ist als solcher zu unbestimmt, um allein hieran negative Folgen für den weiteren Aufenthalt und die Ausbildung des Antragstellers zu knüpfen. Es kann hier offenbleiben, inwieweit ein solcher Zusatz grundsätzlich zulässig ist und welche Rechtswirkungen dieser im Einzelnen ggf. hat. Jedenfalls bedarf es zumindest eines konkretisierenden Verwaltungsakts, um die Ausbildungsduldung und ggf. zusätzlich die Beschäftigungserlaubnis zum Erlöschen zu bringen. [...]

Nach der Aktenlage bestehen keine konkreten Hinweise darauf, dass der Antragsteller über seine Identität oder Staatsangehörigkeit getäuscht oder falsche Angaben gemacht hat. Vielmehr konnte lediglich der Wahrheitsgehalt seiner Angaben bisher nicht überprüft werden, was als solches den Anforderungen des § 60a Abs. 6 Satz 2 AufenthG nicht genügt.

Allerdings dürfte es grundsätzlich nicht zu beanstanden sein, dass der Antragsgegner davon ausgeht, der Antragsteller sei zu weiteren Mitwirkungshandlungen i.S.d. § 15 AsylG verpflichtet. Dass hierzu ein persönliches Gespräch mit einer gambischen Delegation gefordert werden kann, begegnet ebenfalls keinen durchgreifenden Bedenken. Zweifelhaft ist aber, ob dem Antragsteller derzeit unterlassene Mitwirkungshandlungen vorwerfbar sind. Unter Berücksichtigung der Regelbeispiele in § 60a Abs. 6 Satz 2 AufenthG muss eine mangelnde Mitwirkung ein gewisses Gewicht erreichen, so dass es gerechtfertigt erscheint, sie aktivem Handeln gleichzustellen (vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 09.05.2018 - 10 CE 18.738 -, juris unter Bezugnahme auf die zu § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG ergangene Rspr. des BVerwG, U.v. 26.10.2010 - 1 C 18.09 -, juris). Das ist hier nach der Aktenlage nicht hinreichend sicher erkennbar. Der Antragsteller ist zu dem angeordneten Vorsprachetermin am 12.11.2018 erschienen und hat auch Angaben gegenüber dem Mitarbeiter des Regierungspräsidiums Karlsruhe gemacht, wobei mindestens ein Mitglied der gambischen Delegation anwesend war. Soweit der Antragsgegner diese Angaben nicht für ausreichend hält, ist nicht erkennbar, welche weitergehenden Angaben konkret von dem Antragsteller noch erwartet wurden bzw. werden. Soweit dem Antragsteller vorgeworfen wird, er habe ein Gespräch mit der gambischen Delegation verweigert, lässt sich dies nach der Aktenlage nicht hinreichend feststellen. Von "Verweigerung" ist weder in dem Vermerk des Mitarbeiters des Regierungspräsidiums noch in der Interviewbescheinigung der gambischen Delegation die Rede. Die Bemerkung, dass der Antragsteller nicht mit der Delegation habe reden wollen und dies für überflüssig gehalten habe, ist nicht eindeutig. Es ist unklar, ob dem Antragsteller in der konkreten Situation bewusst sein musste, dass von ihm noch ein persönliches Gespräch unmittelbar mit der gambischen Delegation erwartet wurde, obwohl er bereits in deren Anwesenheit Angaben gegenüber einem Mitarbeiter des Regierungspräsidiums gemacht hatte. Denkbar ist auch, dass der Antragsteller die konkrete Situation so verstehen durfte, dass er mit den Angaben gegenüber dem Mitarbeiter des Regierungspräsidiums im Beisein der gambischen Delegation bereits alles Erforderliche getan hatte und es ihm nun freistehe, zusätzlich persönlich mit der gambischen Delegation zu reden. In diesem Fall wäre es ihm nicht im o.g. Sinne vorwerfbar, wenn er ein Gespräch als überflüssig abgelehnt hat. Dass dem Antragsteller hinreichend deutlich gemacht wurde, dass er auch noch unmittelbar mit der gambischen Delegation reden müsse, lässt sich den vorliegenden Akten nicht entnehmen. Auch bestehen keine Hinweise darauf, dass die gambische Delegation Fragen an den Antragsteller gestellt oder sonst ihm gegenüber zu erkennen gegeben hat, dass sie weitere Angaben von ihm benötigt. Es ist nach alledem derzeit zumindest offen, ob das unterbliebene Gespräch dem Antragsteller vorwerfbar ist und er es im Sinne des § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 AufenthG zu vertreten hat, dass sein Aufenthalt nicht beendet werden kann. [...]