LSG Mecklenburg-Vorpommern

Merkliste
Zitieren als:
LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 18.02.2019 - L 9 AY 4/17 B ER - asyl.net: M27463
https://www.asyl.net/rsdb/M27463
Leitsatz:

Keine Leistungskürzung vor bestandskräftigem Abschluss des Asylverfahrens:

1. Eine Leistungskürzung nach § 1a AsylbLG ist während einer noch anhängigen (möglicherweise aber wegen Verfristung unzulässigen) Asylklage unzulässig, wenn die inzidente summarische Überprüfung ergibt, dass die Klage möglicherweise fristgerecht eingereicht worden sein könnte.

Solange das Asylverfahren nicht bestandskräftig abgeschlossen und die betroffene Person im Besitz einer Aufenthaltsgestattung ist, darf eine Leistungseinschränkung dann auch nicht auf die fehlende Mitwirkung bei der Passbeschaffung gestützt werden.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Leistungskürzung, Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, Passbeschaffung, Asylverfahren, Aufenthaltsgestattung, Mitwirkungspflicht, Klagefrist, Zulässigkeit,
Normen: AsylbLG § 1a, AsylG § 55, AsylG § 74,
Auszüge:

[...]

Ob der Ablehnungsbescheid des BAMF vom ... März 2017 tatsächlich bestandskräftig ist, erscheint zumindest fraglich. Die gegen den Bescheid erhobene Anfechtungsklage ist nach dem Kenntnisstand des Senates nach wie vor anhängig. Zwar dürfte der Antragsteller letztlich unstreitig die maßgebliche Klagefrist nicht gewahrt haben, ausgehend von einer Zustellung an den Prozessbevollmächtigten am 21. März 2017, da die Klage zum Verwaltungsgericht Schwerin erst nach Ablauf der 2-Wochen-Frist erhoben worden ist. Die Annahme des Prozessbevollmächtigten, die Klagefrist sei mangels Zustellung nicht gelaufen, dürfte fehlgehen. Zwar ist eine Zustellung an die Bevollmächtigten gemäß § 7 VwZG in der geregelten Zustellungsform nicht erfolgt, jedoch dürfte ein Formmangel gemäß § 8 VwZG geheilt sein: Der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers räumt selbst den tatsächlichen Zugang des Bescheides am 21. März 2017 ein. Allerdings erscheint zumindest unter einem der vorgetragenen Aspekte fraglich, ob hier tatsächlich die 2-wöchige Klagefrist maßgeblich ist oder wegen fehlerhafter Rechtsbehelfsbelehrung die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO einschlägig ist. Die Rechtsbehelfsbelehrung könnte zu beanstanden sein, weil sie beim Adressaten des Bescheides durch ihre Formulierung in zweierlei Hinsicht irreführend sein könnte. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist eine Rechtsbehelfsbelehrung auch dann unrichtig im Sinne des § 58 Abs. 2 VwGO, wenn sie geeignet ist, bei dem Betroffenen einen Irrtum über die zwingend geforderten Angaben des § 58 Abs. 1 VwGO oder über andere formelle oder materielle Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorzurufen und ihn dadurch abzuhalten, den Rechtsbehelf überhaupt, rechtzeitig oder in der richtigen Form einzulegen (vgl. Urteile vom 13. Dezember 1978, 6 C 77.78 und vom 21. März 2002, 4 C 2.01). Nach einer nicht unbedeutenden Auffassung in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung soll dies dann der Fall sein, wenn die Rechtsbehelfsbelehrung dem Kläger abverlangt, die Klage in deutscher Sprache abzufassen. Ferner könnte die Rechtsbehelfsbelehrung auch dahingehend zu beanstanden sein, dass sie hier den Eindruck erweckt, der Kläger müsse die Klage selbst schriftlich bei Gericht einreichen. Die Rechtsbehelfsbelehrung enthält jedoch keinen Hinweis auf die Möglichkeit der Aufnahme durch einen Urkundsbeamten des Gerichts (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 18. Mai 2018, 1 A 2/18.A; mit Hinweis auf Entscheidungen des VG Baden-Württemberg und OVG Schleswig-Holstein; anderer Ansicht wohl VG Schleswig in der vom SG zitierten Entscheidung). Angesichts dieses Meinungsstandes in der Verwaltungsrechtsprechung kann hier nicht von einer eindeutig verfristeten Klage ausgegangen werden, so dass angesichts des noch anhängigen Klageverfahrens beim Verwaltungsgericht Schwerin nicht von einer Bestandskraft des BAMF-Bescheides und darauf fußenden vollziehbaren Ausreisepflicht des Antragstellers ausgegangen werden kann. Bereits aus diesem Grunde dürfte die Anwendung der Leistungskürzung nach § 1a AsylbLG ausscheiden, da der Antragsteller - jedenfalls derzeit - nicht dem betroffenen Personenkreis zuzurechnen sein dürfte. Die mit dem Asylantrag entstandene Aufenthaltsgestattung nach § 55 A gilt bis zur Unanfechtbarkeit der Asylentscheidung fort, vgl. § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. AsylG. [...]