VGH Hessen

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Zitieren als:
VGH Hessen, Urteil vom 30.07.2019 - 10 A 797/18.A - asyl.net: M27533
https://www.asyl.net/rsdb/M27533
Leitsatz:

Keine Flüchtlingsanerkennung wegen Entziehung vom Nationaldienst durch Ausreise:

Die bei einer Rückkehr nach Eritrea drohende Bestrafung wegen illegaler Ausreise sowie der Nichtableistung des Nationaldienstes knüpft nicht an den Verfolgungsgrund der (unterstellten) politischen Überzeugung an. Denn die Sanktionierungen dienen nur der Durchsetzung einer alle Staatsangehörigen gleichermaßen treffenden Pflicht (kein "Politmalus").

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Eritrea, Upgrade-Klage, Nationaldienst, Politmalus, Militärdienst, Nationaler Dienst, Wehrdienstverweigerung, Wehrdienstentziehung, Politmalus, Flüchtlingsanerkennung, politische Verfolgung, illegale Ausreise, Aufstockungsklage,
Normen: AsylG § 3b, AsylG § 3a Abs. 1 Nr. 1, AsylG § 3 Abs. 1 Nr. 1, AsylG § 3b Abs. 1 Nr. 5, AsylG § 3c, AsylG § 3b Abs. 2,
Auszüge:

[...] die Wehr- bzw. Nationaldienstpflicht in Eritrea knüpft als solche nicht - wie es § 3a Abs. 3 AsylG für die Annahme einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung erfordert - an einen der in den §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3b AsylG genannten Verfolgungsgründe an, da die Verpflichtung zur Ableistung des Wehr- bzw. Nationaldienstes im Wesentlichen alle eritreischen Staatsangehörigen gleichermaßen trifft und zwar ohne Unterscheidung nach Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (vgl. u. a.: Hamburgisches OVG, Urteil vom 21. September 2018 - 4 Bf 232/18. A; OVG des Saarlands, Urteil vom 21. März 2019 - 2 A 7/18 -; VG Halle, Urteil vom 23. Oktober 2018 - 4 A 228/17 HAL -; Schleswig-Holsteinisches VG, Urteil vom 22. Oktober 2018 - 3 A 365/17 -; VG Würzburg, Urteil vom 15. Februar 2018 - W 3 K 17.31285 -; VG Bayreuth, Urteil vom 27. September 2017 - B 2 K 17.30683 -; VG Gießen, Urteil vom 16. August 2017 - 6 K 3536/16.GI.A -; VG Trier, Urteil vom 19. April 2017 - 5 K 2564/16.TR -; a. A. jedoch u. a.: VG Schwerin, Urteil vom 22. März 2019 - 15 A 4468/17 AS Sn -; VG Cottbus, Urteil vom 23. Mai 2019 - 6 K 600/16. A -; VG Magdeburg, Urteil vom 12. April 2019 - 8 A 343/17 -; VG Frankfurt am Main, Urteil vom 27. März 2019 - 8 K 971/17. F.A. -; VG Sigmaringen, Urteil vom 29. Juni 2017 - A 1 K 4946/16 -, VG Hamburg, Beschluss vom 5. Oktober 2016 - 4 A 3618/16 -; VG des Saarlandes, Urteil vom 17. Januar 2017 - 3 K 2357/16 -; jew. juris).

Gemäß der Proklamation an National Service No. 82/1995 vom 23. Oktober 1995 sind in Eritrea Männer und Frauen vom achtzehnten bis zum vierzigsten Lebensjahr nationaldienstpflichtig und gehören bis zum fünfzigsten Lebensjahr der Reservearmee an (Schweizerische Flüchtlingshilfe vom 23. August 2016). Nach abweichenden Angaben soll sich das Höchstalter für den Wehr- und Nationaldienst seit 2009 für Männer auf 57 und für Frauen auf 27 bzw. 47 Jahre belaufen (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea vom 22. März 2019; amnesty international an VG Magdeburg vom 2. August 2018). Der Nationaldienst unterteilt sich in einen aktiven Dienst von offiziell achtzehn Monaten und in einen Reservistendienst. Der aktive Nationaldienst besteht aus einer sechs Monate dauernden militärischen Ausbildung und einem sich daran anschließenden zwölfmonatigen Militärdienst oder einer entsprechend langen Verwendung im Bereich von Tätigkeiten zur Landesentwicklung. Ungeachtet der in der Proklamation Nr. 82/1995 festgelegten Dauer der Dienstpflicht und der vorgesehenen Altersobergrenzen ist der Nationaldienst in Eritrea in der Praxis jedoch grundsätzlich unbefristet und kann sich oftmals über mehrere Jahre erstrecken, wobei die Dienstverpflichteten entweder für eine zivile oder eine militärische Verwendung eingeteilt werden. Ebenso kommt es vor, dass Wehrpflichtige bereits nach Ableistung des achtzehnmonatigen Wehrdienstes nicht nur aus dem Militär- sondern auch aus dem Nationaldienst insgesamt entlassen werden, etwa um dem Dienstpflichtigen bei guten schulischen Leistungen einen frühzeitigen Zugang zu weiterführenden Bildungseinrichtungen zu ermöglichen. Frauen werden in der Regel bei Heirat oder Schwangerschaft aus dem Miltär- bzw. aus dem Nationaldienst entlassen (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage In Eritrea vom 22. März 2019).

Ausgehend hiervon unterläge der Kläger wegen seines Alters in seinem Heimatland zwar theoretisch noch immer einer aktiven Dienstpflicht; eine dem Kläger im Fall seiner Rückkehr etwaig drohende Einziehung zum eritreischen Nationaldienst würde aber nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit an einen Verfolgungsgrund im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V m. § 3b AsylG anknüpfen. Angesichts der insoweit - wie dargelegt - praktisch sämtliche erwachsenen eritreischen Staatsbürger gleichermaßen ohne Ansehung ihrer individuellen Persönlichkeitsmerkmale ausnahmslos treffenden Dienstverpflichtung fehlt es insbesondere an Anhaltspunkten dafür, dass die Heranziehung zum Nationaldienst als solche bzw. eine etwaige unmenschliche Behandlung während des Nationaldienstes an eine dem Kläger unterstellte regimegegnerische politische Überzeugung anknüpfen. Es kann wegen der möglichen Heranziehung des Klägers zur Dienstleistung im Nationaldienst als Zugehörigem zur Gruppe der Dienstleistungsverpflichteten auch nicht vom Vorliegen des Verfolgungsgrundes der '"Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe" im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG ausgegangen werden; denn angesichts der die eritreische Bevölkerung ausnahmslos treffenden Dienstverpflichtung kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Gruppe der Dienstverpflichteten im Sinne des § 3b Abs. 1 Nr. 4 lit. b) AsylG von der eritreischen Gesellschaft als andersartig betrachtet würde und daher eine deutlich abgegrenzte Identität besäße (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. April 2018, a.a.O.). Da die Verpflichtung zur Ableistung des staatlichen Nationaldienstes bzw. Wehrdienstes grundsätzlich sämtliche Staatsangehörigen Eritreas trifft und keine Auswahl oder Auslese anhand flüchtlingsschutzrechtlicher Merkmale erfolgt, kann daher die bloße Pflicht zur Ableistung des Militärdienstes - die sich wie dargelegt ohne Anknüpfung an persönliche Verfolgungsmerkmale im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3b AsylG vollzieht - nicht zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen. Bezüglich der Heranziehung zum Militärdienst kommt hinzu, dass diese - wie es in § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG indirekt zum Ausdruck kommt - jedenfalls grundsätzlich nicht dem flüchtlingsschutzrechtlichen Schutzversprechen unterfällt.

Eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung des Klägers im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG ergibt sich auch nicht aus der wiederholt von ihm geäußerten Befürchtung, ihm drohe bei einer Rückkehr nach Eritrea eine unangemessen harte Bestrafung zum Zweck der Ahndung einer ihm infolge seiner Wehrdienstentziehung unterstellten politischen Gegnerschaft; denn eine mögliche Bestrafung des Klägers im Falle einer Rückkehr nach Eritrea wegen der von ihm angegebenen Wehrdienstentziehung würde jedenfalls nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit an einen in §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3b Abs. 1 AsylG genannten Verfolgungsgrund, insbesondere nicht an das insofern vorrangig maßgebliche Merkmal einer - auch nur unterstellten - gegnerischen politischen Überzeugung des Klägers anknüpfen (vgl. u.a.: Hamburgisches OVG, Urteil vom 21. September 2018, a.a.O.; OVG des Saarlands, Urteil vom 21. März 2019, a.a.O.; VG Halle, Urteil vom 23. Oktober 2018, a.a.O.; Schleswig-Holsteinisches VG, Urteil vom 22. Oktober 2018, a.a.O.; VG Würzburg, Urteil vom 15. Februar 2018, a.a.O.; VG Bayreuth, Urteil vom 27. September 2017, a.a.O.; VG Gießen, Urteil vom 16. August 2017, a.a.O.; VG Trier, Urteil vom 19. April 2017, a.a.O.; a.A.: u.a.: VG Schwerin, Urteil vom 22. März 2019, a.a.O.; VG Cottbus, Urteil vom 23. Mai 2019, a.a.O.; VG Magdeburg, Urteil vom 12. April 2019, a.a.O.; VG Frankfurt am Main, Urteil vom 27. März 2019, a.a.O.; VG Sigmaringen, Urteil vom 29. Juni 2017, a.a.O.; VG Hamburg, Beschluss vom 5. Oktober 2016, a.a.O.; VG des Saarlandes, Urteil vom 17. Januar 2017, a.a.O.).

Ein Ausländer wird wegen seiner politischen Überzeugung verfolgt, wenn dies geschieht, weil der Ausländer eine bestimmte Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, und zwar in einer Angelegenheit, die die in § 3c AsylG genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft (§ 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG). Dabei genügt es, dass dem Ausländer diese Überzeugung von seinem Verfolger zugeschrieben wird (§ 3b Abs. 2 AsylG). Die politische Überzeugung wird in erheblicher Weise unterdrückt, wenn ein Staat mit Mitteln des Strafrechts oder in anderer Weise auf Leib, Leben oder die politische Freiheit des einzelnen schon deshalb zugreift, weil dieser seine mit der Staatsraison nicht übereinstimmende politische Meinung nach außen bekundet und damit notwendigerweise eine geistige Wirkung auf die Umwelt ausübt und meinungsbildend auf andere einwirkt. Hiervon kann insbesondere auszugehen sein, wenn er eine Behandlung erleidet, die härter ist als sie sonst zur Verfolgung ähnlicher nichtpolitischer Straftaten von vergleichbarer Gefährlichkeit im Verfolgerstaat üblich ist (sog. "Politmalus"). Demgegenüber liegt keine Sanktionierung einer politischen Überzeugung vor, wenn die staatliche Maßnahme allein der Durchsetzung einer alle Staatsbürger gleichermaßen treffenden Pflicht dient. Dies gilt auch für Sanktionen, die an eine Wehrdienstentziehung anknüpfen, selbst wenn diese von totalitären Staaten verhängt werden. Solche Maßnahmen begründen nur dann eine flüchtlingsrechtlich erhebliche Furcht vor Verfolgung, wenn sie den Betroffenen über die Ahndung des allgemeinen Pflichtenverstoßes hinaus wegen seiner politischen Überzeugung - oder auch eines sonstigen asylrechtlich erheblichen Merkmals - treffen sollen. Indizien hierfür können ein unverhältnismäßiges Ausmaß der Sanktionen oder deren diskriminierender Charakter sein (BVerwG, Urteil vom 19. April 2018, a.a.O., m.w.N.).

Nach Art. 37 Abs. 1 der Proklamation Nr. 82/1995 vom 23. Oktober 1995 werden Verstöße gegen dieses Regelwerk mit Haftstrafen von zwei Jahren und/oder Geldstrafe geahndet, sofern sich aus dem eritreischen Strafgesetzbuch keine härteren Strafen ergeben. Nach Art. 300 des von Eritrea nach der Unabhängigkeit übernommenen äthiopischen Strafgesetzbuchs von 1991 kann Desertion in Friedenszeiten mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden. In Kriegszeiten beläuft sich das Strafmaß für Desertion auf Haft von fünf Jahren bis lebenslänglich. In schweren Fällen kann auch die Todesstrafe verhängt werden. Im Jahr 2015 wurde ein neues Zivil- und Strafgesetzbuch bekanntgegeben, das in Art 119 für Desertion in Friedenszeiten Haftstrafen zwischen einem und drei Jahren, in Kriegszeiten zwischen sieben und zehn Jahren vorsieht. Die Todesstrafe in Fällen der Desertion ist hiernach abgeschafft, jedoch soll das neue Strafgesetz noch keine Anwendung finden (Auswärtiges Amt an VG Schwerin vom 10. Oktober 2017; amnesty international vom 28. Juli 2017, Stellungnahme zum Umgang mit Rückkehrern und Kriegsdienstverweigerern in Eritrea). In der Regel soll die Bestrafung von Deserteuren aber willkürlich, nicht nach der Gesetzeslage und außergerichtlich in einem administrativen Verfahren erfolgen (Auswärtiges Amt an VG Schwerin vom 10. Oktober 2017; amnesty international an VG Magdeburg vom 2. August 2018). Derzeit spricht vieles dafür, dass Strafen für Verstöße gegen die Nationaldienstpflicht und gegen die Ausreisebestimmungen milder ausfallen; insbesondere die Haftzeiten sollen sich verkürzt haben, was vornehmlich auf den Umstand zurückzuführen sein soll, dass immer mehr Eritreer versucht haben sollen, das Land zu verlassen und dabei aufgegriffen worden sein sollen, was die Zahl der Inhaftierten beträchtlich erhöht haben soll. Zum anderen soll ein Grund für kürzere Haftdauern möglicherweise darin zu sehen sein, dass betroffene Personen schnell wieder dem Nationaldienst zugeführt werden sollen, da die große Anzahl von Deserteuren dort erhebliche Lücken hinterlassen hat (vgl. amnesty international an VG Magdeburg vom 2. August 2018). Bei alledem sind die potentiell alle eritreischen Staatsangehörigen gleichermaßen treffenden Haftbedingungen prekär und dürften angesichts häufig überbelegter Zellen, mangelnden hygienischen Bedingungen und einer unzureichend gewährleisteten Versorgung mit Trinkwasser und medizinischen Leistungen als insgesamt inhuman einzustufen sein. Auch Folter und Misshandlungen sollen gegenüber Inhaftierten sowohl zur Beschaffung von Informationen und Geständnissen als auch als Teil der Bestrafung eingesetzt werden (vgl. amnesty international an VG Magdeburg vom 2. August 2018). Zugleich besteht bei alledem aber für Deserteure, die nach einem Auslandsaufenthalt freiwillig nach Eritrea zurückkehren wollen, nach behördeninternen Richtlinien die Möglichkeit, ihren Status vor der Rückkehr nach Eritrea zu legalisieren, indem sie in der jeweiligen Botschaft vor Ort den sog. "Diaspora-Status" beantragen. Die Erteilung des Status befreit die Antragsteller von der nationalen Dienstpflicht und der Notwendigkeit der Vorlage eines Ausreisevisums bei Wiedereinreise. Voraussetzung für die Erteilung des "Diaspora-Status" ist ein mindestens dreijähriger Auslandsaufenthalt und dass der Dienstflüchtige die Diasporasteuer (Aufbausteuer) in Höhe von zwei Prozent seines Einkommens gezahlt und ein Reueformular unterzeichnet hat. Letzteres umfasst ein Schuldeingeständnis und die Erklärung, die vorgesehene Strafe gegebenenfalls anzunehmen. Zu einer Bestrafung soll es dann nicht kommen, wobei der "Diaspora-Status" auf drei Jahre begrenzt ist und die Rückkehrer im Anschluss hieran wieder wie alle anderen eritreischen Staatsangehörigen behandelt werden, also gegebenenfalls wieder militär- und nationaldienstpflichtig werden (amnesty international vom 28. Juli 2017, Stellungnahme zum Umgang mit Rückkehrern und Kriegsdienstverweigerern in Eritrea; amnesty intemational an VG Magdeburg vom 2. August 2018).

Obschon die durch das eritreische Regime für den Fall der Wehrdienstentziehung/Desertion verhängten Strafen insofern ein Maß erreichen können, das im Widerspruch zu elementaren rechtsstaatlichen Grundsätzen steht, besitzt die staatliche Bestrafung der Wehrdienstentziehung in Eritrea keine flüchtlingsschutzrechtliche Relevanz, da sie nicht an ein persönliches Verfolgungsmerkmal im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG anknüpft. Ebenso wie die unterschiedslose Heranziehung zur Ableistung des Militärdienstes weist auch die im Fall der Desertion mögliche Bestrafung keine Anknüpfung an ein flüchtlingsschutzrechtlich relevantes Merkmal auf.

Eine Bestrafung wegen Desertion bzw. Wehrdienstentziehung unterfällt dem asylrechtlich nicht berücksichtigungsfähigen souveränen Strafanspruch eines jeden Staates. Es liegt daher grundsätzlich keine Sanktionierung einer politischen Überzeugung vor, wenn staatliche Maßnahmen allein der Durchsetzung einer alle Staatsbürger gleichermaßen treffenden Dienstpflicht dienen. Der Umstand, dass Sanktionen an eine Wehrdienstentziehung/Desertion anknüpfen, rechtfertigt demzufolge für sich genommen noch nicht den Schluss auf eine politische Verfolgung. Wie bereits ausgeführt kann eine Bestrafung wegen Desertion bzw. Wehrdienstentziehung eine flüchtlingsschutzrechtliche Relevanz daher nur dann erhalten, wenn Personen, die sich dem Militärdienst entziehen, eine an ihre politische Überzeugung anknüpfende härtere Bestrafung als sonst üblich droht. Von daher stellt - auch in totalitären Staaten - eine an eine Wehrdienstentziehung/Desertion anknüpfende Sanktion grundsätzlich erst dann eine flüchtlingsrechtlich erhebliche Verfolgung dar, wenn sie gerade den Betroffenen darüber hinaus zusätzlich speziell wegen seiner Religion, seiner politischen Überzeugung oder wegen eines sonstigen asylerheblichen Merkmals treffen soll (BVerwG, Urteil vom 19. April 2018, a.a.O. und Beschluss vom 24. April 2017 - 1 B 22.17 - juris, jew. m.w.N.).

Ausgehend von der aktuellen Situation innerhalb Eritreas bestehen indes keine Anhaltspunkte dafür, dass Deserteuren, die sich in Eritrea selbst oder durch Flucht in das Ausland dem Wehrdienst entzogen haben, im Fall ihrer Ergreifung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine regimegegnerische Haltung unterstellt und dass ihnen eine hierauf gestützte härtere Bestrafung zuteil wird. Bei der für den Fall der Desertion drohenden Strafverfolgung handelt es sich um eine Strafverfolgung nach den einschlägigen eritreischen Strafvorschriften, die jeden Eritreer gleichermaßen binden. Sie sanktionieren ausschließlich die fehlende Ableistung des Wehrdienstes, ohne an individuelle Persönlichkeitsmerkmale anzuknüpfen. Oftmals erfolgen Verhaftungen auch willkürlich und ohne Angabe von Gründen. Anhaltspunkte für eine politisch motivierte Bestrafung der Wehrdienstentziehung bestehen damit nicht. Auch die Tatsache, dass es während der gesetzlich vorgesehenen Inhaftierungen zu Folter und Misshandlungen kommen kann, rechtfertigt keine abweichende Wertung (vgl. Hamburgisches OVG, Urteil vom 21. September 2018, a.a.O.; OVG des Saarlands, Urteil vom 21. März 2019, a.a.O.; VG Trier, Urteil vom 19. April 2017, a.a.O.). Auch wenn der Einsatz von Folter ein Indiz für den politischen Charakter einer Maßnahme darstellen kann, ermöglicht er für sich noch keinen belastbaren Rückschluss auf eine tatsächlich dahingehende subjektive Verfolgungsmotivation. Es bedarf daher insoweit regelmäßig der Heranziehung weiterer objektiver Kriterien zur Beurteilung der tatsächlichen Verfolgungsmotivation. Derartige objektive Kriterien können vor allem die tatsächlichen und rechtsstaatlichen Verhältnisse im Heimatstaat des Betroffenen, insbesondere die Eigenart des Staates, sein möglicherweise totalitärer Charakter, die Radikalität seiner Ziele und die zu seiner Verwirklichung eingesetzten Mittel, das Maß an geforderter und durchgesetzter Unterwerfung des Einzelnen und die Behandlung von Minderheiten sein. Maßgeblich ist, ob der Staat seine Bürger in den genannten persönlichen Merkmalen zu disziplinieren, sie ihretwegen niederzuhalten oder im schlimmsten Fall zu vernichten sucht oder ob er lediglich seine Herrschaftsstruktur aufrechterhalten will und dabei die Überzeugung seiner Staatsbürger unbeachtet lässt. Auch die Lasten und Beschränkungen, die ein autoritäres System seiner Bevölkerung auferlegt, vermögen für sich allein eine politische motivierte Verfolgung nicht zu begründen. Ausgehend hiervon bestehen - ungeachtet der Umstände, dass der Nationaldienst in Eritrea auch als politisches Projekt u.a. zur Vermittlung einer nationalen Identität verstanden wird und Verstöße in diesem Zusammenhang gegebenenfalls auch mit harten Sanktionen belegt werden - keine durchgreifenden Anhaltspunkte dafür, dass die im Fall der Nationaldienstentziehung bzw. Desertion in Eritrea gegebenenfalls drohende Haftstrafe in Verbindung mit den prekären Haftbedingungen eine Anknüpfung an flüchtlingsrechtlich relevante Merkmale aufweist.

Für diese Einschätzung ist zunächst maßgeblich, dass die faktisch unbegrenzte Verpflichtung zur Ableistung des staatlichen National- bzw. Militärdienstes - der im Nachgang zu der Grundausbildung oftmals auch einen Einsatz in der staatlichen Verwaltung umfasst - zuvörderst der Aufrechterhaltung und Sicherung der staatlichen Funktionsfähigkeit dient. Angehörige des Nationaldienstes leisten ihren Dienst nicht allein im eritreischen Militär, sondern auch beim Aufbau von Infrastruktur, etwa beim Straßen- und Dammbau, beim Bau von Wohnungen und öffentlichen Gebäuden sowie in der Landwirtschaft. Angehörige des zivilen Dienstes des Nationaldienstes arbeiten zudem in allen Bereichen der staatlichen Verwaltung und der Wirtschaft (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea vom 22. März 2019; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Eritrea: Nationaldienst vom 30. Juni 2017). Die gesamte Volkswirtschaft Eritreas und der eritreische Staatsapparat stützen sich auf die Nationaldienstverpflichtung, die in ihrer derzeitigen Ausgestaltung am ehesten als eine Form staatlichen Zwangsdienstes zur Aufrechterhaltung der staatlichen Strukturen zu charakterisieren ist (vgl. VG Trier, Urteil vom 19. April 2017, a.a.O.). Von daher dient der Nationaldienst in Eritrea neben Verteidigungszwecken vor allem der Förderung der volkswirtschaftlichen Entwicklung und Förderung des Landes, der Steigerung der Gewinne staatsnaher bzw. staatlich unterstützter Unternehmen und der Aufrechterhaltung der Kontrolle über die eritreische Bevölkerung. Dies wiederum rechtfertigt die Annahme, dass die durchaus empfindliche Bestrafung der Wehr- bzw. Nationaldienstentziehung oder der Desertion allein dazu dient, die bestehende Herrschaftsstruktur zu sichern und insbesondere das auf der Langzeitverpflichtung der eritreischen Staatsbürger beruhende staatliche System am Leben zu erhalten. Insofern dient die Sanktionierung der Wehr- bzw. Nationaldienstentziehung durch den eritreischen Staat auch nicht der Sanktionierung einer tatsächlichen oder unterstellten missliebigen politischen Überzeugung seiner Bürger sondern der Durchsetzung der Dienstverpflichtungen im Interesse der Systemsicherung (vgl. Hamburgisches OVG, Urteil vom 21. September 2018, a.a.O.; OVG des Saarlands, Urteil vom 21. März 2019, a.a.O.).

Für dieses Verständnis spricht auch der vornehmlich auf die Generierung von Staatseinnahmen und damit auf ein ökonomisches staatliches Interesse zielende Umgang des eritreischen Staates mit Rückkehrern, der diesen in den Fällen der illegalen Ausreise die Möglichkeit bietet, unter Diaspora-Status - für dessen Erlangung ein mindestens dreijähriger Auslandsaufenthalt, die Zahlung einer zweiprozentigen Aufbausteuer auf das Jahreseinkommen und im Fall einer Nichterfüllung der Nationaldienstpflicht die Unterzeichnung eines sogenannten "Reueformulars" erforderlich ist - Reisepässe ausgestellt zu bekommen, unbehelligt nach Eritrea ein- und wieder auszureisen und sich dort vorübergehend, etwa zu Besuchszwecken, aufzuhalten. Dies macht deutlich, dass der eritreische Staat von einer Bestrafung von Personen, die durch illegale Ausreise den Nationaldienst umgehen, schon allein aufgrund ökonomischer Interessen absieht (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea vom 22. März 2019), was gegen die Annahme der Sanktionierung einer vermeintlich abweichenden politischen Überzeugung spricht. Würde der eritreische Staat Personen, die sich dem Wehr- bzw. Nationaldienst durch Flucht entzogen haben tatsächlich als politische Gegner einstufen, wäre die Einräumung einer freiwilligen und unbehelligten Rückkehrmöglichkeit gegen Zahlung einer Abgabe unter Verzicht auf die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs nicht nachvollziehbar. Diese Vorgehensweise belegt daher, dass der eritreische Staat gerade nicht jedem eritreischen Staatsbürger, der illegal ausgereist ist und sich dadurch dem Nationaldienst entzieht, generell eine Regimegegnerschaft bzw. oppositionelle politische Überzeugung unterstellt bzw. dass er einer möglicherweise hinter der individuellen Entscheidung zur Desertion stehenden politischen Überzeugung jedenfalls keine entscheidende Bedeutung beimisst. Auch wenn die mit dem Diaspora-Status verbundene freiwillige Rückkehrmöglichkeit - insbesondere vor dem Hintergrund des willkürlichen Agierens der eritreischen Behörden - unter Umständen nicht in jedem Fall eine absolute Sicherheit vor einer Bestrafung bieten mag, die damit einhergehenden Privilegien auf drei Jahre befristet sind und danach die zum Zeitpunkt der Ausreise bestehenden staatsbürgerlichen Pflichten des Militär- und Nationaldienstes erneut greifen, spricht gleichwohl die bloße Eröffnung der Rückkehrmöglichkeit durch den eritreischen Staat dagegen, dass zurückkehrenden Personen, die illegal ausgereist waren und sich dem Nationaldienst durch Flucht entzogen haben, generell eine politische Gegnerschaft zugeschrieben wird (Hamburgisches OVG, Urteil vom 21. September 2018, a.a.O.; OVG des Saarlands, Urteil vom 21. März 2019, a.a.O.).

Schließlich spricht auch das breite Spektrum möglicher Sanktionen im Fall der Entziehung vom Militär- bzw. Nationaldienst gegen die Annahme, dass den entsprechenden Sanktionierungen ein politischer Charakter zukommt. Neben der Verhängung einer Haftstrafe kann die staatliche Reaktion auch nur in einer Belehrung bestehen (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea vom 22. März 2019). Würde der eritreische Staat allen Personen, die illegal ausgereist bzw. sich durch Flucht der Ableistung des Nationaldienstes entzogen haben, generell eine Regimegegnerschaft unterstellen, wäre statt dessen zu erwarten, dass er diesem Umstand in der Bestrafungspraxis auch konsequent Rechnung trägt und dass er alle derart auffällig gewordenen Personen im Wesentlichen gleichermaßen hart bestraft. Gegen eine politische Zielrichtung spricht ferner, dass der Zweck der Sanktionierungsmaßnahmen - neben der Aufrechterhaltung des staatlichen Zwangsdienstes - allgemein auch darin zu sehen sein dürfte, durch die Schaffung eines allgemeinen Klimas der Angst eine Aufrechterhaltung der Disziplin und der Kontrolle über die eigene Bevölkerung zu erreichen.

Nach alledem zielen die Maßnahmen zur Sanktionierung einer National- bzw. Wehrdienstentziehung bzw. einer Desertion in Eritrea erkennbar nicht auf eine individuell unterstellte politische Überzeugung der Betroffenen. Sie sind vielmehr als Ausdruck des totalitären Herrschaftsanspruchs des eritreischen Regimes zu deuten, dessen Durchsetzung gegenüber der Bevölkerung für sich genommen noch keine politische Verfolgung darstellt. Dient aber die Sanktionierung des Entzugs vom Nationaldienst vor allem der Schaffung eines allgemeinen Klimas der Angst zur Aufrechterhaltung der Kontrolle über die eigenen Staatsbürger, so ist sie vornehmlich ein Mittel, durch das der eritreische Staat allgemein versucht, seinen Herrschaftsanspruch zu sichern und gegenüber der Bevölkerung durchzusetzen, und nicht als Ahndung einer individuellen politischen Überzeugung des Einzelnen. Die harten Haftbedingungen und die gewaltorientierte Behandlung von Gefängnisinsassen wiederum treffen alle inhaftierten Eritreer gleichermaßen, ohne dass insoweit eine Abgrenzung nach Merkmalen im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG erkennbar ist. Von daher knüpft die Pflicht zur Ableistung des Nationaldienstes sowie die Bestrafung im Falle der Wehrdienstentziehung nicht an flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungsgründe im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG an. [...]