VG Münster

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Zitieren als:
VG Münster, Beschluss vom 26.04.2019 - 11 L 276/19.A - asyl.net: M27540
https://www.asyl.net/rsdb/M27540
Leitsatz:

Kein unzulässiger Zweitantrag, wenn in der Schweiz der subsidiäre Schutz nicht geprüft wurde:

1. In der Schweiz existiert kein Rechtsinstitut, das dem subsidiären Schutz gemäß § 4 AsylG und Art. 18 Qualifikationsrichtlinie entspricht.

2. Vor diesem Hintergrund darf ein zuvor in der Schweiz abgelehnter Asylantrag nicht dazu führen, dass ein später in einem Mitgliedstaat der EU gestellter Asylantrag als unzulässiger Zweitantrag abgelehnt wird.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Zweitantrag, Unzulässigkeit, subsidiärer Schutz, Schutzlücke, Schweiz,
Normen: AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 5, AsylG § 71a, AsylG § 26a, RL 2011/95/EU Art. 2 Bst. f, RL 2013/32/EU Art. 2 Bst. h,
Auszüge:

[...]

Im vorliegenden Einzelfall dürfte nach summarischer Prüfung in der Schweiz auf den dortigen Asylantrag des Antragstellers hin keine Prüfung des subsidiären Schutzes stattgefunden haben. Die Antragsgegnerin führt in ihrem streitgegenständlichen Bescheid vom 14. März 2019 selbst aus, dass nach ihren Erkenntnissen die Schweiz grundsätzlich nicht über die Voraussetzungen des subsidiären Schutzes entscheide. Aus dem Schriftverkehr der Antragsgegnerin mit den Schweizer Behörden folgt ebenfalls nicht, dass letztere im Fall des Antragstellers über subsidiären Schutz entschieden haben: Mit Schreiben vom 4. August 2017 teilten die zuständigen Schweizer Behörden der Antragsgegnerin lediglich mit, dass dem Wiederaufnahmeersuchen nach Art. 18 Abs. 1 lit. d) der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 zugestimmt werde (vgl. Bl. 98 BA). Mit weiterem Schreiben vom 21. Januar 2019 teilten die zuständigen Schweizer Behörden der Antragsgegnerin ferner mit, dass der Asylantrag des Antragstellers, den dieser am 8. Juni 2015 in der Schweiz gestellt habe, materiell geprüft worden sei und am 5. Mai 2017 abgelehnt worden sei; der Entscheid sei am 14. Juni 2017 in Rechtskraft erwachsen (vgl. Bl. 179 BA).

Rechtsfolge des Umstands, dass die Schweizer Behörden auf den dortigen Asylantrag des Antragstellers nicht über subsidiären Schutz entschieden haben dürften, ist allerdings - anders, als die Antragsgegnerin offenbar meint - nicht, dass in einem kraft Gesetzes sofort vollziehbaren (vgl. § 75 Abs. 1 AsylG), auf § 71a AsylG gestützten Bescheid die fehlende Entscheidung über subsidiären Schutz im Drittstaat (in der Schweiz) durch die Antragsgegnerin, die Bundesrepublik Deutschland, nachgeholt werden kann. Vielmehr fehlt es in einem derartigen Fall an dem in § 71a Abs. 1 AsylG normierten Tatbestandsmerkmal des "erfolglosen Abschlusses eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat". Bereits aus dem Wortlaut der Norm ergibt sich ausdrücklich, dass das Asylverfahren insgesamt in dem sicheren Drittstaat (vorliegend also in der Schweiz) erfolglos abgeschlossen sein muss. Somit dürfte hier bereits kein Zweitantrag im Sinne von § 71a Abs. 1 AsylG vorliegen. Die Antragsgegnerin wäre daher gehalten gewesen, den in der Bundesrepublik Deutschland gestellten Asylantrag insgesamt als (zulässigen) Asylerstantrag zu behandeln und (vollständig) materiell in der Sache zu bescheiden. [...]