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Landesbehörden, Erlass/Behördliche Mitteilung vom 20.08.2019 - Rundschreiben Soz Nr. 05/2019 - asyl.net: M27610
https://www.asyl.net/rsdb/M27610
Leitsatz:

Senatsverwaltung für Soziales Berlin: Voraussetzungen für Überbrückungsleistungen, Annahme eines Härtefalls und Leistungskürzungen:

1. Vollziehbar ausreisepflichtige Personen, denen von einem anderen Dublin-Staat internationaler Schutz gewährt worden ist, haben nur noch Anspruch auf Überbrückungsleistungen nach § 1 Abs. 4 AsylbLG, wenn der internationale Schutz fortbesteht. Der Fortbestand des Aufenthaltsrechts im Ausland muss eindeutig geklärt sein.

2. Bei der Qualifizierung einer besonderen Härte hinsichtlich der Qualität und Dauer der Überbrückungsleistungen sind die Vorgaben der EU-Aufnahmerichtlinie bezüglich besonders schutzbedürftiger Personen zu berücksichtigen. Insofern sind Minderjährigen weiterhin Leistungen nach den §§ 3, 4, 6 AsylbLG zu gewähren, auch wenn sie dem Personenkreis des § 1 Abs. 4 AsylbLG zuzuordnen sind.

3. Die Vorgaben der EU-Aufnahmerichtlinie sind auch allgemein hinsichtlich der anderen leistungsbeschränkenden Tatbestände des § 1a AsylbLG zu berücksichtigen. Hier bedarf es jeweils einer Einzelfallentscheidung. Minderjährige sind von den Leistungseinschränkungen nach § 1a AsylbLG vollständig ausgenommen.

(Zusammenfassung der Redaktion)

Schlagwörter: Asylbewerberleistungsgesetz, Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, Sozialleistungen, Berlin, Erlass, Sozialrecht, internationaler Schutz in EU-Staat, Überbrückungsgeld, Härtefall, Leistungskürzung, EU-Aufnahmerichtlinie, Minderjährige, vulnerable Personen, Mehrbedarf,
Normen: AsylbLG § 1 Abs. 4 S. 1, AsylbLG § 1a, AsylbLG § 3, AsylbLG § 4, AsylbLG § 6, RL 2003/9/EG Art. 19,
Auszüge:

[...]

Der neue Absatz 4 sieht vor, dass vollziehbar ausreisepflichtige Leistungsberechtigte, denen von einem anderen EU-Mitgliedstaat oder einem am Verteilmechanismus teilnehmenden Drittstaat (Island, Norwegen, Liechtenstein oder Schweiz) internationaler Schutz gewährt worden ist, keinen Anspruch auf Leistungen haben, falls der internationale Schutz fortbesteht.

Die Anwendung der Leistungseinschränkung setzt voraus, dass der Fortbestand des internationalen Schutzes bzw. des aus anderen Gründen gewährten Aufenthaltsrechts im Ausland eindeutig geklärt ist.

Bei Hilfebedürftigkeit werden längstens für eine Dauer von zwei Wochen eingeschränkte Leistungen gewährt, um den Zeitraum bis zur Ausreise zu überbrücken. Leistungen sind über den Zeitraum von zwei Wochen hinaus zu erbringen, soweit dies im Einzelfall auf Grund besonderer Umstände zur Überwindung einer besonderen Härte und zur Deckung einer zeitlich befristeten Bedarfslage geboten ist.

Die Überbrückungsleistungen werden nur einmalig in einem Zeitraum von zwei Jahren ab Erhalt dieser Leistungen gewährt.

Die Überbrückungsleistungen sollen als Sachleistung erbracht werden und beinhalten Leistungen für den Lebensunterhalt nach § 1a Abs. 1 (neu, vgl. unten, Nr. 2.1.1) und für die medizinische Versorgung nach § 4 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2.

Die medizinische Versorgung ist durch Aushändigung eines Behandlungsscheins (U-Schein) entsprechend der Vereinbarung gemäß § 264 Abs. 1 SGB V zwischen dem Land Berlin und der AOK Berlin zu decken. Der Behandlungsschein ist für die Dauer der Bewilligung der Leistungen nach § 1 Abs. 4 AsylbLG zu befristen. Ist im Einzelfall eine stationäre Behandlung erforderlich, werden die Kosten dafür im Rahmen der Vereinbarung mit der AOK Nordost vom 27./30. September 2005 abgerechnet.

Soweit Leistungsberechtigte, die die Voraussetzungen des § 1 Abs. 4 erfüllen, bereits eine elektronische Gesundheitskarte besitzen, kann diese befristet weiterhin genutzt werden. Sie ist am Ende des Bewilligungszeitraums einzuziehen.

Zur Überwindung einer besonderen Härte sind über die Leistungen nach § 1a Abs. 1 hinaus Leistungen nach den §§ 3, 4 und 6 zu gewähren, soweit besondere Umstände dies im Einzelfall erfordern.

1.2 Härtefälle

§ 1 Abs. 4 sieht Härtefallregelungen für die Qualität und Dauer der Überbrückungsleistungen vor. In diesem Zusammenhang sind auch die Vorgaben der EU-Aufnahmerichtlinie in Bezug auf besonders schutzbedürftige Personenkreise zu berücksichtigen (vgl. 2.2). Beispielsweise werden Minderjährigen auch dann Leistungen nach den §§ 3, 4 und 6 zu gewähren sein, wenn sie dem Grunde nach dem Personenkreis nach § 1 Abs. 4 zuzuordnen sind. [...]

Eine Leistungseinschränkung kommt ausschließlich dann in Betracht, wenn die Leistungsbehörde Kenntnis davon hat, dass die Voraussetzungen nach § 1a erfüllt sind, also z.B. das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einen Verstoß gegen asylrechtliche Mitwirkungspflichten festgestellt hat.

Die Leistungseinschränkungen nach § 1a Abs. 4 S. 2 und 3 sind ausschließlich dann anwendbar, wenn der Fortbestand des internationalen Schutzes bzw. des aus anderen Gründen gewährten Aufenthaltsrechts im Ausland eindeutig geklärt ist.

Da die Leistungsberechtigten die Gründe für die Leistungseinschränkung selbst zu vertreten haben müssen und die juristische Handlungsfähigkeit erst mit Vollendung des 18. Lebensjahres eintritt, sind Minderjährige von der Anspruchseinschränkung auszunehmen. Sie erhalten folglich auch weiterhin reguläre Leistungen nach § 3 AsylbLG einschließlich der BuT-Leistungen, auch wenn die Eltern einer Leistungseinschränkung nach § 1a AsylbLG unterliegen.

Besondere Sorgfalt ist in der Rechtsfolgenabwägung der Regelungen des § 1a geboten, wenn Menschen betroffen sind, die besonders schutzbedürftig im Sinne der EU-Richtlinie 2013/33/EU vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (EU-Aufnahmerichtlinie), sind. Die EU-Aufnahmerichtlinie sieht unter anderem vor, dass die Mitgliedstaaten die spezielle Situation besonders schutzbedürftiger Personen berücksichtigen. Hierzu gehören insbesondere

- Minderjährige,

- unbegleitete Minderjährige,

- Menschen mit Behinderung,

- ältere Menschen,

- Schwangere,

- Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern,

- Opfer von Menschenhandel,

- Personen mit schweren körperlichen Erkrankungen,

- Personen mit psychischen Störungen und

- Personen, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben, wie z.B. Opfer der Verstümmelung weiblicher Genitalien. [...]