LG Frankfurt a.M.

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Zitieren als:
LG Frankfurt a.M., Beschluss vom 06.09.2019 - 2-29 T 107/19 - asyl.net: M27628
https://www.asyl.net/rsdb/M27628
Leitsatz:

Keine einstweilige Anordnung, wenn ein Hauptsacheantrag gestellt wurde:

Eine einstweilige Anordnung darf nur ergehen, wenn auch ein entsprechender Antrag gestellt wurde. Einer Umdeutung eines Hauptsacheantrags in einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung steht Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG entgegen.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Abschiebungshaft, Überstellungshaft, Anhörung, Prozessbevollmächtigte, Rechtsanwalt, Haftbeschluss, Haftantrag, einstweilige Anordnung, Hauptsacheverfahren,
Normen: FamFG § 417, FamFG § 427, FamFG § 51 Abs. 1 S. 1, AufenthG § 15 Abs. 6 S. 2, VO 604/2013 Art. 28 Abs. 2, AufenthG § 2 Abs. 14, AufenthG § 15 Abs. 6 S. 2,
Auszüge:

[...]

Die Beschwerde in Gestalt des Feststellungsantrages betreffend den amtsgerichtlichem Beschluss vom 05.06.2019 ist gemäß §§ 58 Abs. 1, 59 Abs. 1, 62, 63 Abs. 1 und 3 FamFG zulässig und begründet.

Zwar war eine Rechtsverletzung nicht bereits aufgrund der gerügten örtlichen Zuständigkeit gegeben. Insoweit war das Amtsgericht Frankfurt entgegen der Beschwerdeansicht vorliegend nach § 50 Abs. 2 FamFG bzw. § 416 S. 1 2. Alt. FamFG örtlich zuständig gewesen, da das Bedürfnis für die Freiheitsentziehung am Flughafen Frankfurt, also im Gerichtsbezirk des Amtsgerichts Frankfurt, durch den dortigen Widerstand des Betroffenen bei Zuführung zum Flugzeug entstanden ist.

Der angefochtene Beschluss vom 05.06.2019 hat den Betroffenen jedoch insoweit in seinen Rechten verletzt, als dass die einstweilige Haftanordung nach § 427 FamFG ohne entsprechenden Antrag der antragstellenden Behörde ergangen ist. Der Haftantrag der antragstellenden Behörde vom 05.06.2019 enthielt nur eine Antragstellung nach § 417 FamFG. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 427 FamFG bedarf jedoch nach § 51 Abs. 1 S. 1 FamFG eines gerade auf diese vorläufige Maßnahme gerichteten förmlichen Antrags der zuständigen Behörde, weil auch das Verfahren in der Hauptsache nur auf Antrag eingeleitet werden kann (§ 417 Abs. 1 FamFG). § 51 Abs. 1 S. 1 FamFG stellt nämlich klar, dass eine einstweilige Anordnung nur auf Antrag erlassen wird, wenn ein entsprechendes Hauptsacheverfahren nur auf Antrag eingeleitet werden kann. § 417 FamFG sieht ein solches Antragserfordernis im Hauptsacheverfahren vor, indem gemäß § 417 Abs. 1 FamFG eine Freiheitsentziehung vom Gericht nur auf Antrag der zuständigen Verwaltungsbehörde angeordnet werden darf.

Der hier gestellte Hauptsacheantrag nach § 417 FamFG stellte auch keine geeignete verfahrensrechtliche Grundlage für die Anordnung einer Freiheitsentziehung im Wege der einstweiligen Anordnung dar und konnte wegen der verfassungsrechtlichen Bedeutung der Wahrung der Formvorschriften (Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG) auch nicht als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ausgelegt werden (i.d.S. Keidel, FamFG, FamFG § 427 Rn. 1a). Denn ein Antrag nach § 51 Abs. 1 S. 1 FamFG steht einem Antrag nach § 417 Abs. 1 FamFG auf Erlass einer Haftanordnung im Hauptsacheverfahren nicht gleich (BGH, Beschluss vom 18.12.2014 - V ZB 114/13 (FGPrax 2015, 91), vielmehr stellen Verfahren über einstweilige Anordnungen (§§ 49 ff. FamFG) nach § 51 Abs. 3 S. 1 FamFG selbständige, von der Hauptsache unabhängige Verfahren dar, die unterschiedliche Voraussetzungen haben (BGH a.a.O.). Den FamFG-Vorschriften kann auch nicht [die] Möglichkeit entnommen werden, eine einstweiligen Haftanordnung nach § 427 FamFG ohne vorherigen Antrag der Behörde nur von Amts wegen aufgrund einer besonderen prozessualen Situation zu erlassen.

Die Inhaftierung ohne den erforderlichen Antrag begründet einen Verfassungsverstoß (vgl. BGH a.a.O.). Die vorliegende Haftanordnung war daher rechtswidrig. Eine Rechtsverletzung des Betroffenen war gegeben. Demzufolge war auch dem Antrag des Betroffenen auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung seines Verfahrensbevollmächtigten gemäß § 76 I, 78 II, III FamFG i.V.m. § 114 ZPO stattzugeben. [...]