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Zitieren als:
BGH, Beschluss vom 21.08.2019 - V ZB 10/19 - asyl.net: M27632
https://www.asyl.net/rsdb/M27632
Leitsatz:

Voraussetzungen der Zustellungsfiktion; Einvernehmen der Staatsanwaltschaft bei Überstellungshaft:

1. Die Zustellungsfiktion des § 10 Abs. 2 S. 4 AsylG setzt voraus, dass Betroffene gemäß § 10 Abs. 7 AsylG schriftlich und gegen Empfangsbestätigung auf die Zustellungsvorschriften hingewiesen worden sind und ihnen durch eine erläuternde Erklärung die Verpflichtungen im Einzelnen sowie die Folgen bei Nichtbeachtung erläutert wurden.

2. Betroffene, gegen die öffentliche Klage erhoben oder ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet worden ist, dürfen nach § 72 Abs. 4 S. 1 AufenthG nur im Einvernehmen mit der zuständigen Staatsanwaltschaft abgeschoben werden (unter Bezug auf BGH, Beschluss vom 24.1.2019 - V ZB 72/18).

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Überstellungshaft, Abschiebungshaft, Zustellung, Ablehnungsbescheid, Belehrung, Rückkehrentscheidung, Einvernehmen der Staatsanwaltschaft zur Abschiebung, Zustellungsfiktion, Fiktionswirkung, Ermittlungsverfahren, Staatsanwaltschaft, Haft, Zustellung,
Normen: AsylG § 10 Abs. 2 S. 4, AsylG § 10 Abs. 7, AufenthG § 72 Abs. 4 S. 1,
Auszüge:

[...]

a) Ein Ausländer, gegen den öffentliche Klage erhoben oder ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet ist, darf nach § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG - von den Ausnahmen gemäß § 72 Abs. 4 Satz 3 bis 5 AufenthG abgesehen - nur im Einvernehmen mit der zuständigen Staatsanwaltschaft abgeschoben werden. Fehlt das Einvernehmen, scheidet die Anordnung der Haft zur Sicherung der Abschiebung eines Ausländers aus (Senat, Beschluss vom 24. Januar 2019 - V ZB 72/18, juris Rn. 5 m.w.N.). [...]

Ob der Bescheid dem Betroffenen zugestellt und die Ausreisepflicht damit vollziehbar war, hat das Beschwerdegericht nicht näher geprüft. Vielmehr ist es ohne weitere Begründung davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für eine wirksame verwaltungsrechtliche Zustellungsfiktion vorliegen. Damit hat das Beschwerdegericht seiner Aufklärungspflicht (§ 26 FamFG) nicht genügt. Zwar kommt hier eine Zustellungsfiktion auf der Grundlage von § 10 Abs. 2 Satz 4 AsylG in Betracht; denn nach dem Vorbringen der Rechtsbeschwerde ergibt sich aus der Ausländerakte, dass der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge dem Betroffenen nicht zugestellt werden konnte, weil dieser laut Postzustellungsurkunde vom 19. Januar 2017 "unbekannt verzogen" war. Die Zustellungsfiktion setzt aber voraus, dass der Betroffene gemäß § 10 Abs. 7 AsylG schriftlich und gegen Empfangsbestätigung auf die Zustellungsvorschriften hingewiesen worden ist und ihm durch eine erläuternde Belehrung mit der gebotenen Deutlichkeit vor Augen geführt wird, welche Obliegenheiten ihn im Einzelnen treffen und welche Folgen bei deren Nichtbeachtung entstehen können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. März 1994 - 2 BvR 2371/13, NVwZ-Beil. 1994, 25, 26 und Beschluss vom 8. Juli 1996 - 2 BvR 96/95, NVwZ-Beil. 1996, 81, 82; Sächsisches OVG, Beschluss vom 30. Januar 2019 - 3 A 862/18 A, juris Rn. 6 f.; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 18. Juli 2000 - 2 L 158/00, juris Orientierungssatz 2; OVG Berlin, Beschluss vom 2. Februar 1999 - 3 N 71.97, juris Rn. 4; BeckOK AuslR/Preisner [1.5.2019], § 10 AsylG Rn. 45; Bergmann/Dienelt/Bergmann, Ausländerrecht, 12. Aufl., § 10 Rn. 28; Marx, AsylG, 9. Aufl., § 10 Rn. 43; NK-AuslR/Bruns, 2. Aufl., § 10 Rn. 11; Erbs/Kohlhaas/Hadamitzky/Senge, Strafrechtliche Nebengesetze [224. EL März 2019], § 10 AsylG Rn. 7). [...]