LG Traunstein

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Zitieren als:
LG Traunstein, Beschluss vom 18.07.2019 - 4 T 841/19 - asyl.net: M27719
https://www.asyl.net/rsdb/M27719
Leitsatz:

Zurückweisungshaft trotz Anwendbarkeit der Dublin-Verordnung rechtmäßig:

1. Eine Person, der die Einreise aus Österreich nach Deutschland verweigert wird und für die ein EURODAC-Treffer in Italien vorliegt, kann auf Grundlage des § 15 Abs. 5 AufenthG in Zurückweisungshaft genommen werden.

2. Obwohl die Dublin-III-VO Anwendung findet, unterliegt die Haft nicht den Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 2 Dublin-III-VO (unter Bezug auf: BGH, Beschluss vom 20.9.2017 – V ZB 118/17). Etwas anderes ergibt sich weder aus der EuGH-Entscheidung in der Rechtssache "Arib" (Urteil vom 19.03.2019 - C-444/17 Arib gg. Frankreich - Asylmagazin 5/2019, S. 198 ff. - asyl.net: M27098) noch der Rechtssache "Hassan" (Urteil vom 31.05.2018 - C-647/16 Hassan gg. Frankreich - Asylmagazin 7-8/2018, S. 260 ff. - asyl.net: M26279). Denn erstere betrifft die Rückkehr der betroffenen Person in ein Drittland und nicht - wie hier - in einen Schengen-Mitgliedsstaat, zweitere enthält hierüber keine Aussage.

(Leitsätze der Redaktion)

Anmerkung:

Schlagwörter: unerlaubte Einreise, Zurückweisungshaft, Abschiebungshaft, Dublinverfahren, Fluchtgefahr, Überstellungshaft, Haftgründe, Haftgrund, Dublin III-Verordnung,
Normen: VO 604/2013 Art. 28 Abs. 2, AufenthG § 15 Abs. 5,
Auszüge:

[...]

d) Die Voraussetzungen der angeordneten Zurückweisungshaft ergeben sich nur aus § 15 Abs. 5 AufenthG. Die Anordnung von Zurückweisungshaft setzt keinen Haftgrund voraus. Zu prüfen ist die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in die persönliche Freiheit des Betroffenen. Auch Art. 28 Abs. 2 der Dublin-III-VO ist nicht anzuwenden; die Anordnung von Zurückweisungshaft setzt voraus, dass die Zurückweisung an der Grenze nicht unmittelbar vollzogen werden kann. Der Bundesgerichtshof führt in der Entscheidung vom 20.09.2017, Az V ZB 118/17, Folgendes aus:

"Die Anordnung von Zurückweisungshaft setzt nach § 15 Abs. 5 AufenthG voraus, dass die Zurückweisung an der Grenze nicht unmittelbar vollzogen werden kann, etwa, weil - wie hier - eine Wiederaufnahme durch den Anrainerstaat, von dem aus der Betroffene nach Deutschland unerlaubt einreisen wollte. daran scheitert, dass dieser zu dessen (Wieder-)Aufnahme nicht verpflichtet ist, Die Zurückweisung muss in diesen Fällen entweder ähnlich wie eine Abschiebung durch Wiederaufnahme seitens eines Drittstaats oder ähnlich wie eine Rücküberstellung durch Wiederaufnahme durch den Erstaufnahmestaat oder einen anderen Staat erfolgen, der zur Wiederaufnahme des Betroffenen nach Art. 18 der Dublin-III-Verordnung verpflichtet ist. In dem zweiten Fall unterliegt die Haft aber nicht den Voraussetzungen von Art. 28 Abs. 2 der Dublin-III-Verordnung. Das ergibt eine legislative Interpretation der Vorschrift (zu dieser Figur im nationalen Recht: Senat, Urteil vom 27. März 2015 - V ZR 216/13, BGHZ 204, 364, Rn. 20) durch den Unionsgesetzgeber selbst, was eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union entbehrlich macht (sog. acte claire, EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982, Rs. 283/81 C.I.L.F.I.T., EU: C:1982: 335 Rn. 14 f., 16; Schmidt-Räntsch in Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, 3. Aufl., § 23 Rn. 27, 29). Die Mitgliedstaaten sind nämlich nach Art. 14 Abs. 4 des Schengener Grenzkodexes und, wenn eine Kontrolle der Binnengrenzen stattfindet, nach Art. 32 i.V.m. Art 13 Abs. 4 des Schengener Grenzkodexes verpflichtet, die unerlaubte Einreise durch Flüchtlinge zu verhindern.

Die Haft zur Sicherung der Prüfung des Rechts auf Einreise bildet nach Art. 8 Abs. 3 Buchstabe c der Richtlinie 2013/33/EU (vom 26. Juni 2013, ABl. EU Nr. L 180 S. 96 - Aufnahmerichtlinie) einen eigenständigen Haftgrund, den die Richtlinie von dem Haftgrund zur Sicherung der Rücküberstellung eines unerlaubt eingereisten Ausländers nach Art. 28 Abs. 2 der Dublin-III-Verordnung unterscheidet (vgl. Art. 8 Abs. 3 Buchstabe f der Aufnahmerichtlinie). Die Prüfung des Rechts des Betroffenen auf Einreise umfasst auch die Prüfung, ob der Staat, in den der Betroffene an sich nicht einreisen darf, nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 3 der Dublin-III-Verordnung verpflichtet oder nach Art. 17 der Dublin-III-Verordnung berechtigt ist, die Sachprüfung des Antrags des Betroffenen auf internationalen Schutz zu übernehmen und dem Betroffenen dazu die Einreise zu gestatten."

Soweit der Verfahrensbevollmächtigte der Betroffenen auf das Urteil des EuGH vom 19.03.2019 verweist, ist die Kammer der Überzeugung, dass die bezeichnete EuGH-Entscheidung bezüglich der vorliegenden Fallgestaltung keine Aussage trifft und daher der bezeichneten Rechtsprechung des BGH nicht entgegensteht. Die Entscheidung des EuGH betrifft eine andere Fallkonstellation als die vorliegende, nämlich die Rückkehr des Betroffenen in ein Drittland und gerade nicht - wie hier - die Rückführung in einen Schengen/EU-Staat.

Gemäß Art. 32 SGK finden bei Wiedereinführung von Grenzkontrollen an den Binnengrenzen die einschlägigen Bestimmungen des Titels II entsprechend Anwendung. Würde der Argumentation gefolgt, dass eine Einreiseverweigerung gemäß Art. 14 SGK auch in Fällen, in denen der Betroffene innerhalb der Mitgliedstaaten zurückgewiesen werden soll, nicht statthaft ist, wäre der Zweck der wiedereingeführten Grenzkontrollen, wie die beteiligte Ausländerbehörde anführt, ad absurdum geführt. Die Anwendung von Art. 28 Abs. 2 Dublin-III-VO würde in vorliegender Konstellation dazu führen, dass auch bei wiedereingeführten Grenzkontrollen bei einem Nichtvorliegen einer erheblichen Fluchtgefahr dem Betroffenen die Einreise gestattet werden müsste.

Zur Überzeugung der Kammer hat sich an den Ausführungen des BGH in dessen Beschluss vom 20.09.2017 auch unter Berücksichtigung der Entscheidungen des EuGH vom 19.03.2019, C-444/17, und vom 31.05.2018, C-647/16, nichts geändert. Insbesondere die zuletzt genannte Entscheidung enthält keine Aussage darüber, dass bei Anwendung der Dublin-III-VO immer auch die Vorschrift des Art. 28 Abs. 2 Dublin-III-VO zur Anwendung kommen muss (vgl. EuGH, Urteil vom 31.05.2018, C-647/16, Celex-Nr. 62016CJ0647, Rn. 67). Der BGH führt insoweit aus, dass die Haft zur Sicherung der Prüfung des Rechts auf Einreise nach Art. 8 Abs. 3 Buchstabe c der Richtlinie 2012/33/EU einen eigenständigen, vom Haftgrund des Art. 8 Abs. 3 Buchstabe f der Aufnahmerichtlinie unabhängigen Haftgrund darstellt.

Gegenüber der Betroffenen erging letztlich keine Rückkehrentscheidung, da diese die Schengen/EU-Staaten nicht zu verlassen hatte. [...]