VG Meiningen

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Zitieren als:
VG Meiningen, Beschluss vom 04.04.2019 - 5 E 346/19 Me - asyl.net: M27744
https://www.asyl.net/rsdb/M27744
Leitsatz:

Kein unzulässiger Zweitantrag bei Konversion zum Christentum:

1. Die Taufe bildet im Asylfolgeverfahren eine geänderte, neue Sachlage im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG, die Taufurkunde ist ein neues Beweismittel im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG.

2. Vom Islam konvertierten Christen droht in Afghanistan Verfolgung durch staatliche und nichtstaatliche Akteure. Diese Verfolgung begründet auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Zweitantrag, Konversion, Apostasie, neue Beweismittel, Beweismittel, Änderung der Sachlage, Afghanistan, Taufe, Christen,
Normen: AsylG § 71, VwVfG § 51 Abs. 1, AsylG § 3, AufenthG 3 60 Abs. 5,
Auszüge:

[...]

Nachdem die Taufe des Antragstellers nach Abschluss des Erstverfahrens in Schweden erfolgte, daher dort nicht vorgetragen werden konnte, ist eine nach Abschluss des Erstverfahrens neu eingetretene Sachlage damit dargetan. Ebenso liegt darin die Vorlage eines neuen Beweismittels. Wenn auch die Hinwendung zum Christentum bereits im Erstverfahren Gegenstand war und nicht zu einer Anerkennung geführt hat, so ist die nunmehr erfolgte Taufe des Antragstellers als neuer Gesichtspunkt im Prozess des Konvertierens eine durchaus geeignete Änderung der Sachlage und gleichzeitig ein bislang nicht berücksichtigtes Beweismittel, das eine andere Beurteilung der Sach- und Rechtslage im Hinblick auf die geltend gemachte Konversion darstellen kann. Es ist hierbei der Tatsache Rechnung zu tragen, dass es sich bei der Hinwendung zu einer anderen Religion um einen Prozess handelt, der Phasen durchläuft, die mit einer zögerlichen Haltung beginnen können, die noch nicht geeignet ist, die Wahrscheinlichkeit einer im Heimatland drohenden Verfolgung auszulösen, im Laufe einer Entwicklung jedoch in eine deutliche und im Heimatland dann doch Verfolgung auslösenden Hinwendung zum neuen Glauben münden kann. Insoweit bestehen ernsthafte Zweifel an der Einschätzung des Bundesamtes, es lägen weder neue Beweismittel vor, noch sei eine Änderung der Sach- und Rechtslage dargetan.

2. Auch kommt die Feststellung eines Abschiebeverbotes im Hinblick auf Afghanistan gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG ernsthaft in Betracht. [...]

Dem Antragsteller droht bei summarischer Prüfung nach Aktenlage aufgrund der von ihm vorgetragenen Konversion zum Christentum und dem damit erfolgten Abfall vom muslimischen Glauben, der in Afghanistan als Apostasie verstanden wird, im Falle der Einreise oder Abschiebung nach Afghanistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit dort Verfolgung mit Gefahr für Leib und Leben und damit eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung. Die Bedrohung ist vor allem von nichtstaatlichen Akteuren zu erwarten, nämlich durch Mitglieder seiner Familie und sonstige Muslime seines Lebensumfelds.

Die Verfassung der Islamischen Republik Afghanistan erklärt den Islam zur Staatsreligion Afghanistans. Zwar wird den Angehörigen anderer Religionsgemeinschaften das Recht eingeräumt, im Rahmen der Gesetze ihren Glauben auszuüben und ihre religiösen Bräuche zu pflegen. Somit gewährleistet die Verfassung grundsätzlich das Recht auf freie Religionsausübung. Dieses Grundrecht umfasst jedoch nicht die Freiheit, vom Islam zu einer anderen Religion zu konvertieren, und schützt somit nicht die freie Religionswahl (UNHCR, Richtlinie zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs Afghanischer Asylsuchender, Stand: August 2013, S. 49 ff.; Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 31.05.2018, S. 11; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update - Die aktuelle Sicherheitslage, Stand: September 2015. S. 19). Vielmehr kommt im Fall des Wechsels vom Islam zu einer anderen Religion Scharia-Recht zur Anwendung. In Afghanistan verbreitete Interpretationen der Scharia (sowohl sunnitische wie schiitische) sehen eine Konversion vom Islam als Apostasie, die mit dem Tode zu bestrafen ist. Männer ab Vollendung des 18. und Frauen ab Vollendung des 16. Lebensjahres, die im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte sind, haben nach einer Konversion vorn Islam drei Tage Zeit, um zu widerrufen. Anderenfalls droht die Todesstrafe durch Steinigung (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Informationszentrum Asyl und Migration, Lage der Religionsgemeinschaften in ausgewählten islamischen Ländern, Stand August 2011, S. 11). Die Todesstrafe wegen Konversion wurde zwar nach Kenntnissen des Auswärtigen Amtes bisher nicht vollstreckt (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan vorn 19.10 2016, S. 12). Aus Angst vor Diskriminierung, Verfolgung, Verhaftung und Tod bekennen sieh Christen nicht öffentlich zu ihrem Glauben und versammeln sich nicht offen, um zu beten (Republik Österreich, BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Stand 21.01.2016, S. 148). Konvertiten drohen Gefahren für Leib und Leben häufig auch aus dem familiären oder nachbarschaftlichen Umfeld, da der Abfall vorn Islam in der streng muslimisch geprägten Gesellschaft als Schande für die Familienehre angesehen wird (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan vorn 19.10.2016, S. 12; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update - Die aktuelle Sicherheitslage, September 2015, S. 17). Damit sind zum Christentum konvertierte Muslime in Afghanistan für den Fall, dass sie ihren Glauben nicht ablegen beziehungsweise nicht verleugnen wollen, der Gefahr erheblichen Repressalien auch im privaten Umfeld ausgesetzt. [...]