VG Sigmaringen

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Zitieren als:
VG Sigmaringen, Beschluss vom 21.10.2019 - A 2 K 2791/19 - asyl.net: M27790
https://www.asyl.net/rsdb/M27790
Leitsatz:

Mögliche Menschenrechtsverletzungen in Nigeria wegen unmenschlicher Haftbedingungen und Strafen nach Einführung des Scharia-Rechts:

1. In Nigeria sind die Haftbedingungen schwierig und Inhaftierungen ohne Anklage oder Urteil, die sich zum Teil über mehrere Jahre hinziehen, sind weit verbreitet. Hinzu kommt die Einführung des Scharia-Strafrechts in den 12 muslimisch geprägten nördlichen Bundesstaaten mit Verhängung von Körperstrafen bis hin zu Todesurteilen wie Steinigungen. Bestehen Anhaltspunkte dafür, dass Schutzsuchende in Nigeria von der Polizei gesucht werden, muss im Hauptsachverfahren geklärt werden, ob dort deshalb eine erniedrigende Behandlung nach Art. 3 EMRK droht, die zu einem Abschiebungsverbot führt.

2. Ob eine schutzsuchende Person im Zweitantragsverfahren ausschließlich Verfolgungsgründe vorbringt, die sie bereits im Staat des Asylerstverfahrens hätte vorbringen können oder dort bereits vorgebracht hat sowie die Frage der Glaubhaftigkeit der angegebenen Fluchtgründe können nur im Hauptsacheverfahren geklärt werden.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Nigeria, Haftbedingungen, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, Scharia-Recht, Körperstrafe, Todesstrafe, einstweilige Anordnung, Zweitantrag, Prüfungsmaßstab, Glaubhaftmachung,
Normen: EMRK Art. 3, AufenthG § 60 Abs. 5,
Auszüge:

[...]

Die Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland für den Zweitantrag dürfte im vorliegenden Fall gegeben sein, nachdem die Überstellungsfrist abgelaufen ist. Ob der Antragsteller für den Zweitantrag ausschließlich Verfolgungsgründe vorbringt, die er bereits in dem in Italien durchgeführten Asylverfahren hätte vorbringen können bzw., die er dort vorgebracht hat, kann, ebenso wie die Frage, ob die angegebenen Fluchtgründe glaubhaft und als Grundlage für eine Zuerkennung des internationalen Schutzes geeignet sind, nur im Hauptsacheverfahren geklärt werden.

Danach ist offen, ob beim Antragsteller ein Anspruch auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens in Deutschland besteht. Der Eilantrag hat schon deswegen Erfolg.

2. Die Feststellung, dass keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG bezüglich Nigeria bestehen, erscheint auf der bisher vom Bundesamt erarbeiteten Grundlage rechtlich ebenfalls zweifelhaft. Die allgemeine Lage in Nigeria (siehe Auswärtiges Amt, Lagebericht Nigeria vom 10.12.2018) stellt verschiedene asylrelevante Tatsachen dar. Inwiefern sich der Vortrag des Antragstellers danach als geeignet erweist, ist im Hauptsacheverfahren zu prüfen. Der Antragsteller hat bei der Anhörung vorgetragen, es habe am ... 2016 einen Kampf gegeben. Er habe sich daran beteiligt und deswegen befürchten müssen, von der Polizei in das Gefängnis gebracht zu werden. Es sei von den Jugendlichen und auch vom Antragsteller ein lange bestehender Konflikt zwischen zwei Dörfern ausgetragen worden. Es sei um ein Grundstück gegangen, das jedes Dorf für sich beansprucht habe. Der Antragsteller habe einen anderen mit der Machete in die Hand und in den Fuß geschlagen. Ihm sei berichtet worden, dass die Polizei nach dem Kampf nach den Jugendlichen gefahndet habe. Er sei deswegen geflohen.

Nach dem Lagebericht Nigeria, a.a.O., Seite 20, sind die Haftbedingungen schwierig und außerdem Dauerinhaftierungen ohne Anklage oder Urteil, die sich zum Teil über mehrere Jahre hinziehen, weit verbreitet. Hinzu komme die Einführung des Scharia-Strafrechts auf landesgesetzlicher Ebene mit Verhängung von Körperstrafen bis hin zu Todesurteilen wie Steinigung, Lagebericht Nigeria, a.a.O., Seite 13.

Ob dem Antragsteller danach in Nigeria eine erniedrigende Behandlung nach Art. 3 EMRK oder sonst eine konkrete erhebliche Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit droht, ist im Hauptsacheverfahren zu klären.

Ein Anspruch auf Feststellung von Abschiebungsverboten erscheint danach jedenfalls nicht ausgeschlossen. Der Ausgang des Rechtsstreits erscheint auch insofern eher offen. [...]