VG Karlsruhe

Merkliste
Zitieren als:
VG Karlsruhe, Urteil vom 16.10.2019 - A 4 K 10388/18 - asyl.net: M27951
https://www.asyl.net/rsdb/M27951
Leitsatz:

Fehlende Behandlung einer HIV-Erkrankung in Nigeria "allgemeine Gefahr":

1. Die unzureichende Behandlungslage von Personen mit HIV-Infektion stellt eine allgemeine Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 S. 6 AufenthG dar, welche die Feststellung eines Abschiebungsverbots grundsätzlich nicht rechtfertigt (unter Bezug auf: BVerwG, Beschluss vom 17.10.2006 - 1 C 18.05 - asyl.net: M9299; VGH Mannheim, Urteil vom 05.04.2011 – A 9 S 2504/10).

2. In Nigeria ist die HIV-Erkrankung derart weit verbreitet, dass eine unzureichende Behandlungslage eine allgemeine Gefahr im oben genannten Sinne darstellt.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Nigeria, HIV/AIDS, Abschiebungsverbot, krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot, allgemeine Gefahr,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 6,
Auszüge:

[...]

26 bb) Nach diesem Maßstab handelt es sich bei den Folgen der HIV-Erkrankung der Klägerin nicht um eine individuelle, sondern um eine allgemeine Gefahr, auf die ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG grundsätzlich nicht gestützt werden kann.

27 Wer sich in Bezug auf ein Land mit hoher HIV-Prävalenz auf eine unzureichende Behandlungslage für HIV-Infizierte beruft, macht eine allgemeine Gefahr geltend, die die Feststellung eines Abschiebungsverbotes grundsätzlich nicht rechtfertigen kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.10.2006 – 1 C 18.05 – juris Rn. 16; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 05.04.2011 – A 9 S 2504/10 – juris).

28 Auch in Nigeria ist das HI-Virus derart weit verbreitet, dass eine unzureichende Behandlungslage für HIV-Infizierte eine allgemeine Gefahr darstellt, die die Feststellung eines Abschiebungsverbotes grundsätzlich nicht rechtfertigt.

29 Nigeria hat die zweitgrößte HIV-Epidemie der Welt (vgl. Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Nigeria, Gesamtaktualisierung vom 07.08.2017, S. 70 f.). Die HIV-Prävalenz bei Personen im Alter von 15 bis 49 Jahren wird von den Vereinten Nationen auf etwa 2,8% geschätzt. Nach Informationen der Weltgesundheitsorganisation ist HIV/AIDS in Nigeria die zweithäufigste Todesursache (vgl. European Asylum Support Office, Country of Origin Information Report Nigeria – Key socio-economic indicators vom November 2018, S. 47). Ausweislich der Lageberichte des Auswärtigen Amtes sind nach offiziellen Schätzungen sogar rund 5% der Bevölkerung Nigerias mit HIV/AIDS infiziert, wobei die tatsächliche Infektionsrate um einiges höher liegen dürfte (vgl. etwa Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria vom 21.01.2018 – VS-NfD, S. 25). Bei einer Bevölkerung von rund 200 Millionen Menschen beläuft sich die Zahl der in Nigeria an HIV/AIDS Erkrankten mithin auf mehrere Millionen.

30 Handelt es sich sonach um eine große Anzahl Betroffener und besteht deshalb ein Bedürfnis für eine ausländerpolitische Leitentscheidung, so ist die Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG grundsätzlich gesperrt. [...]