VG Trier

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Zitieren als:
VG Trier, Urteil vom 10.03.2020 - 1 K 3603/18.TR - asyl.net: M28427
https://www.asyl.net/rsdb/M28427
Leitsatz:

Keine Gefahr der Verfolgung in Eritrea im Falle untergeordneter exilpolitischer Tätigkeiten:

"Es besteht nicht die beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass eritreische Staatsangehörige, die sich im Bundesgebiet in untergeordneter Stellung exilpolitisch betätigt haben, im Falle einer Rückkehr nach Eritrea mit staatlichen Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen haben.

Nach der aktuellen Auskunft des Auswärtigen Amtes liegen keine Erkenntnisse darüber vor, ab welcher Schwelle einer exilpolitischen Betätigung in Deutschland ein nach Eritrea zurückgekehrter eritreischer Staatsangehöriger mit Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen hätte. Es dürfte von den Umständen des Einzelfalles abhängen, ob solche Maßnahmen ergriffen werden. Auch nach einer aktuellen Auskunft des Bundesamtes für Verfassungs­schutz liegen keine Erkenntnisse über nachrichtendienstliche Aktivitäten oder gar Spionagetätigkeit eritreischer Staatsvertreter in Deutschland vor.

In Bezug auf die aufgeworfene Frage ist folglich von einem "non liquet" [einer ungeklärten Tatsachenfrage] auszugehen. Dieser Umstand geht nach den Grundsätzen der materiellen Beweislast allein zu Lasten der Klägerin (BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 - 1 C 37.18 )."

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Eritrea, Exilpolitik, Beweislast, politische Überzeugung, Verfolgung, Wehrdienstverweigerung, Rückkehrerfälle, Militärdienst, Wehrdienstentziehung, Flüchtlingsanerkennung, subjektive Nachfluchtgründe, Nachfluchtgründe, selbstgeschaffene Nachfluchtgründe,
Normen: AsylG § 3, AsylG § 3a, AsylG § 3b
Auszüge:

[...]

Unter Vorlage weiterer Fotos weist sie darauf hin, dass sie an Versammlungen der eritreischen Opposition unter anderem am 2019 in teilgenommen habe. Diese Fotos seien auch auf der Internetseite der EDP zu sehen. [...]

37 3. Schließlich droht der Klägerin eine flüchtlingsrelevante Verfolgung auch nicht aufgrund ihrer exilpolitischen Tätigkeit in der Bundesrepublik Deutschland. Entgegen der Ansicht der Klägerin ist bereits nicht beachtlich wahrscheinlich, dass jedwede exilpolitische oppositionelle Aktivität zu einer flüchtlingsrelevanten Verfolgung durch den eritreischen Staat führt.

38 Die Klägerin ist ein einfaches Mitglied der sogenannten EDP (Eritrean Democratic Party). Sie nimmt nach ihren eigenen Einlassungen gelegentlich an Veranstaltungen, Treffen und auch Demonstrationen der Partei teil. Eine hervorgehobene Stellung kommt der Klägerin nicht zu.

39 Nach der dem Gericht vorliegenden Erkenntnislage, erneuert durch die aktuellen Auskünfte des Auswärtigen Amtes vom 27. Januar 2020 und das Bundesamt für Verfassungsschutz vom 13. Januar 2020 für das vorliegende Verfahren, ist bereits unklar, ob und in welchem Umfang der eritreische Staat politische Aktivitäten in der Diaspora überwacht (a.), wie auch ob und wie im Falle der zwangsweisen Rückführung die eritreischen Behörden nach Art und Rang der oppositionellen Betätigung differenzieren, insbesondere ob sie auch untergeordnete Tätigkeiten – wie im Fall der Klägerin – für die Exilopposition zum Anlass für Verfolgungsmaßnahmen nehmen (b.) (so auch VG Düsseldorf, Urteil vom 7. November 2019 – 6 K 2397/19.A –, juris, Rn. 51 ff.). [...]

46 Im EASO Bericht (Eritrea, National service, exit and return, September 2019, S. 62 ff.) heißt es,  dass nur wenige Informationen über die Behandlung von zwangsweise zurückgeführten Eritreern vorliegen. Der SEM stellte fest, dass das Schicksal der meisten Deportierten bei ihrer Ankunft in Eritrea unbekannt und nicht dokumentiert ist. Aufgrund der geringen Zahl erzwungener Rückführungen nach Eritrea basieren die Informationen zur Behandlung von Zwangsrückkehrern auf Berichten von Personen, die aus dem Sudan über die Landesgrenzen zurückgeführt wurden. Dabei handelt es sich um anekdotische Informationen. Grund für das Fehlen an Erkenntnissen ist, dass Eritrea in vielen Bereichen eine "black box" ist (vgl. hierzu Bundesverwaltungsgericht der Schweiz, Urteil vom 30. Januar 2017 - D-7898/2015 -, S. 15 f.).

47 Auf eine – jedenfalls in der Vergangenheit erfolgte – Überwachung und Registrierung exilpolitischer Aktivitäten deuten ältere Auskünfte hin. Das Auswärtige Amt gab dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof bereits am 12. Dezember 2006 eine Auskunft dahingehend, dass die Beschaffung von Informationen in Eritrea über mögliche Verfolgungsmaßnahmen von Oppositionellen bei einer Rückkehr schwierig seien, das hierbei gewonnene Gesamtbild sei daher lückenhaft und die Quellen könnten nicht überprüft werden. Die gewonnenen Informationen ließen in ihrer Gesamtheit jedoch den Schluss zu, dass Personen, die sich in Deutschland für regierungsfeindliche oder -kritische Exilorganisationen betätigten, hierbei überwacht und registriert würden und bei der Rückkehr nach Eritrea mit staatlichen Verfolgungsmaßnahmen rechnen müssten. Es gelte als wahrscheinlich, dass der Maßstab für die Art der Beobachtung und gegebenenfalls der staatlichen Verfolgung der Grad der oppositionellen Betätigung und damit der Gefährlichkeit des Betroffenen für das gegenwärtige Regime sei. Welche Kriterien die eritreischen Behörden bei dieser Bewertung anlegen würden, sei nicht bekannt. Eine untergeordnete oppositionelle Betätigung im Ausland müsse nicht zwangsläufig zu staatlichen Verfolgungsmaßnahmen führen, das Risiko einer Verfolgung bei Rückkehr nach Eritrea könne aber nicht ausgeschlossen werden. Eine konkrete Aussage zu der Frage, mit welchen staatlichen Maßnahmen bei Rückkehr nach Eritrea zu rechnen wäre, könne das Auswärtige Amt daher nicht treffen (Auskunft des Auswärtigen Amtes an den hessischen VGH vom 21. Dezember 2006, GZ 508-516.80/44913).

48 In die gleiche Richtung geht eine Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 31. Dezember 2008 betreffend die Frage der Gefährdungslage bei exilpolitischen Aktivitäten. Darin heißt es, dass seit November 2005 dem Auswärtigen Amt kein weiterer Referenzfall zur Verfolgung eines Eritreers nach dessen Rückkehr nach Eritrea wegen einer exilpolitischen Betätigung bekannt geworden sei. Es könne daher zum Grad der Wahrscheinlichkeit einer asylerheblichen Verfolgung je nach dem Ausmaß einer exilpolitischen Betätigung keine Aussage treffen. Dies gelte auch, soweit es sich bei den Exilparteien um die EDP oder die ELF gehandelt habe. In Anbetracht der unzureichenden Faktenlage halte das Auswärtige Amt staatliche Verfolgungsmaßnahmen gegen zurückgekehrte Eritrea wegen einer untergeordneten oppositionellen Betätigung im Ausland weiterhin nicht für zwangsläufig, könne das Risiko einer Verfolgung aber auch nicht ausschließen (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 31. Juli 2008, GZ 508-516.80/44710/44913).

49 a. Diese Einschätzung des Bestehens der Möglichkeit aber fehlende Aussagekraft betreffend den Wahrscheinlichkeitsgrad einer Verfolgung wird durch die im vorliegenden Verfahren ergänzend eingeholten Auskünfte, auch durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) teilweise bestätigt. In Bezug auf die staatliche Überwachung wurden die Aussagen so nicht erneuert. Das BfV führt in der vorliegenden Auskunft aus, dass ihm keine aktuellen Erkenntnisse zu nachrichtendienstlichen Aktivitäten eritreischer Stellen in Deutschland vorlägen. Hinweise auf nachrichtendienstliche Aktivitäten Eritreas ergäben sich aus einem Zeitungsbericht aus dem Jahr 2008. Ähnliche Behauptungen gäbe es von Asylbewerbern im Rahmen der Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Konkrete Einzelfälle seien dem BfA in den letzten Jahren nicht bekannt geworden. Damit konnten nachrichtendienstliche Aktivitäten oder gar Spionagetätigkeit eritreischer Staatsvertreter in Deutschland gerade nicht festgestellt werden bzw. als beachtlich wahrscheinlich bewertet werden.

50 b. Im Ergebnis kann es jedoch offen bleiben, ob es beachtlich wahrscheinlich ist, dass der eritreische Staat aktuell sämtliche oppositionell exilpolitischen Betätigungen seiner eigenen Staatsangehörigen unabhängig von deren Umfang überwacht und registriert. Selbst bei einer unterstellten Registrierung der untergeordneten exilpolitischen Betätigung der Klägerin seit dem Jahr 2018 ist es jedenfalls nicht beachtlich wahrscheinlich, dass die Klägerin im Falle der Rückkehr mit Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen hat (so ebenfalls VG Münster, Urteil vom 10.09.2019 – 11 K 5924/16.A -, juris; VG Düsseldorf, Urteil vom 7 November 2011 – 6 K 2397/19.A -, juris).

51 Der in diesem Verfahren eingeholten Auskunft des Auswärtigen Amtes ist nicht zu entnehmen, dass eine einfache Mitgliedschaft – wie die der Klägerin – in einer exilpolitischen Oppositionspartei mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu Repressalien und Sanktionen wie beispielhaft eine willkürliche Inhaftierung seitens des eritreischen Staates führen wird. Vielmehr liegen dem Auswärtigen Amt keine Erkenntnisse darüber vor, ab welcher Schwelle einer politischen Betätigung in Deutschland ein nach Eritrea zurückgekehrter eritreischer Staatsangehöriger mit Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen hätte. Es dürfte von den Umständen des Einzelfalles abhängen, ob solche Maßnahmen ergriffen werden. Referenzfälle seien nicht bekannt. Diese Auskunft entspricht im Ergebnis den älteren Auskünften, wonach eine untergeordnete oppositionelle Betätigung im Ausland nicht zwangsläufig zu staatlichen Verfolgungsmaßnahmen führen müsse, das Risiko einer Verfolgung bei Rückkehr nach Eritrea jedoch nicht ausgeschlossen werden könne. Es gelte als wahrscheinlich, dass der Maßstab für die gegebenenfalls staatliche Verfolgung der Grad der oppositionellen Betätigung und damit der Gefährlichkeit des Betroffenen für das gegenwärtige Regime sei (Auskunft des AA an den VGH Hessen vom 21.12.2006 – RK 508-516.80/44913).

52 Aus der jüngsten Auskunft wird mithin deutlich, dass der Grad der Wahrscheinlichkeit aufgrund untergeordneter exilpolitischer Betätigungen ins Visier der eritreischen Regierung zu geraten jedenfalls nicht gestiegen ist, wenn gar sich nicht eher verringert hat. Diese Entwicklung dürfte auch die im Vergleich zu der Anfang der 2000er bestehenden, nunmehr sich entspannenden politischen Lage, entsprechen (dazu VG Münster, aaO, juris Rn. 111 ff.), um beispielhaft den Friedensschluss mit Äthiopien im Juli 2018 anzuführen.

53 Einig sind sich die genannten Auskünfte darüber hinaus darin, dass keine Referenzfälle bekannt sind. Darüber hinausgehende Erkenntnisse zu der Frage nach der Reaktion des eritreischen Staates auf exilpolitische Betätigungen liegen dem Gericht nicht vor und sind auch nicht von der Klägerin vorgebracht worden. Vielmehr enthalten die von der Klägerin zitierten Erkenntnisse keinerlei Ausführungen zu dieser Fragestellung. Soweit die von der Klägerin angeführte Auskunft des GIGA an das VG Minden ausführt, dass auch in Deutschland ein engmaschiges Spitzelnetz existiere, Agenten der Regierung sowohl bei Veranstaltungen der Opposition, aber auch in kirchlichen Gemeinden und kulturellen Vereinigungen präsent seien und das Verhalten ihrer Landsleute beobachteten, weswegen illegal Ausgereiste ihr Leben lang als solche identifiziert werden würden und es auch Fälle gebe, in denen in der Diaspora lebende Eritreer, die sich auf eine Urlaubsreise nach Eritrea befunden hätten, wegen ihres Jahrzehnte zurückliegenden Engagements für die ELF verhaftet worden seien, führt auch diese Auskunft zu keinen weitergehenden Erkenntnissen. Der Verfasser dieser Auskunft ist bereits nicht identifizierbar. Darüber hinaus ermangelt es dieser Auskunft an jeglichen verifizierbarer Quellenangabe, insbesondere woher das Institut in Abgrenzung zum Auswärtigen Amt wie auch den anderen genannten Institutionen zu solchen Erkenntnissen gekommen sein möchte. Stattdessen geht auch aus den übrigen Quellen hervor, dass es generell an hinreichend verlässlichen Informationen zum Umgang der eritreischen Behörden mit zwangsweise zurückgeführten Eritreern mangelt.

54 In Bezug auf die aufgeworfene Frage ist folglich von einem "non liquet" auszugehen. Dieser Umstand geht nach den Grundsätzen der materiellen Beweislast allein zu Lasten der Klägerin.

55 Wer die (materielle) Beweislast trägt, bestimmt sich nach materiellem Recht und ist in Auslegung der im Einzelfall einschlägigen Normen zu ermitteln; enthalten diese keine besonderen Regelungen, so greift der allgemeine Rechtsgrundsatz ein, dass die Nichterweislichkeit von Tatsachen, aus denen eine Partei ihr günstige Rechtsfolgen herleitet, zu ihren Lasten geht. Nach diesem Günstigkeitsgrundsatz muss derjenige, der das Bestehen eines Rechts behauptet, die Nichterweislichkeit rechtsbegründender Tatsachen gegen sich gelten lassen (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 - 1 C 37.18 -, juris, Rn. 23).

56 In Anwendung dieser Grundsätze trägt grundsätzlich der Schutzsuchende die (materielle) Beweislast für das Vorliegen der (positiven) Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und geht insoweit ein non liquet zu seinen Lasten. Dies gilt jedenfalls bei einer - wie hier - nicht vorverfolgt ausgereisten Klägerin hinsichtlich der Frage, ob ihr bei Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 - 1 C 37.18 -, juris, Rn. 24 m.w.N.; OVG NRW mit Beschluss vom 31. Juli 2018 - 14 A 707/18.A -, juris, Rn. 51 ff.; VG Düsseldorf, Urteil vom 13. Dezember 2018 - 6 K 4004/17.A -, juris, Rn. 73). [...]