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Zitieren als:
BGH, Beschluss vom 20.05.2020 - XIII ZB 73/19 - asyl.net: M28613
https://www.asyl.net/rsdb/M28613
Leitsatz:

Nur vorläufige Haft bei Äußerung im Anhörungstermin, dass anwaltliche Vertretung gewünscht ist:

1. Das Haftgericht muss die Gelegenheit zur Suche nach einer anwaltlichen Vertretung geben und darf deshalb nur eine vorläufige Freiheitsentziehung nach § 427 Abs. 1 FamFG anordnen, wenn eine Person im Anhörungstermin erklärt, eine anwaltliche Vertretung zu wünschen, aber damit einverstanden zu sein, diese erst nach dem Anhörungstermin zu beauftragen.

2. Eine solche Erklärung kann nicht als endgültiger Verzicht auf eine anwaltliche Vertretung für die gesamte Instanz ausgelegt werden. Die Anordnung von Haft in der Hauptsache und damit einhergehende Missachtung der Erklärung stellt einen Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens dar.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Abschiebungshaft, Rechtsanwalt, Prozessbevollmächtigte, Anhörung, Haftbeschluss, Hauptsacheverfahren, faires Verfahren, einstweilige Anordnung, vorläufige Haft,
Normen: FamFG § 427 Abs. 1, EMRK Art. 6, GR-Charta Art. 47 Abs. 2,
Auszüge:

[...]

7 a) Der Grundsatz des fairen Verfahrens garantiert einem Betroffenen, sich zur Wahrung seiner Rechte in einem Freiheitsentziehungsverfahren von einem Bevollmächtigten seiner Wahl vertreten zu lassen und diesen zu der Anhörung hinzuzuziehen. Erfährt der Haftrichter erst während des Anhörungstermins, dass der Betroffene einen Rechtsanwalt hat, muss er dafür Sorge tragen, dass dieser von dem Anhörungstermin in Kenntnis gesetzt wird und an der Anhörung teilnehmen kann (BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2018 - V ZB 69/18, InfAuslR 2019, 152 Rn. 4 f. mwN).

8 b) Zum Zeitpunkt der Anhörung vor dem Amtsgericht hatte der Betroffene zwar noch keinen Rechtsanwalt für das Freiheitsentziehungsverfahren beauftragt. Er hat aber im Anhörungstermin nach dem Hinweis, dass es ihm freistehe, anwaltlichen Beistand zu suchen, erklärt, einen Anwalt hinzuziehen zu wollen. Dann musste das Amtsgericht ihm hierzu auch Gelegenheit geben und durfte Haft nur einstweilig und für nicht mehr als sechs Wochen anordnen (§ 427 Abs. 1 FamFG).

9 Soweit der Betroffene seiner Erklärung hinzugefügt hat, er sei damit einverstanden, einen Anwalt erst nach dem "heutigen Termin" zu beauftragen, liegt darin nicht der vom Beschwerdegericht angenommene Verzicht. Die Hinzuziehung anwaltlichen Beistands erst nach dem aktuellen Termin ist die regelmäßige Folge einer zunächst nur einstweiligen Haftanordnung. Dass der nicht rechtskundige Betroffene für die Instanz endgültig darauf verzichten wollte, anwaltliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, konnte der protokollierten einschränkenden Äußerung bei interessengerechter Würdigung hingegen nicht entnommen werden. [...]