VGH Bayern

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Zitieren als:
VGH Bayern, Beschluss vom 02.05.2019 - 10 CE 19.273 - asyl.net: M28855
https://www.asyl.net/rsdb/M28855
Leitsatz:

Ausländerbehörde muss auf konkrete Mitwirkungspflichten bei Identitätsklärung hinweisen:

1. Zwar kann die unzureichende Mitwirkung bei der Identitätsklärung und Passbeschaffung einen Versagungsgrund für die Erteilung einer Ausbildungsduldung darstellen. Allerdings muss auch die Ausländerbehörde in Erfüllung ihrer behördlichen Mitwirkungspflichten genau bezeichnen, was in welchem Umfang sie von Betroffenen hinsichtlich der Beschaffung von Identitätspapieren erwartet, um aus einer fehlenden Mitwirkung aufenthaltsrechtliche Konsequenzen ziehen zu können.

2. Von Betroffenen kann verlangt werden, bei der Ausstellung von Passersatzpapieren durch die Ausländerbehörde  parallel zu eigenen Bemühungen bei der Auslandsvertretung uneingeschränkt mitzuwirken. Dies ist Staatsangehörigen Eritreas und Äthiopiens auch zumutbar, da Rückführungsmöglichkeiten bestehen und das Verfahren zur Passersatzbeschaffung somit auch erfolgsversprechend ist.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Ausbildungsduldung, Passbeschaffung, Mitwirkungspflicht, Kausalität, Passersatz, Versagungsgrund,
Normen: AufenthG § 60a Abs. 6 S. 1 Nr. 2, AufenthG § 60c Abs. 2 Nr. 1,
Auszüge:

[...]

5 Neben den in § 60a Abs. 6 Satz 2 AufenthG beispielhaft aufgeführten Fällen der Täuschung und Falschangaben kann auch in der unzureichenden Mitwirkung bei der Identitätsklärung und Passbeschaffung grundsätzlich ein Versagungsgrund nach § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 AufenthG zu sehen sein, der ein absolutes Erwerbstätigkeitsverbot begründet (vgl. zu § 11 BeschVerfV a.F. SächsOVG, B.v. 7.3.2013 - 3 A 495/11 - juris Rn. 7). Ein vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer ist im Rahmen der ihm obliegenden Mitwirkungspflichten gefordert, bezüglich seiner Identität und Staatsangehörigkeit zutreffende Angaben zu machen, an allen zumutbaren Handlungen mitzuwirken, die die Behörden von ihm verlangen, und darüber hinaus eigeninitiativ ihm mögliche und bekannte Schritte in die Wege zu leiten, die geeignet sind, seine Identität und Staatsangehörigkeit zu klären und die Passlosigkeit zu beseitigen (zu § 25 Abs. 5 AufenthG vgl. OVG MV, U.v. 24.6.2014 - 2 L 192/10 - juris). Nach § 15 Abs. 1 AsylG ist der Ausländer persönlich verpflichtet, bei der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken; insbesondere hat er nach § 15 Abs. 2 AsylG den Ausländerbehörden seinen Pass oder Passersatz bzw. alle erforderlichen Urkunden und sonstigen Unterlagen, die in seinem Besitz sind, vorzulegen, auszuhändigen und zu überlassen (Nrn. 4 und 5) und im Falle des Nichtbesitzes eines gültigen Passes oder Passersatzes an der Beschaffung eines Identitätspapiers mitzuwirken (Nr. 6). Wie sich aus § 48 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ergibt, hat der Ausländer bei der Beschaffung von Identitätspapieren mitzuwirken. Die Mitwirkung muss sich neben dem Bemühen um einen Pass oder Passersatz auch auf die Beschaffung sonstiger Urkunden und Dokumente unabhängig vom Aussteller richten, sofern sie zu dem Zweck geeignet sind, die Ausländerbehörden bei der Umsetzung einer Rückführungsmöglichkeit zu unterstützen. Unzureichende Mitwirkung bei der Passbeschaffung stellt einen Versagungsgrund dar (NdsOVG, B.v. 15.5.2018 - 8 ME 23/18 - juris Rn. 9; OVG LSA, B.v. 23.10.2018 - 2 M 112/18 - juris Rn. 18; Bauer/Dollinger in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Auflage, § 60a Rn. 54). Die Mitwirkungspflicht umfasst auch die Abgabe der von der Auslandsvertretung des mutmaßlichen oder tatsächlichen Heimatstaates geforderten Erklärungen (§ 49 Abs. 2 AufenthG).

6 Andererseits ist die zuständige Ausländerbehörde dabei auch gehalten, in Erfüllung ihr selbst obliegender behördlicher Mitwirkungspflichten konkret zu bezeichnen, was genau in welchem Umfang vom Ausländer erwartet wird, wenn sich ein bestimmtes Verhalten nicht bereits aufdrängen muss. Die Behörde ist regelmäßig angesichts ihrer organisatorischen Überlegenheit und Sachnähe besser in der Lage, die bestehenden Möglichkeiten zu erkennen und die erforderlichen Schritte in die Wege zu leiten (VGH BW, U. v. 3.12.2008 - 13 S 2483/07 - juris m.w.N.). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgericht muss die Ausländerbehörde gesetzliche Mitwirkungspflichten beispielsweise zur Beschaffung von Identitätspapieren konkret gegenüber dem Betroffenen aktualisiert haben, um aus der mangelnden Mitwirkung negative aufenthaltsrechtliche Folgen ziehen zu können (vgl. für § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG BVerwG, U.v. 26.10.2010 - 1 C 18.09 - juris Rn. 17; BayVGH, B. v. 22.1.2018 - 19 CE 18.51 - juris Rn. 25; B.v. 9.5.2018 - 10 CE 18.738 - juris Rn. 6). Unter Berücksichtigung der genannten Regelbeispiele in § 60a Abs. 6 Satz 2 AufenthG muss eine mangelnde Mitwirkung ein gewisses Gewicht erreichen, so dass es gerechtfertigt erscheint, sie aktivem Handeln gleichzustellen (vgl. für § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG BVerwG, U.v. 26.10.2010 - 1 C 18.09 - juris Rn. 17).

7 Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze erfüllt der Antragsteller den zwingenden Versagungsgrund des § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. Satz 2 AufenthG. Er wurde umfassend über seine Mitwirkungspflichten mit Schreiben vom 16. Mai 2018 belehrt. Die Ausländerbehörde hat auch - wiederholt - dargelegt, was und in welchem Umfang sie vom Antragsteller verlangt. Insofern ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass der Antragsteller am 16. Mai 2018 und erneut am 16. August 2018 die Unterschrift für die Beantragung von Passersatzpapieren verweigert hat. Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist die fehlende Mitwirkung bei der Beantragung von Passersatzpapieren nicht als "punktuelle Weigerung" unbeachtlich. Vom Betroffenen kann verlangt werden, es nicht bei der Einreichung der erforderlichen Unterlagen und bei der Vorsprache bei der Auslandsvertretung seines Heimatstaates zu belassen (vgl. SächsOVG, B.v. 9.7.2014 - 2 L 169/12 - Rn. 7 zu § 33 BeschV; Funke-Kaiser, GK-AufenthG, Stand April 2019, § 60a Rn. 83 m.w.N.) oder - wie zuletzt - bei den Auslandsvertretungen um Übermittlung von Formularen zu bitten. Der Antragsteller hat auch an der Ausstellung von Passersatzpapieren uneingeschränkt und ggf. parallel zu den eigenen Bemühungen mitzuwirken (vgl. BVerwG, U.v. 26.10.2010 - 1 C 18.09 - juris Rn. 22; zur Abgabe einer "Freiwilligkeitserklärung": U.v. 10.11.2009 - 1 C 19.08 - juris Rn. 18). Dies ist ihm auch zumutbar, weil von ihm keine von vornherein erkennbar aussichtslose Handlungen verlangt werden (OVG Berlin-Bbg, U.v. 16.10.2018 - OVG 3 B 4.18 - juris Rn. 22 m.w.N.). Vielmehr ist nach der von der Ausländerbehörde bei der Regierung von Oberbayern, Zentrale Passbeschaffung Bayern, eingeholten Auskunft vom 13. August 2018 davon auszugehen, dass Rückführungsmöglichkeiten sowohl nach Eritrea als auch nach Äthiopien bestehen und dass das Verfahren zur Passersatzpapierbeschaffung in der ausländerbehördlichen Praxis erfolgsversprechend ist. [...]