VG Gera

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Zitieren als:
VG Gera, Urteil vom 27.10.2020 - 4 K 287/19 Ge - asyl.net: M29091
https://www.asyl.net/rsdb/M29091
Leitsatz:

Änderung der Sach- und Rechtslage durch Zuerkennung von internationalem Schutz für Familienangehörige:

Die Zuerkennung von internationalem Schutz für Familienangehörige einer asylsuchenden Person stellt eine Änderung der Sach- und Rechtslage im Sinne des § 71a AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 VwVfG dar. 

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Änderung der Sach- und Rechtslage, internationaler Schutzstatus, Familienangehörige, Ehegatte, Kind, Zweitantrag, Flüchtlingsanerkennung, subsidiärer Schutz,
Normen: AsylG § 71a, VwVfG § 51 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

Der Kläger stützt sein Begehren ausdrücklich auf § 26 AsylG. Hierbei kann vorliegend dahingestellt bleiben, ob eine Zulässigkeitsprüfung nach § 29 AsylG im Rahmen des § 26 AsylG zu erfolgen hat (vgl. hierzu die beim BVerwG anhängigen Verfahren BVerwG 1 C 8.19 und 1 C 33.19), denn es liegen im Falle des Klägers jedenfalls die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 VwVfG (i.V.m. § 71a Abs. 1 AsylG) vor.

Die Behörde hat gemäß § 51 Abs. 1 VwVfG auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn

1. sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat;

2. neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden;

3. Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der. Zivilprozessordnung gegeben sind.

Vorliegend sind die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG gegeben.

Bei der Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus betreffend die Ehefrau und das Kind des Klägers handelt es sich im eine neue Sach- und Rechtslage. Diese ergibt sich aus der Rechts- bzw. Bestandskraft sowie der Tatbestandswirkung des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 23. Mai 2017, Az. 4 K 20922/16 Ge sowie den Bescheiden vom 18. August 2017 und vom 23. Juli 2019.

Tatbestandswirkung bedeutet, dass sämtliche Behörden und Gerichte bei der rechtlichen Beurteilung eines Sachverhalts sowohl die Tatsache, dass der Verwaltungsakt.existiert, als auch die in diesem Verwaltungsakt von der Erlassbehörde getroffene Regelung ohne Überprüfung ihrer Rechtmäßigkeit - zugrunde legen müssen. Gleiches gilt für die Wirkungen eines rechtskräftigen Urteils (vgl. Kopp/Scherike, VwGO, § 121 Rn. 3).

Die Tatbestandswirkung von Verwaltungsakten ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannt. Der Bundesgerichtshof (BGH), das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), das Bundesarbeitsgericht (BAG) sowie das Bundessozialgericht (BSG) gehen überwiegend davon aus, dass Verwaltungsakte, derentwegen sie nicht angerufen werden, mit der für einen bestimmten Rechtsbereich getroffenen Regelung als gegeben hingenommen werden müssen (BGH-Urteile vom 19. Juni 1998 - V ZR 43/97, NJW 1998, 3055; vom 14. Juni 2007 - I ZR 125/04, NVwZ-RR 2008, 154; BVerwG, Urteil vom 28. November 1986 - 8 C 122.84, 8 C 123.84, 8 C 124/84, 8 C 125.84, NVwZ 1987, 496; BAG, Urteile vom 18. Juli 2007 - 5 AZR 854/06, Die Personalvertretung 2008, 33; vom 23. Juni 1993 - 5 AZR 248/92, NZA 1994, 381; BSG, Urteil vom 17. Juni 2009 - B 6 KA 16/08 R, juris; vgl. auch BFH, Urteil vom 21. Januar 2010 - VI R 52/08 -, BFHE 228, 295, BStBl II 2010, 703, Rn. 19).

Aufgrund des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 23. Mai 2017, Az. 4 K 20922/16 Ge sowie den Bescheiden vom 18. August 2017 und vom 23. Juli 2019 ist eine Asylberechtigung des Klägers nach § 26 AsylG jedenfalls zu prüfen. Ob deren einzelne Voraussetzungen tatsächlich vorliegen, ist sodann keine Frage der Zulässigkeit des klägerischen Antrages, sondern dessen Begründetheit.

Daraus folgt, dass die Beklagte den klägerischen Antrag in der Sache zu prüfen hat und ihn nicht als unzulässig ablehnen durfte. [...]