VG Cottbus

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Zitieren als:
VG Cottbus, Urteil vom 24.11.2020 - 5 K 122/20.A - asyl.net: M29113
https://www.asyl.net/rsdb/M29113
Leitsatz:

Asylantragsablehnung als unzulässig wegen Anerkennung in anderem EU-Staat trotz vorheriger rechtskräftiger Aufhebung eines "Drittstaatenbescheids":

"Hebt ein Verwaltungsgericht eine auf § 26a AsylG und § 60 Abs. 2 Satz 2 AufenthG gestützte Unzulässigkeitsentscheidung wegen der Übergangsregelung in Art. 52 Abs. 1 Richtlinie 2013/32/EU auf, hindert die Rechtskraft dieses Urteils nicht, eine auf § 29 Abs. 1 Nr. 2 gestützte Unzulässigkeitsentscheidung zu erlassen (entgegen: VG Halle/Saale, Urteil vom 30.01.2019 - 4 A 624/16)."

(Amtlicher Leitsatz)

 

Schlagwörter: internationaler Schutz in EU-Staat, Italien, Unzulässigkeit, Übergangsregelung, subsidiärer Schutz, Drittstaatenregelung,
Normen: VwGO § 121, AsylG § 26a a.F., AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2, AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 3, AufenthG § 60 Abs. 2 S. 2,
Auszüge:

[...]

13 Die zulässige Anfechtungsklage ist unbegründet.

14 Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO.

15 Zunächst steht die Rechtskraft des Urteils des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 8. Juli 2016 dem Erlass des hier streitgegenständlichen Bescheides nicht entgegen (a.A. zur erneuten Unzulässigkeitsentscheidung VG Halle (Saale), Urteil vom 30. Januar 2019 – 4 A 624/16 – Juris).

16 Nach § 121 Nr. 1 VwGO binden rechtskräftige Urteile die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist. [...]

17 In Anwendung dieser Kriterien erweisen sich die Unzulässigkeitsentscheidung auf Grund § 26a AsylG a.F. bzw. § 60 Abs. 2 AufenthG einerseits und die Unzulässigkeitsentscheidung auf Grund § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG andererseits nicht als inhaltsgleich.

18 Die auf § 26a AsylG gestützte Entscheidung des Bundesamts vom 26. November 2015, dass dem Kläger aufgrund seiner Einreise aus einem sicheren Drittstaat kein Asylrecht zusteht, entspricht nach aktuellem Recht einer Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. April 2020 – 1 C 4.19 – Juris Rn. 14) und bildet einen anderen Streitgegenstand als die Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. April 2020 – 1 C 4.19 – Juris Rn. 24).

19 Nichts Anderes gilt mit Blick auf § 60 Abs. 2 Satz 2 AufenthG. Diese Vorschrift unterscheidet sich von § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG in ihren Rechtsfolgen dadurch, dass sie schon keine Unzulässigkeitsentscheidung vorsieht (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 29. April 2015 – A 11 S 57/15 – Juris Rn. 50ff.), jedenfalls aber keine Rechtsfolgen auslöst, wie sie für Entscheidungen nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG in § 31 Abs. 3 Satz 1 und § 35 AsylG angeordnet werden.

20 Fehlt es an der Inhaltsgleichheit der Verwaltungsakte und damit an der Identität des prozessualen Anspruchs, kommt es nicht darauf an, ob der Klagegrund (vgl. hierzu näher BVerwG, Beschluss vom 08. September 2020 – 1 B 31.20 – Juris Rn. 14: verneinend bei rechtskräftiger Verpflichtung zur Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG im Verhältnis zur Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG) die vom Verwaltungsgericht Magdeburg in seinem Urteil vom 8. Juli 2016 vertretene Auslegung der Übergangsvorschrift des Art. 52 Richtlinie 2013/32/EU ist (so aber VG Halle (Saale), Urteil vom 30. Januar 2019 – 4 A 624/16 – Juris).

21 Hindert nach alledem das Wiederholungsverbot den Erlass des angefochtenen Bescheides nicht, muss sich erneute die Unzulässigkeitsentscheidung über den Asylantrag an § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG messen lassen. Danach ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt hat. Dies ist vorliegend der Fall. Nach Auskunft der italienischen Behörden wurde dem Kläger in Italien internationaler Schutz gewährt.

22 Dem Unzulässigkeitsverdikt steht auch kein höherrangiges Recht entgegen.

23 Zunächst steht der Anwendbarkeit des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG nicht die Übergangsbestimmung des Art. 52 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32/EU nicht entgegen. Sie gestattet die Anwendung der nationalen Regelung zur Umsetzung des Art. 33 Abs. 2 lit. a der Richtlinie 2013/32/EU auch auf Asylanträge, die - wie hier - 2014 gestellt wurden.

24 Ebenso wenig schließt Art. 4 EU-GR-Charta ein auf § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gestütztes Unzulässigkeitsverdikt im vorliegenden Falle aus. Ausgeschlossen wäre eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG nur, wenn dem Antragsteller im Staat der Schutzgewährung die ernsthafte Gefahr eines Verstoßes gegen die Gewährleistungen des Art. 4 EU-GR-Charta droht (EuGH, Beschluss vom 13. November 2019 – C-540/17 u.a. – und Urteil vom 19. März 2019 – C-297/17 u.a. -).

25 Vorliegend droht keine Verletzung von Art. 4 der EU-GR-Charta. [...]