VGH Hessen

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Zitieren als:
VGH Hessen, Beschluss vom 08.12.2020 - 5 A 2391/18.Z.A - asyl.net: M29298
https://www.asyl.net/rsdb/M29298
Leitsatz:

Berufungszulassung zur Frage drohender Menschenrechtsverletzungen für "Anerkannte" in Griechenland:

"Die Fragestellung, ob anerkannt Schutzberechtigte, die nach einer Unzulässigkeitsentscheidung gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG nach Griechenland abgeschoben werden sollen, dort auf größere Funktionsstörungen stoßen und dadurch tatsächlich der ernsthaften Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK ausgesetzt sind, ist grundsätzlich bedeutsam, auch wenn der Schutzsuchende die Unzulässigkeitsentscheidung selbst nicht angegriffen hat, sondern lediglich die Erteilung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Griechenland begehrt."

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Griechenland, internationaler Schutz in EU-Staat, Berufungszulassung, Grundsätzliche Bedeutung, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, Europäische Menschenrechtskonvention, Unzulässigkeit, systemische Mängel, Funktionsstörungen, Abschiebungsverbot,
Normen: AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2, AufenthG § 60 Abs. 5, EMRK Art. 3, GR-Charta Art. 4
Auszüge:

[...]

3 Der Kläger formuliert folgende Fragen, deren Klärung er für grundsätzlich bedeutsam erachtet:

"1. Droht Inhabern internationalen Schutzes aufgrund der allgemeinen Lebensbedingungen von anerkannten Schutzberechtigten in Griechenland, soweit keine konkret-individuelle Zusicherung seitens der griechischen Behörden vorliegt, die konkrete Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK?

2. Droht eine derartige konkrete Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK jedenfalls anerkannten Schutzberechtigten in Griechenland, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung besonders schutzbedürftig sind und für die keine konkret-individuelle Zusicherung vorliegt?"

4 Die grundsätzliche Bedeutung jedenfalls der Frage 1. legt der Kläger im eingangs erwähnten Sinne dar. So führt der Kläger aus, nach einer Gesamtwürdigung der aktuellen Erkenntnislage ergebe sich, dass aufgrund der allgemeinen Lebensbedingungen von anerkannt Schutzberechtigten in Griechenland, die sich tatsächlich nicht in Griechenland aufhielten, im Falle einer Rückkehr nach Griechenland die konkrete Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 3 Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten - EMRK - bestehe und verweist in diesem Zusammenhang auf einige gerichtliche Entscheidungen, die auf diverse weitere Erkenntnismittel Bezug nehmen. [...]

6 Ob diese Voraussetzungen für anerkannt Schutzberechtigte, die nach Griechenland zurückgeführt werden sollen, gegeben sind, bedarf auch im Hinblick auf die seitens des Klägers zitierten Gerichtsentscheidungen und Erkenntnismittel jedenfalls weiterer Aufklärung.

7 Die Fragestellung, ob anerkannt Schutzberechtigte, die nach einer Unzulässigkeitsentscheidung gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG nach Griechenland abgeschoben werden sollen, dort auf größere Funktionsstörungen stoßen und dadurch tatsächlich der ernsthaften Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK ausgesetzt sind, und in diesem Zusammenhang lediglich die Erteilung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz - AufenthG - hinsichtlich Griechenland begehren, ist grundsätzlich bedeutsam, auch wenn der Schutzsuchende die Unzulässigkeitsentscheidung selbst nicht angegriffen hat. Da zunächst umstritten war, ob das Vorliegen der ernsten Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK oder des Art. 4 GRC zur Rechtswidrigkeit der Unzulässigkeitsentscheidung gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG führt oder lediglich den Anspruch auf die Erteilung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG begründet, stellt sich die Frage, ob in diesem Zusammenhang auch ein Abschiebungsverbot zu gewähren ist, weiterhin in einer Vielzahl bislang nicht rechtskräftig entschiedener Verfahren, in denen lediglich der Anspruch auf Erteilung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG geltend gemacht wird. [...]