VG Trier

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Zitieren als:
VG Trier, Urteil vom 05.02.2021 - 8K3224/19.TR - asyl.net: M29393
https://www.asyl.net/rsdb/m29393
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung für iranische Person bei Konversion von Yaresan zum Christentum:

1. Da es muslimischen Personen verboten ist, zum Christentum zu konvertieren, besteht bei Konversion eine erheblichen Verfolgungswahrscheinlichkeit.

2. Dies gilt auch für eine Person, die von der muslimischen Religionsgemeinschaft der Yaresan zum Christentum konvertiert. Auch wenn Mitglieder dieser Religionsgemeinschaft im Iran immer wieder Diskriminierungen ausgesetzt sind, betrachtet sie die iranische Regierung oft als schiitische Muslim*innen, so dass davon auszugehen ist, dass auch für sie das Apostasieverbot gilt. Dies gilt zumindest für die Strömung der "Modernist*innen", die sich selbst als schiitische Muslim*innen bezeichnen.

3. Jedenfalls die Missionierung zum Christentum ist strafbar, unabhängig von der ursprünglichen religiösen Herkunft der missionierenden Person.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Ahl-e Haqq, Yaresan, Iran, Sufis, Konvertiten, missionieren, Muslime, Apostasie, Flüchtlingsanerkennung,
Normen: AsylG § 3, AsylG § 3a, AsylG § 3b, AsylG § 3c,
Auszüge:

[...]

Es besteht aufgrund der aktuellen Lage, welche sich aus den in das Verfahren eingeführten Erkenntnismitteln ergibt, für christliche Konvertiten eine beachtliche Wahrscheinlichkeit, Verfolgungshandlungen ausgesetzt zu sein (vgl. insb. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran vom 26. Februar 2020 (Stand: Februar 2020), Gz.: 508-516.80/3 IRN (im Folgenden: Lagebericht Iran), S. 14; Österreich. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation - Iran vom 29. Januar 2021 (im Folgenden: Länderinformationsblatt), S. 44 f. und 48 ff. m.w.N.). Denn Muslimen ist es verboten, zu konvertieren und an Gottesdiensten anderer Religionen teilzunehmen. Grundsätzlich kann eine Anklage wegen Apostasie Sanktionen bis hin zur Todesstrafe nach sich ziehen (Lagebericht Iran, S. 14). Insoweit besteht bereits dann eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit, wenn vom Islam zum Christentum konvertierte Christen ihren Glauben mit anderen ausüben und an öffentlichen Riten teilnehmen. Insgesamt betrachtet ist eine religiöse Betätigung von muslimischen Konvertiten, die einer evangelikalen oder freikirchlichen Gruppierung angehören, im Iran selbst im häuslich-privaten oder nachbarschaftlich kommunikativen Bereich nicht mehr gefahrlos möglich (vgl. HessVGH, Urteil vom 18. November 2009 - 6 A 2105/08 -, juris, Rn. 37 ff. m.w.N.; VG Würzburg, Urteil vom 21. Oktober 2015 - W 6 K 15.30482 -, juris, Rn. 29; VG Augsburg, Urteil vom 19. September 2016 - Au 5 K 16.30957 -, juris, Rn. 40).

Eine andere Beurteilung der Verfolgungsgefahr ergibt sich im vorliegenden Fall entgegen der Einschätzung im streitgegenständlichen Bescheid nicht vor dem Hintergrund, dass der Kläger von der Religionsgemeinschaft der Yaresan zum Christentum konvertiert ist. Zwar unterliegen Mitglieder dieser Religionsgemeinschaft im Iran immer wieder Diskriminierungen. Allerdings ist in dem vorgenannten aktuellen Österreichischen Länderinformationsblatt auch ausgeführt, dass die iranische Regierung Yaresan oft als schiitische Muslime, die Sufismus praktizieren, betrachtet. Yaresan können sich zudem als Schiiten registrieren, um Regierungsdienste zu erhalten (Länderinformationsblatt vom 29. Januar 2021, S. 57). Vor diesem Hintergrund ist nicht ohne weiteres davon auszugehen, dass die iranische Regierung eine Konversion eines Yaresan nicht als Apostasie bewertet.

Zudem lässt die im angegriffen Bescheid verwertete, vom Bundesamt eingeholte Auskunft außer Acht, dass es etwa den Ausführungen im österreichischem Länderinformationsblatt zufolge im Iran zwei Zweige der Yaresan gibt, die sogenannten Modernisten/Reformisten und die Traditionalisten. Die Modernisten deklarieren sich selbst als schiitische Muslime und werden auch von den Behörden akzeptiert. Diese Gruppe besteht hauptsächlich aus gut ausgebildeten Städtern. Ihre Glaubensvorstellungen beruhen vor allem auf den Lehren von Hajj Ne'matollah Jayhunabadi (1871-1920), seinem Sohn Nur Ali Elahi (1895-1974) und dessen Sohn Bahram Elahi (1931-). Jayhunabadi behauptete, dass Yaresan Muslime seien und führte den Yari Glauben mit dem Schiismus zusammen. Die Traditionalisten sehen sich selbst als Nicht-Muslime und kommen eher aus dem ländlichen Bereich, vor allem aus dem Bezirk Guran in Kermanschah. Vor diesem Hintergrund spricht alles dafür, dass jedenfalls die Konversion eines (im Iran nach den vorgehenden Ausführungen wohl grundsätzlich als Schiit akzeptierten) Modernisten zum Christentum im Iran als Apostasie bewertet wird. Auch wenn der Kläger selbst nicht zwischen den beiden vorgenannten Ausprägungen der Yaresan-Giaubensgemeinschaft unterschieden hat, sprechen seine Schilderungen zu seinem familiären und religiösen Hintergrund und seiner Einschätzung gegenüber seiner (früheren) Religionsgemeinschaft der Yaresan dafür, dass er in den Zweig der Modernisten hineingeboren wurde. Es ist daher bereits vor diesem Hintergrund davon auszugehen, dass dem Kläger - im Falle einer identitätsprägenden Hinwendung zum Christentum - gleichermaßen wie einem Konvertiten vom (etwa schiitischen) Islam Verfolgung droht.

Darüber hinaus ist dem Kläger insoweit zuzustimmen, dass jedenfalls die Missionierung von Muslimen zum Christentum, gleich welcher religiöser Herkunft der Missionar (ursprünglich) ist, nach der aktuellen Auskunftslage im Iran strafbar ist (vgl. etwa Länderinformationsblatt vom 29. Januar 2021, S. 47, wonach Missionstätigkeit unter Muslimen eine Anklage wegen Apostasie und Sanktionen bis zur Todesstrafe nach sich ziehen kann). Soweit also die Missionierung auch von Muslimen zum christlichen Selbstverständnis eines (auch konvertierten) Christen gehört, droht ihm auch vor diesem Hintergrund Verfolgung.

b) Auch die subjektiven Voraussetzungen sind im Falle des Klägers erfüllt. [...]