VG Braunschweig

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Zitieren als:
VG Braunschweig, Urteil vom 14.02.2005 - 2 A 233/03 - asyl.net: M6314
https://www.asyl.net/rsdb/M6314
Leitsatz:
Schlagwörter: Sri Lanka, Tamilen, Folgeantrag, Traumatisierte Flüchtlinge, Posttraumatische Belastungsstörung, Psychische Erkrankung, Epilepsie, Folteropfer, Fachärztliche Stellungnahmen, Glaubwürdigkeit, Situation bei Rückkehr, Abschiebungshindernis, medizinische Versorgung, Flutkatastrophe
Normen: AuslG § 53 Abs. 6; AufenthG § 60 Abs. 7; AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Die Klage hat Erfolg, soweit der Kläger die Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 7 AufenthG begehrt. Insoweit liegen neue Tatsachen vor, die der Kläger rechtzeitig und erstmals mit seinem Asylfolgeantrag vorgetragen hat. Die Kammer geht davon aus, dass der Kläger zu diesem Zeitpunkt und mit der Ausstellung der entsprechenden Atteste nach ärztlicher Untersuchung davon Kenntnis hatte, dass er an einer posttraumatischen Belastungsstörung leiden könnte.

Von der Abschiebung des Klägers nach Sri Lanka ist abzusehen, weil dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib und Leben besteht. Diese Gefahr ist zielstaatsbezogen und resultiert aus der Unfähigkeit des Staates, dem Kläger eine seiner Krankheit entsprechende Behandlung angedeihen zu lassen. Mit dem eingeholten Sachverständigengutachten, gegen dessen Feststellungen die Kammer nichts anzumerken hat, leidet der Kläger an einer auf Grund von Erlebnissen in Sri Lanka ausgehenden posttraumatischen Belastungsstörung. Die Einwendungen seitens der Beklagten hiergegen greifen nicht durch, weil sie sich mit den wesentlichen Aussagen des Gutachtens nicht auseinandersetzen. Der Vorhalt, es sei eine Überprüfung des Wahrheitsgehaltes der Angaben des Klägers nicht erfolgt, wird durch die Gutachterin selbst mit der Begründung erheblicher gesundheitlicher Gefährdungen beantwortet. In einem solchen Fall ist eine Abwägung zwischen der Gesundheit des Untersuchten - in diesem Falle des Klägers - und dem Rechtsgut vorzunehmen, um das es hier geht. Dieses Rechtsgut ist der Schutz der Bundesrepublik Deutschland vor unberechtigten Abschiebungshindernissen. Diese Abwägung muss ohne Zweifel zu Gunsten des Klägers ausfallen, zumal er bereits im Erstverfahren auf Folterungen hingewiesen hatte und schwer vorstellbar - auch für die Gutachterin - ist, dass jemand die festgestellten seelischen Verletzungen vorspielen könne. Wo er sie sonst erlitten haben kann, sagt die Beklagte nicht.

Wie sich aus den zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten und zum Teil auch von dem Kläger vorgelegten Unterlagen ergibt, besteht in Sri Lanka die Möglichkeit der medikamentösen, ambulanten und stationären Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörungen auch für aus dem Ausland zurückkehrende Tamilen.

Die Kammer gelangt für diesen Fall aber zu einer Ausnahme, weil auf Grund der Ereignisse der Flutkatastrophe vom 26.12.2004 und ihrer Folgen für die srilankische Bevölkerung die Kammer mit der in der Presse dargestellten Problematik davon ausgeht, dass diese Kliniken, Ärzte und Psychiater sowie Psychologen mit traumatisierten Patienten heillos überlastet sind, und deshalb eine Behandlung des Klägers derzeit in Sri Lanka nicht möglich sein wird. Der zitierte Bericht in der Neuen Züricher Zeitung berichtet von der Traumatisierung großer Bevölkerungsteile nach dem Tzunami. Allein der Bericht über die Leiden der Bevölkerung von Mullaitivu und der übrigen im östlichen Gebiet Sri Lankas lebenden Bevölkerungsteile lässt erkennen, welche entsetzlichen Folgen für das seelische Befinden und die seelische Gesundheit der Bevölkerung das Naturereignis hatte. Die Berichterstatterin stellt nachvollziehbar dar, dass die Bewohner, die in Flüchtlingslagern oder bei Verwandten Unterschlupf gefunden haben, unter schwerer Traumatisierung leiden. Dies ist angesichts der über 30.000 toten srilankischen Staatsbürgern und der überstandenen Todesangst der überlebenden betroffenen Bevölkerungsteile eine so wesentliche Feststellung, dass sie für dieses Urteil nicht außer Betracht gelassen werden kann. Da in Sri Lanka nur eine geringe Anzahl von Behandlungsplätzen, die nicht an die Zahl 10.000 heranreichen kann, zur Verfügung steht, ist dem Kläger für die Zeit, die er eine Behandlung in Deutschland durchläuft und solange eine Behandlung durch Besserung der Verhältnisse in Sri Lanka nicht festzustellen ist, Abschiebungsschutz zu gewähren.