VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Urteil vom 03.05.2005 - 16 K 8642/03.A - asyl.net: M6972
https://www.asyl.net/rsdb/M6972
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung für libyschen Staatsangehörigen wegen exilpolitischer Betätigung für Menschenrechte; Gefahr der Sippenhaft.

 

Schlagwörter: Libyen, Oppositionelle, Exilpolitische Betätigung, Menschenrechtsorganisationen, Sippenhaft, Libysche Lige für Menschenrechte/D e.V., Lybische Organisation für Menschenrechte/D e.V., Internet
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Flüchtlingsanerkennung für libyschen Staatsangehörigen wegen exilpolitischer Betätigung für Menschenrechte; Gefahr der Sippenhaft.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Soweit die Klage nunmehr sinngemäß auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG, der an die Stelle der Regelung des § 51 Abs. 1 AuslG getreten ist, gerichtet ist, ist sie begründet.

Ungeachtet der zwischenzeitlich auch die Menschenrechtspolitik erfassenden Annäherungspolitik Libyens (vgl. NZZ vom 20. Januar 2005) berichtet amnesty international (vgl. den vom Kläger überreichten Bericht "Libya - Time to make human rights a reality" aus dem Jahre 2004) weiterhin davon, dass die Stammestradition, wonach die Gesellschaft mit verantwortlich ist für die Aktionen Einzelner im familiären, gesellschaftlichen und offiziellen Bereich, zu einem Mittel der politischen Unterdrückung wurde, so dass Mitglieder einer bestimmten Gruppe etwa durch Entzug öffentlicher Dienstleistungen und Einrichtungen bestraft werden können, daneben Familienangehörige von Beschuldigten verhaftet, verhört und in manchen Fällen für lange Zeit festgehalten werden. Die Stellungnahme des Deutschen Orient-Institutes kommt einerseits zu der nachvollziehbaren und überzeugenden Einschätzung, dass ein einfaches libysches Mitglied einer Menschenrechtsorganisation im Ausland, wenn es als solches den libyschen Behörden nicht bekannt geworden ist, derzeit bei einer Rückkehr kaum mit größeren Repressalien zu rechnen habe. Das genaue Verhalten der Sicherheitskräfte hänge aber davon ab, welchen familiären Hintergrund der Rückkehrer habe und wie lange er mit welcher Rechtfertigung im Ausland gewesen sei. Er habe kaum mit massiven Repressalien, sondern eher nur mit Befragung und Meldeauflagen zu rechnen. Andererseits wird mitgeteilt, die Reaktion könne weit aus rigoroser ausfallen, wenn bekannt werde, dass ein Bruder in der Menschenrechtsbewegung führend aktiv sei und erfolgreich ein Asylverfahren betrieben habe. Hier komme die immer noch gültige offizielle libysche Einschätzung von Asyl als "Verrat der Nation" ins Spiel, der in den 1980er Jahren über 30 Oppositionelle zum Opfer gefallen seien. In diesem Fall könne es bei einer Rückkehr zu Inhaftierung und längerer Befragung über die Aktivitäten der Brüder und der Organisation kommen. Da in einem solchen Fall die Frage des libyschen Staatsschutzes weitaus direkter tangiert werde, sei von Rückwirkungen aus den Annäherungsmaßnahmen an Europa hier wenig zu spüren. Einzig das Verhalten der Sicherheitsoffiziere könne derzeit moderater ausfallen, insofern nicht umgehend zu Mitteln der Folter gegriffen werde. Dieser Einschätzungn steht auch die Stellungnahme des Auswärtigen Amtes nicht entgegen, die sich lediglich auf den Fall bezieht, dass ein libyscher Staatsangehöriger im Ausland nicht erkennbar gegen die libysche Führung tätig wurde und der deshalb wegen eines illegalen Aufenthaltes oder wegen eines Antrages auf Asyl nicht mit Verfolgung rechnen müsse. Andererseitsergibt sich eine Übereinstimmung mit der maßgeblich auf familiäre Hintergründe abstellenden Stellungnahme amnesty internationals.

Im Fall des Klägers ist zu berücksichtigen, dass der als Zeuge vernommene Bruder ... ausweislich des Protokolls über die Mitgliederversammlung vom 24. Februar 2002 zum ersten Vorsitzenden der Libyschen Liga für Menschenrechte/D. e.V. - jetzt Libyschen Organisation für Menschenrechte/D. e.V. - gewählt wurde, der auch der Kläger angehört. Angesichts der herausgehobenen Tätigkeit des Bruders des Klägers dürfte ungeachtet der für sich genommen nicht herausragenden Tätigkeit des Klägers auch dieser das besondere Interesse von Sicherheitsorganen auslösen, wenn er nach Libyen zurückkehrt. Es ist davon auszugehen, dass die Libysche Liga für Menschenrechte, wenngleich es sich um eine mit etwa 32 Mitgliedern vergleichsweise kleine Organisation handelt, durch ihre Internetpräsenz auch in arabischer Sprache, die der Gutachter in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 30. März 2005 bestätigt hat, auch libyschen Stellen bekannt geworden ist, die in der Vergangenheit ein hohes Interesse auch an Exilorganisationen gezeigt haben, wobei amnesty international in einer Auskunft vom 4. August 2003 darauf hinweist, dass es in der Vergangenheit immer wieder zu Tötung von Oppositionellen im Ausland gekommen sei, die darauf schließen ließen, dass es sich um extralegale Tötungen durch im Auftrag der libyschen Regierung tätige Personen handelte. Das Deutsche Orient-Institut (Auskunft vom 24. November 2002 an das Verwaltungsgericht Freiburg) verweist zwar darauf, dass sich der Aufklärungsbedarf libyscher Dienststellen angesichts beschränkter Personalressourcen auch aus Staatssicht hochgradig oppositionelle Organisationen, d. h. in erster Linie islamistische Gruppen und die NFSL beziehe, allerdings sei davon auszugehen, dass libysche Spitzel nach einer gewissen Zeit über Mitgliedschaften in oppositionellen Parteien und der Libyschen Liga für Menschenrechte über engagierte Mitglieder und Führungspositionen von Oppositionellen Parteien und der Libyschen Liga für Menschenrechte auf dem Laufenden seien. Auch das Auswärtige Amt teilt in seiner Einschätzung vom 8. Januar 2003 die Einschätzung, dass bei "weitergehenden Aktivitäten und öffentlichkeitswirksamen Auftritten" mit Bekanntwerden der Tätigkeit für die Libysche Liga für Menschenrechte gerechnet werden könne. Angesichts des Umstandes, dass die dem libyschen Staat öffentlich angelastete Tötung des weiteren Bruders X... und die Verhaftung des Bruders Y... Gegenstand eines auch im Internet veröffentlichten Aufrufes wurde, sind hier ausreichende Anhaltspunkte für eine erhöhte Gefährdung des Klägers bei einer Rückkehr nach Libyen vorhanden. Dem steht nicht entgegen, dass der Name des ersten Vorsitzenden der Organisation, ..., nur in der deutschen, nicht aber in der arabischsprachigen Fassung des Aufrufes auftaucht.