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Zitieren als:
BVerwG, Beschluss vom 14.07.2005 - 1 B 135.04 - asyl.net: M7506
https://www.asyl.net/rsdb/M7506
Leitsatz:

Das Berufungsgericht darf nicht ohne eigene Anhörung nur auf Grundlage der Protokolle von Bundesamt und Verwaltungsgericht einen Asylantragsteller als unglaubwürdig einstufen, insbesondere nicht, wenn das Verwaltungsgericht dessen Angaben für glaubhaft hielt.

 

Schlagwörter: Beschwerde, Verfahrensrüge, Sachaufklärungspflicht, Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme, rechtliches Gehör, Irak, Glaubwürdigkeit, Anhörung, Berufungsverfahren
Normen: VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 2
Auszüge:

Das Berufungsgericht darf nicht ohne eigene Anhörung nur auf Grundlage der Protokolle von Bundesamt und Verwaltungsgericht einen Asylantragsteller als unglaubwürdig einstufen, insbesondere nicht, wenn das Verwaltungsgericht dessen Angaben für glaubhaft hielt.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Beschwerde des Klägers hat mit einer Verfahrensrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) Erfolg. Der angefochtene Beschluss verletzt die gerichtliche Sachaufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO), den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 96 VwGO) und den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Wegen dieser Verfahrensmängel, auf denen die Entscheidung beruht, weist der Senat die Sache gemäß § 133 Abs. 6 VwGO im Interesse der Verfahrensbeschleunigung unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses an das Berufungsgericht zurück.

Das Berufungsgericht hat das Vorbringen des Klägers in dem im vereinfachten Berufungsverfahren nach § 130a VwGO ergangenen Beschluss für unglaubhaft gehalten und das Bestehen eines Abschiebungshindernisses nach § 53 AuslG verneint (BA S. 13 f.). Die Beschwerde rügt insoweit der Sache nach zu Recht, dass das Berufungsgericht diesen Schluss nicht hätte ziehen dürfen, ohne zuvor durch persönliche Anhörung des Klägers sich ein eigenes Bild von dessen Glaubwürdigkeit zu machen. Das Berufungsgericht hat aus den protokollierten Aussagen des Klägers vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) und der Polizei in München Widersprüche abgeleitet, ohne den Kläger persönlich anzuhören. Dass dies hier ausnahmsweise verfahrensrechtlich zulässig war, lässt sich der Berufungsentscheidung nicht entnehmen (vgl. Beschlüsse vom 26. Februar 2003 - BVerwG 1 B 218.02 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 328 und vom 11. Juni 2002 - BVerwG 1 B 37.02 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 260). Im Übrigen hat sich das Berufungsgericht mit seiner tatrichterlichen Bewertung auch in Widerspruch zu der Würdigung des Verwaltungsgerichts gesetzt, das den Kläger nach persönlicher Anhörung für glaubwürdig hielt (erstinstanzliches Urteil S. 7 f.). Von einer erneuten Anhörung hätte es unter diesen Umständen nicht absehen dürfen (vgl. Beschlüsse vom 26. Februar 2003 - BVerwG 1 B 218.02 - a.a.O. und vom 28. April 2000 - BVerwG 9 B 137.00 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 235). Der angefochtene Beschluss kann auf diesem Verfahrensverstoß beruhen. Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht bei einer persönlichen Anhörung des Klägers dessen Vorbringen Glauben geschenkt hätte.