VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18.01.2006 - 13 S 2220/05 - asyl.net: M7951
https://www.asyl.net/rsdb/M7951
Leitsatz:
Schlagwörter: Aufenthaltserlaubnis, Ausreisehindernis, Integration, in Deutschland geborene Kinder, Verschulden, Schutz von Ehe und Familie, Zumutbarkeit, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK, EGMR, Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Privatleben, Duldung, Zurechenbarkeit, Eltern, Situation bei Rückkehr, besondere Härte, Kindeswohl, UN-Kinderrechtskonvention, Recht auf Heimat, Vertrauensschutz, Duldung, Kindernachzug, Kinder
Normen: AufenthG § 25 Abs. 5; EMRK Art. 8; GG Art. 6 Abs. 1; GG Art. 1; GG Art. 2; GG Art. 3; AufenthG § 32 Abs. 4; LV Bad.-Württ. Art. 2 Abs. 2
Auszüge:

2. Auch nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG kann dem Kläger keine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden.

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts liegt im Fall des Klägers aber auch kein rechtliches Ausreisehindernis vor. Er macht insoweit geltend, dass seine Integration in die Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland im Hinblick auf Art. 8 EMRK einer Aufenthaltsbeendigung entgegensteht. Damit beruft er sich in der Sache auf die Unzumutbarkeit einer (freiwilligen) Ausreise.

Ob auch die Unzumutbarkeit der Ausreise - deren Vorliegen unterstellt - zu ihrer rechtlichen Unmöglichkeit i.S.d. § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG führt, wird unterschiedlich beurteilt. Gegen diese Auffassung könnte sprechen, dass die behauptete Unzumutbarkeit eine freiwillige Ausreise des Klägers aus der Bundesrepublik Deutschland nicht von vornherein ausschließt. Dementsprechend wird unter Hinweis auf den Gesetzeswortlaut des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG teilweise die Auffassung vertreten, es komme auf die Zumutbarkeit einer Ausreise nicht an (vgl. VG Lüneburg, Beschluss vom 23.9.2005 - 3 B 70/05 -, juris; Renner, AuslR, 8. Aufl., Rnr. 34 zu § 25 AufenthG; Jakober/Welte, Aktuelles Ausländerrecht, Rnr. 22 und 23a zu § 25). Andererseits ist jedoch nach der Gesetzesbegründung zu § 25 Abs. 5 AufenthG (BT-Drs. 15/420, S. 80) bei der Frage, ob eine Ausreisemöglichkeit besteht, auch die subjektive Möglichkeit - und damit implizit auch die Zumutbarkeit - der Ausreise zu prüfen (vgl. auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 6.4.2005 - 11 S 2779/04 -, VBlBW 2005, 356; Hessischer VGH, Beschluss vom 1.6.2005 - 3 TG 1273/05 -, Asylmagazin 9/2005, 33; VG Koblenz, Urteil vom 10.10.2005 - 3 K 147/05.KO -, InfAuslR 2006, 25; VG Karlsruhe, Urteil vom 7.9.2005 - 4 K 1390/03 -; Göbel-Zimmermann, ZAR 2005, 275, 278; Benassi, InfAuslR 2005, 357, 362). Daher geht der Senat davon aus, dass auch die Unzumutbarkeit der Ausreise eine rechtliche Unmöglichkeit i.S.d. § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG darstellt. Hierfür spricht auch, dass kein Wille des Gesetzgebers erkennbar ist, die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Vergleich zur früheren Regelung in § 30 Abs. 3 und 4 AuslG insoweit zu verschärfen. Letztlich bedarf diese Frage hier aber keiner abschließenden Entscheidung. Denn im Fall des Klägers ist die Ausreise möglich und zumutbar, weil ihr weder Art. 6 GG noch Art. 8 EMRK entgegenstehen.

b) Nach Art. 8 Abs. 1 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4.11.1950 (BGBl II 1952, 686, 953/II 1954, 14) - EMRK - hat jedermann Anspruch auf Achtung (u.a.) seines Privat- und Familienlebens. Art. 8 Abs. 2 EMRK nennt die Voraussetzungen, unter denen der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts statthaft ist.

Die Weigerung, dem Kläger ein Aufenthaltsrecht in Deutschland zu gewähren, kann daher allenfalls einen rechtfertigungsbedürftigen Eingriff in sein Recht auf Achtung seines Privatlebens darstellen. Ein nicht gerechtfertigter Eingriff i. S. des Art. 8 Abs. 1 und 2 EMRK liegt jedoch hier nicht vor.

Nach seiner ursprünglichen Konzeption dient dieses Recht dazu, dem Individuum eine Sphäre zu sichern, in der es die Entwicklung und Erfüllung seiner Persönlichkeit anstreben kann. Wenn der Staat Regeln für das Verhalten in dieser Sphäre trifft, greift er in das Recht auf Achtung der Privatsphäre ein, was der Rechtfertigung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK bedarf (vgl. zum Schutzbereich des Privatlebens: Frowein/Penkert, EMRK, 1996, Rnr. 1 ff. zu Art. 8). Nach der Rechtsprechung des EGMR (Urteil vom 16.6.2005 - 60654/00 - <Sisojeva>, auszugsweise abgedr. in InfAuslR 2005, 349) stellt auch eine Aufenthaltsbeendigung bzw. die Verweigerung eines Aufenthaltsrechts jedenfalls dann einen - rechtfertigungsbedürftigen - Eingriff in das Privatleben dar, wenn der Ausländer über starke persönliche, soziale und wirtschaftliche Bindungen im Aufenthaltsstaat verfügt. Eine den Schutz des Privatlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK auslösende Verbindung mit der Bundesrepublik Deutschland als Aufenthaltsstaat kann danach insbesondere für solche Ausländer in Betracht kommen, die auf Grund eines Hineinwachsens in die hiesigen Verhältnisse mit gleichzeitiger Entfremdung von ihrem Heimatland so eng mit der Bundesrepublik Deutschland verbunden sind, dass sie quasi deutschen Staatsangehörigen gleichzustellen sind. Ihre Situation ist dadurch gekennzeichnet, dass die Bundesrepublik Deutschland faktisch das Land ist, zu dem sie gehören, während sie mit ihrem Heimatland im wesentlichen nur noch das formale Band ihrer Staatsangehörigkeit verbindet (vgl. auch OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 23.2.1999 - 4 L 195/98 -, juris; zur Bedeutung der engen Bindung an den Aufenthaltsstaat im Zusammenhang mit dem "Schutz des Familienlebens" s. auch EGMR, Urteile vom 26.3.1992 <Beldjoudi>, InfAuslR 1994, 86 ff., und vom 26.9.1997 <Mehemi>, InfAuslR 1997, 430, sowie BVerwG, Urteil vom 29.9.1998 - 1 C 8.96 -, NVwZ 1999, 303 ff.).

Ein der Rechtfertigung bedürftiger Eingriff in die von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten Rechte durch Versagung des Aufenthalts für einen Ausländer liegt allerdings regelmäßig nur dann vor, wenn sein Privat- bzw. Familienleben in dem betreffenden Land fest verankert ist und sich nicht auf eine lose Verbindung beschränkt (vgl. BVerwG, Urteile vom 3.6.1997 - 1 C 18/96 -, NVwZ 1998, 189 ff. m.w.N., und vom 29.3.1996 - 1 C 28/94 -, InfAuslR 1997, 24 ff.). Hierzu gehört grundsätzlich - als Basis - eine entsprechende aufenthaltsrechtliche Verankerung. Diese Voraussetzung ist in den Fällen bloßer Duldungen, in deren Besitz der Kläger sich befindet, aber regelmäßig nicht erfüllt. Eine Duldung gewährt nämlich keinen legalen, ordnungsgemäßen Aufenthalt, sondern schützt den Ausländer lediglich vorübergehend vor einer sonst rechtlich zwingend gebotenen Abschiebung und lässt seine Ausreisepflicht unberührt (vgl. §§ 55 Abs. 1, 56 Abs. 1 AuslG bzw. § 60a Abs. 1 - 3 AufenthG). Sie führt nicht zur Erlangung eines aufenthaltsrechtlichen Status, der berechtigterweise die Erwartung hervorrufen kann, in Deutschland bleiben zu dürfen (vgl. zu diesem Kriterium auch OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 23.2.1999, a.a.O.). Nach der Rechtsprechung des erkennenden Gerichtshofs kann daher eine aufenthaltsrechtlich erhebliche und insoweit schutzwürdige Eingliederung in die in der Bundesrepublik Deutschland bestehenden Lebensverhältnisse während des Aufenthalts eines Ausländers, der sich nicht rechtmäßig in Deutschland aufhält, grundsätzlich nicht erfolgen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 25.9.2003 - 11 S 1795/03 -, InfAuslR 2004, 70 ff. und Beschluss vom 24.11.2005 - 11 S 1078/05 -; vgl. auch VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 2.11.2005 - 1 S 3023/04 -, InfAuslR 2006, 70,71).

In der - ohnehin stark kasuistisch geprägten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1.3.2004 - 2 BvR 1570/03 -, NVwZ 2004, 852 ff.) - Rechtsprechung des EGMR ist die Frage, welche rechtliche Qualität ein Aufenthalt haben muss, um Grundlage eines i.S.v. Art. 8 Abs. 1 EMRK schützenswerten Privat- oder Familienlebens sein zu können, soweit ersichtlich allerdings nicht eindeutig geklärt (offen gelassen z. B. im Urteil vom 16.9.2004 <Ghiban>, a.a.O.). Es kann aber jedenfalls festgehalten werden, dass allein ein langdauernder faktischer Aufenthalt auch aus der Sicht des EGMR hierfür nicht ausreichend ist. In der Entscheidung <Ghiban> heißt es ausdrücklich, Art. 8 Abs. 1 EMRK dürfe nicht so ausgelegt werden, als verbiete er allgemein die Abschiebung eines fremden Staatsangehörigen nur deswegen, weil dieser sich eine bestimmte Zeit im Hoheitsgebiet des Vertragsstaates aufgehalten habe (im Ergebnis ebenso EGMR vom 7.10.2004 in der Sache Dragan, a.a.O.). In beiden Verfahren hatten sich die Beschwerdeführer zwar viele Jahre in Deutschland aufgehalten, jedoch einen Aufenthaltstitel nicht oder nur für sehr kurze Zeit erlangt. Auf dieses fehlende Aufenthaltsrecht hat der EGMR bei seinen Entscheidungen jeweils maßgeblich abgestellt. Eine rechtsgrundsätzliche Festlegung im Sinne der Entbehrlichkeit eines rechtmäßigen Aufenthalts dürfte auch der Entscheidung vom 16.6.2005 (- 60654/00 -, Sisojewa/Lettland, auszugsweise abgedruckt in InfAuslR 2005, 349) nicht zu entnehmen sein. Zwar wird darin ein auf der Grundlage von Art. 8 Abs. 1 EMRK begründeter Anspruch auf dauerhafte Legalisierung des Aufenthalts anerkannt. Der Fall ist indessen von der Besonderheit geprägt, dass die Beschwerdeführer zum einen lange Zeit ordnungsgemäß im Vertragsstaat gewohnt hatten und ihr aufenthaltsrechtlicher Status erst im Anschluss an politische Umwälzungen - die Auflösung der Sowjetunion und die Unabhängigkeit Lettlands - aufgrund ihrer Volkszugehörigkeit in Frage gestellt worden ist (siehe §§ 57 f. und 94), und ihnen zum anderen jedenfalls die rechtliche Möglichkeit eröffnet war, einen befristeten legalen Aufenthaltsstatus zu erlangen (siehe hierzu insbesondere die abweichende Meinung der Richterinnen Vajić und Briede). Eine vergleichbare Situation ist beim Kläger indes nicht gegeben.

Allerdings legt die - sehr einzelfallbezogene - Rechtsprechung des EGMR die Annahme nahe, dass ein schutzwürdiger Aufenthalt im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK auch beim Vorhandensein einer Duldung jedenfalls nicht von vornherein ausscheidet. Vielmehr dürfte es aus Sicht des EGMR maßgeblich darauf ankommen, warum der betreffende Ausländer sich trotz des Fehlens eines Aufenthaltsrechts im Aufnahmestaat aufhält, ob ihm eine Ausreise grundsätzlich möglich und zumutbar wäre und ob die Aufenthaltsbeendigung aus von ihm zu vertretenden Gründen oder auf Grund anderer Umstände (etwa wegen der Verhältnisse im Heimatstaat) nicht möglich ist.

Selbst wenn zu Gunsten des Klägers davon ausgegangen wird, dass auch ein - wie hier - rechtlich ungesicherter Aufenthalt Grundlage für die Annahme eines schutzwürdigen Privatlebens i.S. von Art. 8 Abs. 1 EMRK sein kann, ist die daraus folgende Rechtsposition jedoch im Rahmen der Schrankenbestimmung des Art. 8 Abs. 2 EMRK gegen das Recht des Vertragsstaates zur Einwanderungskontrolle abzuwägen. Nach dieser Bestimmung ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechts aus Absatz 1 nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist. Eine wirksame Einwanderungskontrolle stellt auch nach der Rechtsprechung des EGMR eine Maßnahme dar, die in einer demokratischen Gesellschaft aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung notwendig ist (vgl. Entscheidung vom 16.9.2004 in der Sache Ghiban, a.a.O.). In seiner grundlegenden Entscheidung zur Bedeutung der EMRK im Recht des Aufenthalts von Ausländern vom 28.5.1985 (<Abdulaziz>, NJW 1986, 3007 ff.) hat der EGMR zudem betont, dass zum einen die Vertragsstaaten im Bereich des nicht klar umrissenen Begriffs der "Achtung" des Familien- und Privatlebens über einen weiten Ermessensspielraum verfügen und sie zum anderen das Recht haben, die Einwanderung von Personen, die nicht ihre Nationalität haben, in ihr Staatsgebiet zu kontrollieren. In seinen Entscheidungen vom 16.9.2004 (<Ghiban>, NVwZ 2005, 1046 ff.) und 7.10.2004 (<Dragan>, NVwZ 2005, 1043) hat er nochmals darauf verwiesen, dass die Konvention nicht das Recht eines Ausländers garantiere, in einen bestimmten Staat einzureisen oder sich dort aufzuhalten oder nicht ausgewiesen zu werden. Die Vertragsstaaten hätten vielmehr nach allgemein anerkannten völkerrechtlichen Grundsätzen das Recht, über die Einreise, den Aufenthalt und die Abschiebung fremder Staatsangehöriger zu entscheiden. Wie dargelegt, verbietet Art. 8 EMRK die Abschiebung eines fremden Staatsangehörigen zudem nicht allein deswegen, weil er sich "eine bestimmte Zeit" im Hoheitsgebiet des Vertragsstaates aufgehalten hat. Vielmehr bedarf es näherer Anhaltspunkte dafür, dass eine Rückkehr nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes unzumutbar ist (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 29.9.1998 - 1 C 8.96 -, NVwZ 1999, 303 ff.). Allein der Umstand, dass ein Ausländer als Kind in den Vertragsstaat eingereist und dort aufgewachsen und zur Schule gegangen ist, rechtfertigt einen solchen Schluss jedoch noch nicht (in diesem Sinne siehe EGMR, Entscheidung vom 7.10.2004 in der Sache Dragan, a.a.O., hinsichtlich der dortigen Beschwerdeführer zu 2 und 3). Ein wesentlicher Gesichtspunkt ist neben der Dauer des Aufenthalts insbesondere, ob der Ausländer ein Alter erreicht hat, in dem ihm ein Hineinwachsen in die Lebensumstände des Staates seiner Staatsangehörigkeit in der Regel nicht mehr oder nur unter größten Schwierigkeiten gelingen kann (vgl. dazu OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 23.2.1999, a.a.O.), wobei gerade auch die Sprachkenntnisse des Betroffenen bzw. dessen sprachliche Integrationsfähigkeit im Heimatland in Betracht zu ziehen sind (siehe zu den einzelnen Gesichtspunkten die Nachweise aus der Rechtsprechung des EGMR in BVerfG, Beschluss vom 1.3.2004 - 2 BvR 1570/03 -, NVwZ 2004, 852 ff.).

Vor dem dargestellten Hintergrund ist im Fall des Klägers bei Abwägung aller Umstände nicht festzustellen, dass die Verweigerung der Legalisierung seines Aufenthalts und die geplante Aufenthaltsbeendigung unverhältnismäßig ist und daher gegen Art. 8 Abs. 1 EMRK verstößt. Dabei ist es nach Auffassung des Senats nicht ausreichend, bei der Beurteilung der Integration des Klägers gleichsam isoliert nur in den Blick zu nehmen, inwieweit er selbst - etwa im Hinblick auf Sprachkenntnisse, Schulbesuch und persönlichen Umgang - in der Bundesrepublik Deutschland verwurzelt ist. Vielmehr kommt dabei auch der Frage Bedeutung zu, in welchem Umfang seine Familie sich in die bundesdeutschen Lebensverhältnisse integriert hat. Denn für die Beurteilung der Verwurzelung des Klägers kommt es auch entscheidend darauf an, ob bzw. inwieweit seine familiären Verhältnisse an das Leben in der Bundesrepublik Deutschland angeglichen sind und welche Verbindungen insoweit noch zum Land seiner Staatsangehörigkeit bestehen. Für eine solche Gesamtbetrachtung spricht nicht nur die Bezugnahme auf das "Familienleben" als paralleles Schutzgut des Art. 8 Abs. 1 EMRK, sondern auch die Tatsache, dass der Kläger seinen Lebensunterhalt in der Bundesrepublik Deutschland nicht allein sichern könnte, sondern hierfür auf die Unterstützung seiner Familie angewiesen ist. Sein Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland kann auch insoweit rechtlich nicht isoliert von demjenigen seiner Familie, insbesondere seiner Eltern, beurteilt werden. Zudem wären auch Fallgestaltungen denkbar, in denen nur ein Kind in die hiesigen Lebensverhältnisse integriert ist, andere Kinder dagegen auf Rückkehr in den Heimatstaat angewiesen wären.

Entgegen der vom Kläger vertretenen Auffassung sind bei dieser Gesamtbetrachtung - sowohl zu seinen Gunsten wie zu seinen Lasten - auch solche Gesichtspunkte berücksichtigungsfähig, welche (etwa im Hinblick auf die unterbliebene Ausreise aus dem Bundesgebiet) auf das Verhalten seiner Eltern zurückzuführen sind. Er muss sich das Verhalten seiner Eltern schon deshalb zurechnen lassen, weil er als Kind grundsätzlich deren aufenthaltsrechtliches Schicksal teilt und sich nur deshalb bis heute in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten konnte, weil diese ihrer bestehenden Ausreisepflicht nicht nachgekommen sind (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30.4.1997 - 1 B 74/97 -, juris). Hierfür spricht auch, dass das Aufenthaltsgesetz ein selbständiges Aufenthaltsrecht für Kinder erst nach Vollendung des 16. Lebensjahres vorsieht (vgl. § 35 Abs. 1 AufenthG) und sie auch erst ab diesem Alter für verfahrensfähig erklärt (vgl. § 80 Abs. 1 AufenthG). Daran zeigt sich, dass der Gesetzgeber auch beim Aufenthaltsgesetz an der Konzeption festgehalten hat, wonach das Aufenthaltsrecht von Kindern bis zum 16. Lebensjahr dem der Eltern folgt; damit wird im übrigen auch ihre Integrationsfähigkeit in andere Lebensverhältnisse generell unterstellt (vgl. Hessischer VGH, Urteil vom 21.9.1994 - 10 UE 548/94 -, NVwZ-RR 1995, 163). Auch sonst geht die Rechtsprechung bei Abschiebungshindernissen von Kindern davon aus, dass die familiäre Unterstützung im Heimatland mit zu berücksichtigen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 21.9.1999 - 9 C 12.99 -, BVerwGE 109, 305 und Urteil vom 27.7.2000 - 9 C 9.00 -, InfAuslR 2001, 52). Die Berücksichtigung der rechtlichen Bindung des Kindes an seine Eltern entspricht auch den Regelungen des deutschen Familienrechts, wonach Kinder den Wohnsitz der Eltern teilen (§ 11 BGB) und diesen im Rahmen der elterlichen Sorge das Aufenthaltsbestimmungsrecht für ihr Kind zusteht (§§ 1626 Abs. 1, 1631 Abs. 1 BGB). Nach §§ 1666, 1666a BGB kommt ein Eingriff in dieses Recht, insbesondere eine Trennung, nur ausnahmsweise in Betracht. Der Senat hat bei der Frage, ob eine Ausreise für ein Kind aus Rechtsgründen unzumutbar ist, wegen des Grundsatzes der Einheit der Rechtsordnung im übrigen auch die insofern eher zurückhaltende Rechtsprechung zu §§ 1631,1666 BGB zu bedenken.

3. Auch § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG, wonach die Aufenthaltserlaubnis erteilt werden "soll", wenn die Abschiebung 18 Monate lang ausgesetzt ist, verschafft dem Kläger keinen selbständigen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Denn § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG setzt das Vorliegen der Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG voraus. Dies folgt daraus, dass § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG systematisch an den Tatbestand des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG anknüpft und nur die dort vorgesehene Rechtsfolge ("kann") im Sinne eines "soll" modifiziert, sofern das zusätzliche Tatbestandsmerkmal "Aussetzung der Abschiebung seit 18 Monaten" erfüllt ist (vgl. dazu VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 6.4.2005 - 11 S 2779/04 -, juris). Bereits der Tatbestand des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG ist hier aber nicht erfüllt, wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt.

5. Auch aus dem Gesetz zu dem Übereinkommen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes (BGBl. II 1992, S. 121 ff.) kann der Kläger für das von ihm begehrte Aufenthaltsrecht nichts herleiten. Dieses Übereinkommen ist für die Bundesrepublik Deutschland am 5. April 1992 (BGBl. 1992 II, 990) in Kraft getreten.

Im vorliegenden Fall ist schon zweifelhaft, ob das Übereinkommen Rechte des Klägers begründet, aus welchen sich ein Aufenthaltsrecht ergeben könnte. Auch insofern ist von entscheidender Bedeutung, dass er zusammen mit seinen Eltern und Geschwistern das Bundesgebiet verlassen soll.

Darüber hinaus hat die Bundesrepublik Deutschland bei der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde eine "Erklärung" abgegeben, in der es unter I. Satz 4 und 5 heißt, das Übereinkommen finde innerstaatlich keine unmittelbare Anwendung.

Die von der Bundesrepublik Deutschland bei der Ratifikation des Vertrages gemachten Vorbehalte schließen die Ableitung von Rechten aus dem Übereinkommen aus. Es spricht auch nichts dafür, dass diese Vorbehalte nach Art. 51 Absatz 2 des Übereinkommens unzulässig wären.

6. Schließlich ergibt sich auch aus der Landesverfassung Baden-Württemberg nichts für einen Aufenthaltserlaubnisanspruch des Klägers. Dies gilt insbesondere für die in der Rechtsprechung teilweise herangezogene Bestimmung des Art. 2 Abs. 2 LV, wonach sich das Volk von Baden-Württemberg zu dem unveräußerlichen Menschenrecht auf die Heimat bekennt (vgl. VG Stuttgart, Urteil vom 11.10.2005 - 11 K 5363/03 -). Abgesehen davon, dass die Regelungen der Landesverfassung den Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes nachrangig sind (Art. 31 GG), kann sich eine eigene Rechtsposition des Klägers hieraus schon deshalb nicht ergeben, weil es sich dabei nicht um ein Grundrecht handelt, sondern um einen Programmsatz, der allenfalls die Rechtspflicht der Staatsorgane begründet, zur Verwirklichung des Rechts auf Heimat das ihnen Mögliche beizutragen (vgl. Braun, Kommentar zur Verfassung des Landes Baden-Württemberg, 1984, Rnr. 133 ff. zu Art. 2; Hollerbach in: Feuchte, Verfassung des Landes Baden-Württemberg, 1987, Rnr. 25 ff. zu Art. 2). Nachdem die für den Kläger sprechenden Gesichtspunkte, insbesondere seine fortgeschrittene Integration in die bundesdeutschen Lebensverhältnisse, bereits über Art. 8 EMRK in Verbindung mit § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG umfassend berücksichtigt worden sind, ist nicht erkennbar, dass sich aus dem Recht auf Heimat insoweit zusätzliche, zugunsten des Klägers zu berücksichtigende Gesichtspunkte ergeben könnten. Danach bedarf auch keiner weiteren Vertiefung, ob der Kläger vom Begriff des "Volkes" in Art. 2 Abs. 2 LV überhaupt erfasst wird.