Auswärtiges Amt hält EuGH-Urteil "A. und S." zum Elternnachzug nicht für anwendbar

Sechs Monate nach einer grundlegenden EuGH-Entscheidung zum Elternnachzug zu anerkannten, ehemals unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen wird berichtet, dass das Auswärtige Amt die der deutschen Praxis entgegenstehenden Vorgaben aus Luxemburg nicht für anwendbar hält. Organisationen, die zur Familienzusammenführung beraten, haben ihre Hinweise für die Beratungspraxis entsprechend angepasst.

Im April hatte der EuGH entschieden, dass für das Recht auf Elternnachzug zu anerkannten Flüchtlingen auf ihre Minderjährigkeit zum Zeitpunkt ihrer Asylantragstellung abzustellen ist, auch wenn sie im Laufe des Asylverfahrens volljährig werden (Rechtssache A. und S. - asyl.net: M26143, siehe Beitrag von Heiko Habbe im Asylmagazin 5/2018). Die deutsche Rechtspraxis verlangt demgegenüber, dass die Minderjährigkeit bei Entscheidung über den Nachzugsantrag der Eltern noch bestehen muss.

Bisher war unklar, wie die deutschen Behörden mit dieser Entscheidung umgehen würden. Die Bundesregierung erklärte noch vor wenigen Tagen, dass sie sich hierzu „derzeit in Abstimmung“ befinde (Antwort der Bundesregierung vom 2. Oktober 2018 auf eine Anfrage der Fraktion Die Linke, BT-Drs. 19/3886).

Berichten zufolge hat sich allerdings das Auswärtige Amt zwischenzeitlich bereits auf eine Position festgelegt: So wird in neuen Arbeitshilfen des Bundesfachverbands unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (BumF) sowie des DRK-Suchdienstes darauf hingewiesen, dass das Auswärtige Amt keinen Umsetzungsbedarf der EuGH-Entscheidung sieht. Bei eingetretener Volljährigkeit von ehemals unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen werde demnach der Elternnachzug weiterhin verweigert, da die EuGH-Entscheidung sich nur auf die niederländische Rechtslage beziehe und auf Deutschland nicht anwendbar sei. Begründet werde dies damit, dass in den Niederlanden anders als in Deutschland auch nach Volljährigkeitseintritt des Kindes der Nachzugsanspruch der Eltern bestehen bleibe und erteilte Aufenthaltstitel verlängert werden könnten.

Allerdings hatte der EuGH ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das Recht von unbegleiteten Minderjährigen auf Familiennachzug nach Art. 10 Abs. 3 Bst. a Familienzusammenführungsrichtlinie vereitelt würde, wenn es vom Bestehen der Minderjährigkeit bei Beendigung des Asylverfahrens abhinge, da die Verfahrensdauer in der Hand der zuständigen Behörde liege. Dies liefe dem Richtlinienziel des besonderen Schutzes und der Begünstigung von Flüchtlingen und insbesondere unbegleiteten Minderjährigen, sowie den Grundsätzen der Gleichbehandlung und Rechtssicherheit zuwider.

Der Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (BumF) hält die Auffassung des Auswärtigen Amts daher für rechtswidrig und hat dementsprechend seine Hinweise zur Umsetzung des EuGH-Urteils aktualisiert. Für die Durchsetzung des Elternnachzugs durch Klagen, die Bedeutung über den Einzelfall hinaus haben, stellt der BumF Mittel aus seinem Rechtshilfefonds zur Verfügung.

Auch der DRK-Suchdienst rät Betroffenen, weiterhin in Anlehnung an das EuGH-Urteil den Nachzugsantrag innerhalb von drei Monaten nach Schutzzuerkennung zu stellen. Bei sogenannten Altfällen, in denen die Verfahren bereits abgeschlossen sind, wird empfohlen, anwaltlichen Beistand hinzuzuziehen.

Vor Gericht könnten Betroffene bessere Aussichten haben. Das in der zweiten Instanz allein für Visumsfragen zuständige OVG Berlin-Brandenburg hält nämlich das EuGH-Urteil offenbar für anwendbar. Bereits zwei Wochen nach der Luxemburger Entscheidung stellte das OVG fest, dass die bislang geltende Rechtsprechung des BVerwG (asyl.net: M20813), wonach ein Anspruch auf Elternnachzug nach § 36 Abs. 1 AufenthG nur bis zur Volljährigkeit des Kindes bestehe, der Überprüfung bedürfe (asyl.net: M26533).

In einer Entscheidung von September 2018 wird das OVG noch deutlicher (asyl.net: M26617): Es lehnte einstweiligen Rechtsschutz bei drohender Volljährigkeit eines Kindes beim Elternnachzug ab, da der Nachzugsanspruch laut Rechtsprechung des EuGH bei Volljährigkeitseintritt nicht vereitelt werde. Es äußerte sich zudem zu der vom EuGH aufgestellten Frist zur Beantragung des Elternnachzugs innerhalb von drei Monaten nach Flüchtlingsanerkennung. Diese greife nicht, wenn die Anerkennung und auch der Nachzugsantrag noch vor Eintritt der Volljährigkeit des Kindes erfolgt sei.

Gerichtsentscheidungen:


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