Gutachten zur Beschaffung eritreischer Dokumente in Verfahren der Familienzusammenführung

Die Organisation Equal Rights Beyond Borders und das International Refugee Assistance Project (IRAP) haben ein umfangreiches Gutachten zu den Möglichkeiten der Beschaffung von Dokumenten für eritreische Flüchtlinge vorgelegt. Laut dem Gutachten werden in Deutschland besonders hohe Anforderungen an vorzulegende Dokumente gestellt, wodurch das Recht auf Familiennachzug für eritreische Staatsangehörige häufig eingeschränkt werde.

Für das Gutachten wurden Rechtsquellen und Länderinformationen ausgewertet. Darüber hinaus wurden zahlreiche Interviews mit Fachleuten in Eritrea, darunter ehemalige Richter*innen, Staatsanwält*innen sowie Standesbeamt*innen durchgeführt. Zudem war einer der Autoren selbst als Richter an verschiedenen Gerichten in Eritrea tätig und konnte somit seine Kenntnisse der eritreischen Rechtspraxis mit einbringen.

Nach einem Überblick zur Menschenrechtslage und zu politischen Entwicklungen geht das Gutachten detailliert auf Rechtslage und Praxis des eritreischen Urkundenwesens ein. Erläutert wird die Praxis bei der Ausstellung von Personenstandsurkunden (Geburts-, Heirats-, Sterbeurkunden sowie andere Dokumente über wichtige Ereignisse) sowie bei der Ausstellung von Personaldokumenten und anderen Identitätsnachweisen. Neben dem nationalen Personalausweis und dem Reisepass wird hierbei auch auf die Wohnsitzbescheinigung (residence card) und auf Bezugsschein für Waren des täglichen Bedarfs (ration coupon) eingegangen, da diese zuletzt genannten Dokumente in Eritrea oftmals die Funktion des Personalausweises übernommen hätten.

Ein weiteres Kapitel des Berichts behandelt die Möglichkeiten, Dokumente von eritreischen Botschaften ausgestellt zu bekommen. Als Voraussetzungen hierfür werden häufig "Reueerklärungen" ("regret form") sowie die Zahlung einer "Diaspora-Steuer" verlangt. Die Hintergründe sowie die Rechtmäßigkeit dieser Praktiken werden in dem Gutachten analysiert, wobei aber auch darauf hingewiesen wird, dass das Vorgehen der eritreischen Botschaften uneinheitlich ist und von Willkür geprägt ist. Besonders bei Personen, die als Oppositionelle angesehen werden, werde konsularische Betreuung oftmals gänzlich verweigert, selbst wenn die Betroffenen sich bereit erklären, die Diaspora-Steuer zu zahlen und die "Reueeklärung" abzugeben. Das Gutachten geht auf die Situation an verschiedenen eritreischen Botschaften in der Region (Sudan, Äthiopien, Ägypten, Uganda, Kenia) sowie in europäischen Ländern ein.

In diesem Zusammenhang wird auf Rechtsprechung aus Schweden und den Niederlanden hingewiesen, wo Gerichte die Kontaktaufnahme mit eritreischen Botschaften im Rahmen von Familiennachzugsverfahren für unverhältnismäßig und unzumutbar erklärt haben. Begründet hätten diese Gerichte dies u.a. mit erheblichen Gefahren für Angehörige der Betroffenen, die noch in Eritrea leben. Der britische Upper Tribunal habe mit Blick auf eritreische Staatsangehörige, die sich dem Nationalen Dienst entzogen haben, geurteilt, dass diese eine mögliche Gefährdung nicht durch die Unterzeichnung der "Reueerklärung" sowie die Zahlung der Diaspora-Steuer abwenden könnten (Entscheidung MST and Others, 7.10.2016). Hierzu hätten Teile der deutschen Rechtsprechung die gegenteilige Auffassung vertreten (zitiert wird VGH Hessen, Urteil vom 30.07.2019 – 10 A 797/18.A – asyl.net: M27533). In Großbritannien wird laut dem Gutachten mittlerweile generell davon ausgegangen, dass ein formeller Identitätsnachweis (etwa durch Personalausweise oder Pässe) in Eritrea nicht existiere und auch nicht beschafft werden könne. Die Vorlage solcher Dokumente werde daher von eritreischen Staatsangehörigen in Verfahren der Familienzusammenführung in Großbritannien nicht mehr verlangt.

Ein weiterer Abschnitt des Gutachtens beschäftigt sich mit der besonderen Situation unbegleiteter Minderjähriger sowie deren Möglichkeiten, eritreische Dokumente zu beschaffen.

Das Gutachten wurde erarbeitet von Daniel Mekonnen (unabhängiger Gutachter und ehemaliger Richter, u.a. in Asmara/Eritrea) sowie von Sara Palacios Arapiles (Juristin, Universität Nottingham). Es liegt zur Zeit nur in englischer Sprache vor, eine deutsche Übersetzung ist aber geplant.


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