Informationen zu Auswirkungen des Brexits auf Asylverfahren

Der Austritt Großbritanniens hat auch Auswirkungen auf Asylverfahren in Deutschland. So ist unter anderem die Dublin-III-Verordnung seit dem 1. Januar 2021 nicht mehr in Bezug auf Großbritannien anwendbar. Details hierzu teilte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge auf Anfrage des Informationsverbunds Asyl und Migration mit.

Die Übergangsphase, in der europäische Regelungen noch im Verhältnis zwischen der EU und Großbritannien anwendbar waren, endete am 31. Dezember 2020. Mangels neuer Übergangsregelungen gelten die Richtlinien und Verordnungen im Asylbereich seit dem 1. Januar 2021 bis auf Weiteres nicht mehr für Großbritannien. Daraus ergeben sich auch unmittelbare Auswirkungen auf Asylverfahren in Deutschland, wie das BAMF nun auf Anfrage bestätigte. So stellt sich die Rechtslage in den verschiedenen Konstellationen nun wie folgt dar:

Dublin-Verfahren

Das Vereinigte Königreich zählt nicht mehr zu den Mitgliedstaaten der Dublin-III-Verordnung. Entsprechend findet das "Dublin-Regime" keine Anwendung mehr in Fällen mit Großbritannien-Bezug. Daraus folgt:

  • In den Fällen, in denen vor dem 31.12.2020 die Zuständigkeit Großbritanniens festgestellt und daraufhin ein "Dublin-Bescheid" ergangen ist, wird der Bescheid zurückgenommen. Das Asylverfahren wird daraufhin in Deutschland in eigener Zuständigkeit weitergeführt.
  • Dies gilt auch für Fälle, in denen eine Klage gegen den Dublin-Bescheid anhängig ist.
  • Auch wenn eine Zustimmung Großbritanniens für eine Überstellung vorliegt, diese aber nicht bis zum 31.12.2020 erfolgt ist, wird das Asylverfahren in Deutschland in eigener Zuständigkeit durchgeführt.
  • Umgekehrt werden Überstellungen aus Großbritannien, denen Deutschland vor dem 31.12.2020 zugestimmt hat, mit Ablauf dieses Datums nicht mehr akzeptiert.
  • Seit dem 1.1.2021 werden keine Übernahmeersuchen an Großbritannien gestellt und es werden keine Übernahmeersuchen aus Großbritannien mehr empfangen und somit auch nicht beantwortet
Keine Einstufung als "sicherer Drittstaat" mehr

Großbritannien ist kein "sicherer Drittstaat" mehr im Sinne des Grundgesetzes und des Asylgesetzes. Voraussetzung für die Einstufung als "sicherer Drittstaat" ist laut Art. 16a Grundgesetz sowie § 26a AsylG die Mitgliedschaft in der EU oder die Nennung des Staates in der Anlage I zum Asylgesetz. Auf das Vereinigte Königreich trifft beides nicht zu.

  • Der Ausschluss vom Asylgrundrecht bei Einreise aus einem "sicheren Drittstaat" greift somit nicht mehr. Personen, die über Großbritannien nach Deutschland einreisen und hier Asyl beantragen, können sich unmittelbar auf das Asylgrundrecht nach Art. 16a GG berufen. Bei Vorliegen der Voraussetzungen sind sie als asylberechtigt im Sinne des Art. 16a GG anzuerkennen. 
Mögliche Einstufung als "sonstiger Drittstaat"

Eine Ablehnung des Asylantrags als "unzulässig" kommt laut der Mitteilung des BAMF noch auf Grundlage der Regelung für "sonstige Drittstaaten" bzw. nach dem Konzept des "ersten Asylstaats" infrage. "Sonstige Drittstaaten" können alle Staaten sein, in denen eine asylsuchende Person bereits vor Verfolgung sicher war (§ 27 und § 29 Abs. 1 Nr. 4 AsylG). Das Konzept des "ersten Asylstaats" findet sich im europäischen Recht in der Asylverfahrensrichtlinie (Art. 33 Abs. 2 Bst. b und Art. 35 Richtlinie 2013/32/EU). Ob das Konzept der Asylverfahrensrichtlinie im deutschen Recht vollständig umgesetzt ist, ist umstritten. In jedem Fall wären aber im Asylverfahren die Voraussetzungen zu beachten, die in der Asylverfahrensrichtlinie zugrunde gelegt werden. Diese sind:

  • Die betroffene Person muss im "ersten Asylstaat" ausreichenden Schutz in Anspruch nehmen können. Dies bedeutet, dass sie entweder bereits als Flüchtling anerkannt wurde (und diesen Status weiterhin in Anspruch nehmen kann) oder ihr anderweitiger ausreichender Schutz gewährt wird.
  • Der "erste Asylstaat" bzw. "sonstige Drittstaat" muss bereit sein, die betroffene Person wiederaufzunehmen (so auch ausdrücklich geregelt in § 29 Abs. 1 Nr. 4 AsylG).
  • Berücksichtigt werden "können" laut der Asylverfahrensrichtlinie zudem weitere Voraussetzungen (nach Art. 38 Abs. 1 der Richtlinie). Hierzu zählt u.a. die Möglichkeit, einen Asylantrag im sonstigen Drittstaat zu stellen. Im deutschen Recht wird diese zusätzliche Voraussetzung aber nicht genannt.

Vor diesem Hintergrund erscheint es unklar, ob nach geltender Rechtslage das Konzept des "sonstigen Drittstaats" bzw. "ersten Asylstaats" auch anwendbar ist auf die (ehemaligen) Dublin-Fälle - also Personen, die entweder in Großbritannien noch keinen Asylantrag gestellt haben, deren Verfahren dort nicht abgeschlossen wurde oder deren Antrag abgelehnt wurde. Das BAMF verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass die "sonstigen Drittstaaten"-Regelung "bei Vorliegen der Voraussetzungen" anwendbar ist. Zur Anwendung kommen könnte die Regelung somit insbesondere bei Personen, denen in Großbritannien bereits ein Schutzstatus gewährt wurde.

Das Vorliegen der genannten Voraussetzungen ist vom BAMF im Asylverfahren abzuklären. Die Hürden für eine Ablehnung als "unzulässig" sind dabei höher als in Dublin-Verfahren oder in den Verfahren von Personen, die in einem anderen EU-Staat Schutz erhalten haben ("Anerkannten-Fälle"). Bei derartigen Verfahren kommt es im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung auf die Zuständigkeit des anderen Staates für das Verfahren bzw. auf die Frage an, ob ein Schutzstatus gewährt wurde. Dagegen muss die Frage, ob der Staat auch zur Wiederaufnahme der betroffenen Person bereit ist, im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung nicht zwingend geprüft werden. Dies wäre anders, wenn das BAMF den Asylantrag unter Berufung auf die "sonstige Drittstaaten"-Regelung ablehnen will. In diesem Fall ist die Wiederaufnahmebereitschaft Großbritanniens zwingend vor der Entscheidung über den Asylantrag festzustellen. Ob bzw. auf welcher Grundlage Großbritannien überhaupt dazu verpflichtet wäre, betroffene Personen wiederaufzunehmen, ist dabei unklar. Gegebenenfalls wären wohl in jedem Einzelfall entsprechende Zusicherungen Großbritanniens einzuholen.

Einige rechtliche Fragen erscheinen in diesem Zusammenhang ungeklärt, was auch darauf zurückzuführen ist, dass das Konzept von "sonstigen Drittstaaten" bzw. dem "ersten Asylstaat" in der Vergangenheit nur selten zur Anwendung kam und entsprechend auch kaum Rechtsprechung hierzu vorliegt. So wurden im Jahr 2019 lediglich 38 Asylanträge auf Grundlage von § 29 Abs. 1 Nr. 4 AsylG als "unzulässig" abgelehnt (lt. "ergänzender Asylstatistik" für das Jahr 2019, Auskunft der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke, BT-Drs. 19/18498 vom 2.4.2020, S. 6).


Hinweis

Aufgrund vielfältiger Gesetzesänderungen können einzelne Arbeitshilfen in Teilen nicht mehr aktuell sein. Wir bemühen uns, so schnell wie möglich eine aktualisierte Version zu verlinken. Bis dahin bitten wir Sie, auf das Datum der Publikation zu achten und zu überprüfen, ob die Informationen noch korrekt sind.

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