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Zitieren als:
EuGH, Urteil vom 12.04.2016 - C-561/14 Genc gg. Dänemark (= ASYLMAGAZIN 10/2016, S. 353 ff.) - asyl.net: M23738
https://www.asyl.net/rsdb/M23738
Leitsatz:

Eine nationale Vorschrift, die für den Nachzug eines minderjährigen Kindes zu einem legal in einem EU-Mitgliedstaat aufhältigen und arbeitenden Elternteil weitere Voraussetzungen einführt, ist eine "neue Beschränkung" i.S.d. Art. 13 ARB 1/80 und ist nicht gerechtfertigt. (Die hier einschlägige dänische Regelung setzt voraus, dass das Kind eine hinreichende Verbindung mit dem Staat hat, in dem der Elternteil sich als Arbeitnehmer aufhält und dass der Antrag auf Familiennachzug innerhalb von zwei Jahren nach Erhalt eines unbefristeten Aufenthalts des Elternteils gestellt wird.)

Schlagwörter: Familienzusammenführung, Türkischer Arbeitnehmer, Assoziationsberechtigte, Assoziationsratsbeschluss EWG/Türkei, Beschränkung, Kind, Arbeitnehmer, hinreichende Verbindung, Stillhalteklausel, Stand-Still-Klausel, Genc,
Normen: ARB 1/80 Art. 13,
Auszüge:

[...]

32 Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die es für die Familienzusammenführung zwischen einem türkischen Arbeitnehmer, der sich in dem betreffenden Mitgliedstaat legal aufhält, und seinem minderjährigen Kind zur Voraussetzung macht, dass das Kind eine hinreichende Verbindung mit diesem Mitgliedstaat, um ihm eine erfolgreiche Integration zu ermöglichen, besitzt oder besitzen kann, wenn das Kind und sein anderer Elternteil im Herkunftsstaat oder in einem Drittstaat ansässig sind und der Antrag auf Familienzusammenführung nach einer Frist von zwei Jahren ab dem Zeitpunkt gestellt wird, zu dem der Elternteil, der seinen Aufenthalt im betreffenden Mitgliedstaat hat, eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis oder eine Aufenthaltserlaubnis mit der Möglichkeit zum Daueraufenthalt erhalten hat, eine "neue Beschränkung" im Sinne von Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 und/oder von Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls darstellt und ob, sollte dies der Fall sein, eine solche Beschränkung gleichwohl gerechtfertigt sein kann.

33 Nach ständiger Rechtsprechung verbieten die in Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 und in Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls enthaltenen Stillhalteklauseln allgemein die Einführung neuer innerstaatlicher Maßnahmen, die bezwecken oder bewirken, dass die Ausübung einer wirtschaftlichen Freiheit durch einen türkischen Staatsangehörigen in dem betreffenden Mitgliedstaat strengeren Voraussetzungen als denjenigen unterworfen wird, die für ihn zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Beschlusses oder des Zusatzprotokolls in diesem Mitgliedstaat galten (vgl. in diesem Sinne Urteile Savas, C-37/98, EU:C:2000:224, Rn. 69, sowie Sahin, C-242/06, EU:C:2009:554, Rn. 63 und die dort angeführte Rechtsprechung).

34 Im vorliegenden Fall geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Bestimmung, nämlich § 9 Abs. 13 des dänischen Ausländergesetzes, nach dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Beschlusses Nr. 1/80 und des Zusatzprotokolls in Dänemark eingeführt worden ist und dass diese Bestimmung eine Verschärfung der zuvor für minderjährige Kinder von Arbeitnehmern, die Staatsangehörige eines Drittstaats sind, bestehenden Voraussetzungen für die Zulassung der Familienzusammenführung nach sich zieht, so dass sie diese Familienzusammenführung erschwert.

35 Des Weiteren steht fest, dass Herr Genc nach Dänemark einreisen möchte, um dort zu seinem Vater zu ziehen. Es ist ebenfalls unstreitig, dass der Vater von Herrn Genc zu dem Zeitpunkt, zu dem dieser seine Aufenthaltserlaubnis beantragt hat, in Dänemark als Arbeitnehmer beschäftigt war.

36 Unter diesen Umständen ist es der Vater des Klägers des Ausgangsverfahrens, dessen Situation einen Bezug zu einer wirtschaftlichen Freiheit, hier der Arbeitnehmerfreizügigkeit, aufweist und der daher als ordnungsgemäß in den dänischen Arbeitsmarkt eingegliederter Arbeitnehmer unter Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 fällt (vgl. in diesem Sinne Urteile Savas, C-37/98, EU:C:2000:224, Rn. 58, sowie Abatay u. a., C-317/01 und C-369/01, EU:C:2003:572, Rn. 75 bis 84).

37 Folglich ist nur auf die Situation des im betreffenden Mitgliedstaat wohnenden türkischen Arbeitnehmers, im vorliegenden Fall also die des Vaters von Herrn Genc, abzustellen, um zu klären, ob nach der Stillhalteklausel in Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende unangewendet zu lassen ist, wenn diese erwiesenermaßen geeignet ist, seine Freiheit zur Ausübung einer Tätigkeit als Arbeitnehmer in diesem Mitgliedstaat zu beeinträchtigen.

38 Somit ist zu untersuchen, ob die Einführung einer neuen Regelung, die die Voraussetzungen für die erstmalige Aufnahme der minderjährigen Kinder türkischer Staatsangehöriger, die sich, wie der Vater von Herrn Genc, als Arbeitnehmer in dem betreffenden Mitgliedstaat aufhalten, im Vergleich zu denjenigen verschärft, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Beschlusses Nr. 1/80 in diesem Mitgliedstaat galten, eine "neue Beschränkung" im Sinne von Art. 13 dieses Beschlusses für die Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit durch diese türkischen Staatsangehörigen in dem Mitgliedstaat darstellen kann.

39 In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass eine Regelung, die eine Familienzusammenführung erschwert, indem sie die Voraussetzungen für eine erstmalige Aufnahme der Ehegatten türkischer Staatsangehöriger im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats im Vergleich zu denjenigen verschärft, die galten, als das Zusatzprotokoll in Kraft trat, eine "neue Beschränkung" der Ausübung der Niederlassungsfreiheit durch diese türkischen Staatsangehörigen im Sinne von Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls darstellt (Urteil Dogan, C-138/13, EU:C:2014:2066, Rn. 36).

40 Der Grund hierfür ist, dass es sich auf die Entscheidung eines türkischen Staatsangehörigen, sich in einem Mitgliedstaat niederzulassen, um dort dauerhaft einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, negativ auswirken kann, wenn die Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats die Familienzusammenführung erschweren oder unmöglich machen und sich der türkische Staatsangehörige deshalb unter Umständen zu einer Entscheidung zwischen seiner Tätigkeit in dem betreffenden Mitgliedstaat und seinem Familienleben in der Türkei gezwungen sehen kann (vgl. in diesem Sinne Urteil Dogan, C-138/13, EU:C:2014:2066, Rn. 35).

41 Ferner hat der Gerichtshof entschieden, dass die Auslegung des Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls ebenso in Bezug auf die Stillhalteverpflichtung gelten muss, die die Grundlage von Art. 13 im Bereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit bildet, da die Stillhalteklausel in Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 und diejenige in Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls gleichartig sind und die beiden Klauseln dasselbe Ziel verfolgen (Urteil Kommission/Niederlande, C-92/07, EU:C:2010:228, Rn. 48).

42 Folglich lässt sich die Auslegung, die der Gerichtshof in Rn. 36 des Urteils Dogan (C-138/13, EU:C:2014:2066) gegeben hat, auf das Ausgangsverfahren übertragen.

43 Soweit das vorlegende Gericht und die dänische Regierung Zweifel an der Vereinbarkeit der im Urteil Dogan (C-138/13, EU:C:2014:2066) gewählten Auslegung mit dem ausschließlich wirtschaftlichen Zweck des Assoziierungsabkommens äußern, ist darauf hinzuweisen, dass es, wie sich aus Rn. 40 des vorliegenden Urteils ergibt, das Bestehen eines Zusammenhangs zwischen der Ausübung wirtschaftlicher Freiheiten durch einen türkischen Staatsangehörigen in einem Mitgliedstaat und der Familienzusammenführung – weil nämlich die Voraussetzungen für die Einreise und den Aufenthalt der Familienangehörigen dieses türkischen Staatsangehörigen geeignet erschienen, seine Ausübung dieser Freiheiten zu beeinträchtigen – war, was den Gerichtshof im Urteil Dogan zu der Schlussfolgerung veranlasst hat, dass die in jenem Urteil fragliche Regelung in den Anwendungsbereich der Stillhalteklausel des Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls fiel.

44 Demgemäß fällt, wie der Generalanwalt in Nr. 27 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, eine nationale Regelung, die die Voraussetzungen für die Familienzusammenführung verschärft – wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende –, nur insoweit in den Anwendungsbereich der Stillhalteklausel des Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80, als sie geeignet ist, die Ausübung einer Erwerbstätigkeit im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats durch türkische Arbeitnehmer – wie den Vater von Herrn Genc – zu beeinträchtigen.

45 Daher umfassen die Stillhalteklauseln in Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 und in Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls in ihrer Auslegung durch den Gerichtshof weder die Anerkennung eines Rechts auf Familienzusammenführung noch die eines Niederlassungs- und Aufenthaltsrechts für Familienangehörige türkischer Arbeitnehmer.

46 Hinsichtlich der Familienzusammenführung misst die Rechtsprechung des Gerichtshofs, wie aus dem Urteil Dogan (C-138/13, EU:C:2014:2066) hervorgeht, der Stillhalteklausel keine andere Wirkung als die bei, dass die Aufstellung neuer Voraussetzungen für die Familienzusammenführung verboten wird, die geeignet wären, die Ausübung der wirtschaftlichen Freiheiten durch einen türkischen Staatsangehörigen in einem Mitgliedstaat zu beeinträchtigen. [...]

49 Die aus dem Urteil Dogan (C-138/13, EU:C:2014:2066) hervorgehende Auslegung steht außerdem im Einklang mit der vom Gerichtshof zu Art. 7 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 entwickelten Auslegung, wonach der Zweck dieser weiteren Bestimmung des Beschlusses darin besteht, die Familienzusammenführung im Aufnahmemitgliedstaat zu fördern, um die Beschäftigung und den Aufenthalt des türkischen Arbeitnehmers, der dem regulären Arbeitsmarkt des betreffenden Mitgliedstaats angehört, zu erleichtern (vgl. Urteile Kadiman, C-351/95, EU:C:1997:205, Rn. 34 bis 36, Eyüp, C-65/98, EU:C:2000:336, Rn. 26, und Ayaz, C-275/02, EU:C:2004:570, Rn. 41).

50 Daher ist die Schlussfolgerung zu ziehen, dass eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die eine Familienzusammenführung erschwert, indem sie die Voraussetzungen für die erstmalige Aufnahme minderjähriger Kinder von sich im betreffenden Mitgliedstaat als Arbeitnehmer aufhaltenden türkischen Staatsangehörigen im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats im Vergleich zu denjenigen verschärft, die galten, als der Beschluss Nr. 1/80 in Kraft trat, und die somit geeignet ist, die Ausübung einer Erwerbstätigkeit durch diese türkischen Staatsangehörigen in diesem Hoheitsgebiet zu beeinträchtigen, eine "neue Beschränkung" der Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit durch diese türkischen Staatsangehörigen im Sinne von Art. 13 dieses Beschlusses darstellt.

51 Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass eine Beschränkung, mit der bezweckt oder bewirkt wird, die Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit im Inland durch einen türkischen Staatsangehörigen strengeren Voraussetzungen zu unterwerfen, als sie zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Beschlusses Nr. 1/80 galten, verboten ist, es sei denn, sie gehört zu den in Art. 14 dieses Beschlusses aufgeführten Beschränkungen oder ist durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt sowie geeignet, die Verwirklichung des verfolgten legitimen Ziels zu gewährleisten, und geht nicht über das zu dessen Erreichung Erforderliche hinaus (Urteil Demir, C-225/12, EU:C:2013:725, Rn. 40).

52 Nach Art. 12 des Assoziierungsabkommens haben die Vertragsparteien im Einklang mit dem ausschließlich wirtschaftlichen Zweck, der die Grundlage der Assoziation EWG–Türkei bildet, nämlich vereinbart, sich von den die Arbeitnehmerfreizügigkeit betreffenden Bestimmungen des Primärrechts der Europäischen Union leiten zu lassen, so dass die im Rahmen dieser Bestimmungen geltenden Grundsätze so weit wie möglich auf türkische Staatsangehörige übertragen werden müssen, die Rechte aufgrund dieses Assoziierungsabkommens besitzen (vgl. in diesem Sinne Urteil Ziebell, C-371/08, EU:C:2011:809, Rn. 58 und 65 bis 68).

53 Es ist damit zu prüfen, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Bestimmung die in Rn. 51 des vorliegenden Urteils genannten Voraussetzungen erfüllt und daher rechtmäßig ist.

54 In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass die in § 9 Abs. 13 des dänischen Ausländergesetzes vorgesehene Voraussetzung nicht unter Art. 14 des Beschlusses Nr. 1/80 fällt. Die dänische Regierung macht hingegen geltend, dass diese Voraussetzung durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses, nämlich die Gewährleistung einer erfolgreichen Integration, gerechtfertigt sei und dass sie verhältnismäßig sei, weil diese Bestimmung geeignet sei, die Verwirklichung des verfolgten legitimen Ziels zu gewährleisten, und auch nicht über das zu dessen Erreichung Erforderliche hinausgehe.

55 Hinsichtlich der Frage, ob das Ziel, eine erfolgreiche Integration zu erreichen, einen solchen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellen kann, ist auf die Bedeutung hinzuweisen, die Integrationsmaßnahmen im Rahmen des Unionsrechts beigemessen wird, wie sich aus Art. 79 Abs. 4 AEUV, der sich auf die Begünstigung der Integration der Drittstaatsangehörigen in den Aufnahmemitgliedstaaten als zu fördernde und zu unterstützende Bemühungen der Mitgliedstaaten bezieht, und aus mehreren Richtlinien, wie der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung (ABl. L 251, S. 12) und der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (ABl. 2004, L 16, S. 44), ergibt, denen zufolge die Integration von Drittstaatsangehörigen entscheidend zur Förderung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts beiträgt, der als eines der Hauptziele der Union im Vertrag angegeben ist.

56 Unter diesen Umständen kann, wie der Generalanwalt in Nr. 35 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, das von der dänischen Regierung geltend gemachte Ziel der Gewährleistung einer erfolgreichen Integration der Drittstaatsangehörigen im betreffenden Mitgliedstaat einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellen.

57 Was die Verhältnismäßigkeit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Bestimmung betrifft, so ist, da diese Bestimmung – wie in Rn. 50 des vorliegenden Urteils festgestellt worden ist – eine Beschränkung der Freizügigkeit türkischer Arbeitnehmer darstellt, darauf hinzuweisen, dass ihre Beurteilung, wie der Generalanwalt in den Nrn. 37 und 38 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, anhand dieser Freiheit vorzunehmen ist, wie sie den türkischen Staatsangehörigen nach Maßgabe der die Assoziation EWG–Türkei regelnden Bestimmungen zusteht.

58 Aus der Vorlageentscheidung ergibt sich, dass es nach der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Bestimmung für die Familienzusammenführung in Fällen, in denen das betreffende Kind und ein Elternteil im Herkunftsstaat oder einem Drittstaat ansässig sind, grundsätzlich erforderlich ist, dass das Kind eine hinreichende Verbindung mit Dänemark, um eine erfolgreiche Integration zu ermöglichen, besitzt oder besitzen kann.

59 Diese Voraussetzung findet jedoch nur Anwendung, wenn der Antrag mehr als zwei Jahre nach dem Zeitpunkt gestellt wird, an dem der Elternteil, der seinen Aufenthalt im dänischen Hoheitsgebiet hat, eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis oder eine Aufenthaltserlaubnis mit Möglichkeit zum Daueraufenthalt erhalten hat.

60 Da, wie die dänische Regierung vorbringt, das Erfordernis, eine hinreichende Verbindung mit Dänemark nachzuweisen, für die betreffenden Kinder eine erfolgreiche Integration in diesem Mitgliedstaat gewährleisten soll, geht die im Ausgangsverfahren fragliche nationale Regelung offenkundig von der Annahme aus, dass sich diejenigen Kinder, für die der Antrag auf Familienzusammenführung nicht innerhalb der gesetzten Frist gestellt worden ist, in einer Lage befinden, in der ihre Integration in Dänemark nur gewährleistet ist, wenn sie dieses Erfordernis erfüllen.

61 Dieses Erfordernis, das durch das Ziel einer Ermöglichung der Integration der betreffenden minderjährigen Kinder in Dänemark gerechtfertigt sein soll, gelangt jedoch nicht nach Maßgabe der persönlichen Situation der Kinder zur Anwendung, die einen negativen Einfluss auf ihre Integration im betreffenden Mitgliedstaat haben kann, wie etwa ihr Alter oder ihre Verbindungen mit diesem Mitgliedstaat, sondern nach Maßgabe eines Kriteriums, das von vornherein keinen Zusammenhang mit den Chancen für die Erreichung dieser Integration aufweist, nämlich der Zeitspanne zwischen der Gewährung einer endgültigen Aufenthaltserlaubnis in Dänemark für den betreffenden Elternteil und dem Tag der Stellung des Antrags auf Familienzusammenführung.

62 Insoweit ist schwer nachvollziehbar, inwiefern die Stellung eines Antrags auf Familienzusammenführung nach der Zweijahresfrist, die der Erteilung einer endgültigen Aufenthaltserlaubnis in Dänemark an den sich in diesem Mitgliedstaat aufhaltenden Elternteil folgt, das Kind in eine ungünstigere Situation versetzt, um seine Integration in Dänemark zu ermöglichen, weshalb der Antragsteller verpflichtet sein soll, eine hinreichende Verbindung des Kindes mit diesem Mitgliedstaat nachzuweisen.

63 Der Umstand, dass der Antrag auf Familienzusammenführung vor oder nach den zwei Jahren gestellt worden ist, die der Erteilung der endgültigen Aufenthaltserlaubnis an den sich im betreffenden Mitgliedstaat aufhaltenden Elternteil folgen, kann nämlich für sich genommen kein Indiz bilden, das als solches darüber Aufschluss böte, welche Absichten die Eltern des von diesem Antrag betroffenen Minderjährigen hinsichtlich seiner Integration in diesem Mitgliedstaat hegen.

64 Im Übrigen führt die Verwendung dieses Kriteriums für die Abgrenzung, für welche Kinder eine hinreichende Verbindung mit Dänemark nachzuweisen ist und für welche nicht, zu unstimmigen Ergebnissen bei der Beurteilung der Fähigkeit, sich erfolgreich in diesem Mitgliedstaat zu integrieren.

65 Wie nämlich der Generalanwalt in Nr. 51 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, findet dieses Kriterium zum einen ohne Berücksichtigung der persönlichen Situation des Kindes und seiner Verbindungen mit dem fraglichen Mitgliedstaat Anwendung und birgt zum anderen die Gefahr in sich, dass je nach dem Zeitpunkt der Antragstellung für die Familienzusammenführung Kinder ungleich behandelt werden, die sich sowohl im Hinblick auf ihr Alter als auch auf ihre Verbindungen zu Dänemark sowie hinsichtlich ihrer Beziehung zu dem dort ansässigen Elternteil in einer völlig gleichartigen persönlichen Situation befinden.

66 Dazu ist festzustellen, dass – wie der Generalanwalt in Nr. 54 seiner Schlussanträge ausgeführt hat – die Beurteilung der persönlichen Situation des betreffenden Kindes durch die nationalen Behörden auf der Grundlage hinreichend genauer, objektiver und nicht diskriminierender Kriterien zu erfolgen hat, die im Einzelfall zu prüfen sind und deren Anwendung zu einer mit Gründen versehenen Entscheidung führen muss, gegen die mit einem wirksamen Rechtsbehelf vorgegangen werden kann, um eine Verwaltungspraxis der systematischen Ablehnung zu vermeiden. [...]