VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Urteil vom 23.06.2016 - 6 K 6684/15.A - asyl.net: M24437
https://www.asyl.net/rsdb/M24437
Leitsatz:

Tatsächliche oder vermeintliche Mitglieder der ONLF sind in Äthiopien in der Region Somali der Gefahr willkürlicher Inhaftierung und Folter ausgesetzt.

Zum notwendigen Zusammenhang zwischen erlittener Verfolgung und späterer Ausreise ("Flucht") (hier: verneint).

Die Gefahr der Strafverfolgung wegen Vergewaltigung in Äthiopien stellt grundsätzlich keine unverhältnismäßige oder diskriminierende Behandlung i.S.d. § 3a Abs. 2 Nr. 3 AsylG dar.

Zu den Voraussetzungen des internen Schutzes gemäß § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG (Anschluss an OVG NRW, Beschluss vom 6. Juni 2016 - 13 A 1882/15.A; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 6. März 2012 - A 11 S 3177/11 -, juris).

In der "Republik Somaliland" besteht kein innerstaatlicher Konflikt i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG.

Zu den Voraussetzungen einer extremen allgemeinen Gefahrenlage i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (hier für die Republik Somaliland verneint).

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Äthiopien, Ogaden, Somalia, Republik Somaliland, ONLF, Ogaden National Liberation Front, Region Somali, fluchtauslösendes Ereignis, Zustellung, Postzustellungsurkunde, Staatenlosigkeit, extreme Gefahrenlage, Zielstaatsbezeichnung, Abschiebung, Abschiebungsandrohung,
Normen: AsylG § 3, AsylG § 3a Abs. 2 Nr. 3, AsylG § 3e Abs. 1 Nr. 2, AsylG § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1, AsylG § 3 Abs. 1, AufenthG § 60 Abs. 7 S. 5,
Auszüge:

[...]

1. Wenn der in Äthiopien geborene und dort bis zu seiner Ausreise ununterbrochen aufhältige Kläger, der sich selbst als somalischstämmigen Äthiopier bezeichnet, die äthiopische Staatsangehörigkeit besitzt oder staatenlos ist, stehen ihm im Hinblick auf das Herkunftsland Äthiopien weder Flüchtlingsschutz (a) noch subsidiärer Schutz (b) oder nationaler Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG (c) zu. [...]

Ausgehend von diesen Grundsätzen scheidet die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aus. Der Kläger ist unverfolgt ausgereist (aa). Sonstige Fluchtgründe liegen nicht beachtlich wahrscheinlich vor (bb). Darüber hinaus ist es dem Kläger möglich und zumutbar, in einem anderen Landesteil Äthiopiens internen Schutz zu erlangen (cc).

aa) Der Kläger ist unverfolgt ausgereist. Dies gilt sowohl in Anbetracht der während seiner Inhaftierung als mutmaßlicher Kollaborateur der ONLF erlittenen physischen Gewalt (1) als auch der behaupteten Strafverfolgung wegen Vergewaltigung (2).

(1) Es steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger im Jahre 2013 über mehrere Monate in verschiedenen Haftanstalten von K. den von ihm im Einzelnen beschriebenen physischen Gewaltakten und Foltermaßnahmen (insbesondere permanente Schläge, Übergießen mit kaltem Wasser) ausgesetzt war. Der Kläger hat sein diesbezügliches Vorbringen auf kritische Nachfragen detailliert, zeitlich geordnet und auch im Übrigen widerspruchsfrei geschildert. Er hat insbesondere glaubhaft dargelegt, dass man ihn als vermeintlichen Kollaborateur der ONLF willkürlich inhaftiert und gefoltert hat. Dies deckt sich mit den dem Gericht zur Verfügung stehenden Erkenntnissen, wonach die äthiopische Regierung in der Region Somali in dem dort schwelenden Konflikt mit der als terroristisch eingestuften "Ogaden National Liberation Front" (ONLF) auch gegen nur vermeintliche Mitglieder der ONLF mit äußerster Brutalität vorgeht. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe führt hierzu in ihrem Bericht vom 17. Juni 2014 (Äthiopien – Update: Aktuelle Entwicklungen bis Juni 2014, S. 7 und 12) aus:

"Die Ogaden National Liberation Front (ONLF) wurde in den 1980er Jahren gegründet. Seither kämpft die Gruppierung für einen unabhängigen Staat in der Ogaden-Region. Das Gebiet wird hauptsächlich von ethnischen Somali muslimischen Glaubens bewohnt. Gespräche zwischen der Regierung und der ONLF, um den jahrzehntelangen Konflikt zu beenden, waren bisher nicht erfolgreich. Angehörige der äthiopischen Armee, regierungsnahe Milizen sowie die ONLF wurden wiederholt beschuldigt, Menschenrechtsverletzungen wie willkürliche Festnahmen, extralegale Hinrichtungen und Vergewaltigungen begangen zu haben. Medienschaffende, Menschenrechtsorganisationen und die meisten Hilfswerke haben keinen Zugang ins umkämpfte Gebiet. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz musste bereits im Jahr 2007 die Region verlassen, da die äthiopische Regierung die Organisation der Zusammenarbeit mit Terroristen bezichtigt hatte.

Die äthiopische Regierung geht äußerst hart gegen vermeintliche oder tatsächliche Mitglieder der ONLF vor. Gemäß Amnesty International werden im Ogaden-Gebiet oftmals zivile Personen festgenommen, die keinerlei Verbindung zur Organisation haben. Ein Verdacht der Sicherheitsbehörden, die ONLF zu unterstützen, reicht aus, um verhaftet zu werden. Selbst UNO-Mitarbeiter werden nicht verschont".

Die in Äthiopien gebräuchlichen Gewalt- und Foltermaßnahmen umfassen auch die von dem Kläger geschilderten Schläge (mit der Faust, mit Stöcken aller Art und mit Gewehrschaften) (vgl. Amnesty international, Bericht zur Menschenrechtssituation in Äthiopien vom 13. November 2014, S. 3).

Auch das Auswärtige Amt geht von einem gezielten und harten Vorgehen von Polizei und Militär gegen mutmaßliche und tatsächliche Unterstützer u.a. der in der Region Somali/Ogaden aktiven, vom Parlament als Terrororganisation gelisteten ONLF aus, wobei systematische Verhaftungen und Folter insbesondere bei vermutetem Zusammenhang mit Terrorismus nicht auszuschließen sind (Lagebericht vom 24. Mai 2016, S. 7, 9, 19).

Gleichwohl fehlt es insoweit an dem notwendigen objektiven Zusammenhang zwischen erlittener Verfolgung und der späteren Ausreise. So hat sich der Kläger nach seiner Freilassung am 13. August 2013 nicht unmittelbar außer Landes begeben, sondern ist zunächst nach Addis Abeba gereist. Nachdem er dort im Stadtteil C. für eine Weile von somalischen Studenten versorgt wurde, kehrte er nicht zuletzt in der Erwartung, die Lage habe sich in seiner Heimatstadt wieder entspannt, nach einem Monat freiwillig zu seiner Mutter nach K. zurück. Als er dort im November 2013 am Tag nach dem Besuch der Hochzeitsfeier eines Bekannten erfuhr, dass eine auf dieser Feier anwesende Frau – die Schwester eines der ihn seinerzeit verhaftenden Soldaten – im Begriff sei, ihn angeblich zu Unrecht wegen Vergewaltigung bei der Polizei anzuzeigen, ging er erneut nach Addis Abeba, wo er sich mit Hilfe somalischer Studenten bis Ende Dezember 2013 als Tagelöhner durch Schwarzarbeit bei einem Kartoffelhändler verdingte und nach Erhalt der Kündigung den Entschluss zur Ausreise fasste.

Bereits die freiwillige Rückkehr an den Ort erlittener Folter spricht gegen das Vorliegen einer begründeten Furcht vor Verfolgung. Auch die erneute Reise nach Addis Abeba hat der Kläger nicht aus Furcht vor erneuter (politischer) Verfolgung, sondern aus Furcht vor Strafverfolgung wegen Vergewaltigung angetreten. Damit stellt sich jedoch die Ausreise aus Äthiopien nach ihrem äußeren Erscheinungsbild nicht (mehr) als unter dem Druck der erlittenen Gewalt und Haft stattfindende Flucht dar. Ein Konnex zwischen erlittener Verfolgung und Ausreise, mag er für den Kläger auch subjektiv fortbestanden haben, ist jedenfalls objektiv soweit verblasst, dass er hinter den späteren Reisen von und nach Addis Abeba und den hierfür jeweils maßgeblichen Ursachen (Furcht vor Strafverfolgung und wirtschaftliche Gründe) zurücktritt. Ob der erforderliche Konnex zudem schon aufgrund des seit Haftentlassung im August 2013 bis zur Ausreise im Januar oder Februar 2014 verstrichenen Zeitraums von etwa fünf bis sechs Monaten entfallen sein könnte, kann daher hier auf sich beruhen (vgl. zu der insoweit abweichenden Fallkonstellation der unverzüglichen Ausreise eines Angehörigen führender ONLF-Mitglieder nach Flucht aus dem Gefängnis: VG Schwerin, Urteil vom 17. Juni 2015 – 5 A 222/12 –, juris).

(2) Die Gefahr der Strafverfolgung wegen Vergewaltigung scheidet, ihr Vorliegen unterstellt, als Verfolgungsgrund i.S.d. § 3a Abs. 2 Nr. 3 AsylG aus. Die strafrechtliche Verfolgung allgemein geltender Gesetze stellt in der Regel noch keine Verfolgung im Sinne des Flüchtlingsrechts dar. Auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist bei staatlichen Maßnahmen, die allein dem grundsätzlich legitimen staatlichen Rechtsgüterschutz dienen oder die nicht über das hinausgehen, was auch bei der Ahndung sonstiger krimineller Taten ohne politischen Bezug regelmäßig angewandt wird, nicht von (politischer) Verfolgung auszugehen. Eine danach nicht asylerhebliche Strafverfolgung kann aber in politische Verfolgung umschlagen, wenn objektive Umstände darauf schließen ließen, dass der Betroffene eine härtere als die sonst übliche Behandlung erleidet (sog. Politmalus) (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. Dezember 2012 - 2 BvR 2954/09 -, juris, Rn. 24; Beschluss vom 29. April 2009 - 2 BvR 78/08 -, juris, Rn. 18; Beschluss vom 12. Februar 2008 - 2 BvR 2141/06 -, juris, Rn. 22).

Hiervon ausgehend ist im vorliegenden Fall eine unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung i.S.d. § 3a Abs. 2 Nr. 3 AsylG weder im Hinblick auf den Deliktstyp der Vergewaltigung an sich noch auf den in Äthiopien für Vergewaltigung grundsätzlich vorgesehenen Strafrahmens von bis zu 15 Jahren (vgl. hierzu BAMF, Geschlechtsspezifische Verfolgung in ausgewählten Herkunftsländern, S. 23) ersichtlich. Greifbare Anhaltspunkte für eine diskriminierende Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis, die nach den aktuellen Erkenntnissen in Äthiopien – von politischen Prozessen abgesehen – nicht in flüchtlingsrelevanter Weise diskriminiert (vgl. Bericht des Auswärtigen Amtes zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Äthiopien vom 24. Mai 2016 (Stand: März 2016), S. 13; Bericht der D-A-CH Fact Finding Mission, Mai 2010, S. 20), bestehen ebenfalls nicht.

Umstände, die gleichwohl darauf schließen lassen, dass dem Kläger – etwa aufgrund seiner vermeintlichen Nähe zur ONLF – eine härtere als die sonst übliche Behandlung drohte, liegen nicht vor. Allein die Tatsache, dass die angebliche Anzeigeerstatterin zugleich die Schwester eines der Regierungssoldaten war, die den Kläger vormals verhaftet hatten, reicht für eine solche Annahme nicht aus, zumal dem äthiopischen Staat im November 2013 eine erneute außergerichtliche Festnahme und Inhaftierung des Klägers – wäre derartiges tatsächlich beabsichtigt gewesen – ohne weiteres nach dem Anti-Terror-Gesetz vom 7. Juli 2009 möglich gewesen wäre (vgl. etwa den Bericht des Auswärtigen Amtes zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Äthiopien vom 24. Mai 2016 (Stand: März 2016), S. 10).

bb) Auch im Falle einer Rückkehr des Klägers nach Äthiopien ist zu dem entscheidungserheblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) eine landesweit drohende Verfolgung nicht beachtlich wahrscheinlich. Für eine landesweite Gruppenverfolgung von Somali in Äthiopien ist nach der Auskunftslage, wonach in Äthiopien viele Binnenflüchtlinge (auch) aus der Region Somali/Ogaden leben (vgl. Bericht des Auswärtigen Amtes zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Äthiopien vom 24. Mai 2016 (Stand: März 2016), S. 12), nichts ersichtlich. Hierfür besteht auch nach der Schilderung des Klägers, derzufolge Somali – darunter auch sein Bruder – in größeren Städten Äthiopiens unbehelligt leben und auch studieren können, keinerlei Anhalt. Auch die unerlaubte Ausreise und die Asylantragstellung im Ausland begründen in Äthiopien keine Verfolgungsgefahr. Es sind mit Ausnahme exponiert tätiger Oppositioneller keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer festgenommen oder misshandelt wurden (vgl. Bericht des Auswärtigen Amtes zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Äthiopien vom 24. Mai 2016 (Stand: März 2016), S. 21; amnesty international, "Zur Menschenrechtssituation in Äthiopien" vom 13. November 2014, S. 5).

Anhaltspunkte, dass der Kläger nach seiner Rückkehr gleichwohl wegen einer vermuteten Nähe zur ONLF ins Visier der äthiopischen Sicherheitsbehörden gelangen und ihm deshalb wiederholt eine unter Umständen flüchtlingsrelevante Behandlung drohen könnte, sind derzeit nicht beachtlich wahrscheinlich. Der Kläger ist nicht aus der Haft geflohen, sondern er wurde seinen eigenen Angaben zufolge am 13. August 2013 auf Betreiben der Stammesältesten freigelassen, offenbar nachdem die Regierung von ihm keine ergiebigen Informationen mehr zu erlangen glaubte. Dass der äthiopische Staat gleichwohl ein Interesse an einer nochmaligen Inhaftierung des Klägers haben könnte, ist mangels entsprechender Tatsachen nicht ansatzweise greifbar (vgl. zu der Fallkonstellation eines Unterstützers der ONLF: VG Kassel, Urteil vom 11. September 2014 – 1 K 1672/13.KS.A –, juris Rn. 37).

Die Gefahr der Strafverfolgung wegen Vergewaltigung ist aufgrund des politisch neutralen Charakters des Delikts und der diesbezüglichen Strafverfolgung flüchtlingsrechtlich nicht relevant. Sie ist darüber hinaus nicht beachtlich wahrscheinlich. Der Kläger weiß nicht einmal sicher, ob tatsächlich eine entsprechende Anzeige gegen ihn erstattet wurde. Ob die Polizei diesbezüglich Ermittlungen aufgenommen und diese später aufrechterhalten hat, ist ebenfalls völlig ungewiss. Gründet sich aber die Furcht vor Strafverfolgung auf bloßen Mutmaßungen, geht der Grad der Gefahrenwahrscheinlichkeit nicht über eine – hier unzureichende – theoretisch denkbare Möglichkeit hinaus.

cc) Im Übrigen ist die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ausgeschlossen, weil sich der Kläger auf die Möglichkeit internen Schutzes verweisen lassen muss, § 3e Abs. 1 AsylG. [...]

Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Begründete Furcht vor Verfolgung besteht für den Kläger jedenfalls in anderen Landesteilen, darunter in der Hauptstadt Äthiopiens (Addis Abeba), nicht. Nach den aktuellen Erkenntnissen besteht für Opfer staatlicher Repressionen grundsätzlich die Möglichkeit, ihren Wohnsitz in andere Landesteile zu verlegen, womit sie einer lokalen Bedrohungssituation entgehen können (Bericht des Auswärtigen Amtes zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Äthiopien vom 24. Mai 2016 (Stand: März 2016), S. 17).

Der vorliegende Fall gibt keinen Anlass zu einer abweichenden Bewertung. Die Gefahr, als vermeintlicher Kollaborateur mit der ONLF willkürlicher Festnahme, Folter oder gar außergerichtlicher Tötung ausgesetzt zu sein, geht, soweit ersichtlich, über die Region Somali bzw. das Ogaden-Gebiet nicht hinaus (vgl. SFH, Äthiopien – Update: aktuelle Entwicklungen bis Juni 2014, S. 12; vgl. auch Bericht des Auswärtigen Amtes zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Äthiopien vom 24. Mai 2016 (Stand: März 2016), S. 12, 17).

Es ist auch zu erwarten, dass der Kläger, sollte er nach seiner Einreise über den internationalen Flughafen in Addis Abeba in seine Heimatregion Somali als "tatsächlichen Zielort" (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 – 10 C 15/12 –, juris Rn. 14) zurückkehren, sicher und legal wieder nach Addis Abeba oder einen anderen Landesteil außerhalb der Somali-Region reisen kann. Denn er konnte Addis Abeba in der Vergangenheit bereits mehrfach – trotz der erlittenen Verfolgung bzw. befürchteten Strafverfolgung – problemlos von K. aus erreichen, zumal er sich bei den unterwegs stattfindenden Personenkontrollen durch die äthiopischen Behörden mittels seines Schülerausweises ausweisen konnte. Dass dem Kläger vor diesem Hintergrund – seine äthiopische Staatsangehörigkeit unterstellt – auch die Beschaffung erforderlicher Einreisedokumente von vorne herein unmöglich oder unzumutbar wäre (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 26. Februar 2009 – 10 C 50.07 –, juris Rn. 41, unter Hinweis auf Urteil vom 29. Mai 2008 – 10 C 11.07 –), ist nicht zuletzt mit Blick darauf, dass in K. jedenfalls seit 2010 ein umfassendes Zentralregister erstellt wurde (vgl. Bericht zur D-A-CH Fact Finding Mission Äthiopien/Somaliland, Mai 2010, S. 28) derzeit nicht ersichtlich.

Von dem Kläger kann auch vernünftigerweise erwartet werden, dass er sich in einem anderen Landesteil Äthiopiens, insbesondere in Addis Abeba, niederlässt. [...]

Nach diesen Grundsätzen ist dem Kläger ein Aufenthalt namentlich in Addis Abeba zumutbar. Er ist ein junger, gesunder und arbeitsfähiger Mann, der neben Somali auch über Grundkenntnisse in Amharisch und Englisch verfügt und dem eine wirtschaftliche und soziale Existenzgründung jedenfalls bei seinem zweiten Aufenthalt in Addis Abeba Ende 2013 möglich war. Damals konnte er sich mit Hilfe somalischer Studenten als Tagelöhner in der Landwirtschaft eine wenn auch bescheidene wirtschaftliche Existenz aufbauen, die es ihm ermöglichte, Wohnraum anzumieten und Geld für seine spätere Ausreise zurückzulegen. Der Umstand, dass er schwarz gearbeitet hatte und sein Arbeitsverhältnis wegen einer bevorstehenden Kontrolle durch die Behörden gekündigt worden war, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Zeitlich begrenzte Arbeitsverhältnisse in der Landwirtschaft sind grundsätzlich zumutbar. Soweit der Kläger seine Arbeit deshalb inoffiziell aufgenommen hat, weil er Strafverfolgung fürchtete, bleibt dies wegen fehlender Verfolgungsrelevanz (s.o.) auch in diesem Zusammenhang außer Betracht. Im Übrigen ist nicht ersichtlich, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr am erneuten Aufbau einer wirtschaftlichen Existenzgrundlage gehindert wäre.

Dies deckt sich auch mit den aktuellen Erkenntnissen, wonach in Äthiopien zwar die Gründung einer neuen wirtschaftlichen und sozialen Existenz in anderen Landesteilen angesichts des niedrigen Niveaus des Lebensstandards in allen Landesteilen und der ethnischen Abgrenzung schon aus sprachlichen Gründen schwierig ist; in den größeren Städten ist ein wirtschaftlicher Neuanfang jedoch leichter möglich (Bericht des Auswärtigen Amtes zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Äthiopien vom 24. Mai 2016 (Stand: März 2016), S. 17).

Demnach ist dem Kläger für den Fall seiner Rückkehr nach Äthiopien insgesamt zuzumuten, sich (erneut) in einem anderen Landesteil oder in einer größeren Stadt und nicht in der Region Somali/Ogaden anzusiedeln und sich damit etwaigen Konfliktsituationen in seiner Heimatregion zu entziehen (vgl. auch VG Berlin, Urteil vom 15. Juni 2011 – 34 K 437.09 A –, juris). [...]

2. Wenn der Kläger somalischer Staatsangehöriger ist – wofür mit Blick auf seine Muttersprache Somali sowie die Herkunft seiner Eltern aus Somalia und seine Zugehörigkeit zu einem somalisprachigen Clan (Bartire) ebenfalls Einiges spricht (vgl. das Gesetz Nr. 28 über die somalische Staatsangehörigkeit vom 2. Dezember 1962, abgedr. in: Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Stand: 173. Lieferung (September 2007, "Somalia"), das den Erwerb der somalischen Staatsangehörigkeit an die Abstammung von einem somalischen Vater (Art. 2 Buchst. a) bzw. die "Zugehörigkeit zur somalischen Nation durch Geburt, Sprache oder Tradition" (Art. 3) anknüpft), ist Herkunftsstaat i.S.d. § 3 Abs. 1 AsylG Somalia. In Somalia hat der Kläger allerdings nie gelebt und sich in Bezug auf Somalia auch nie politisch betätigt. Auch sonst ist nicht ersichtlich, dass er dort wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe in irgendeiner Weise verfolgt wird.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG wegen der allgemeinen Situation in Somalia. [...]

Diesbezüglich erscheint es in Ermangelung konkreter örtlicher Bezugspunkte des Klägers zu Somalia einerseits sowie mit Blick auf die besondere Bedeutung der Herkunft als Ordnungs- und Zuschreibungsmerkmal andererseits (BVerwG, a.a.O.) sachgerecht, auf den als "Somaliland" bezeichneten Landesteil und dessen Hauptstadt Hargeysa abzustellen. Jener grenzt unmittelbar an die äthiopische Heimatregion des Klägers im Ogadengebiet an – Hargeysa liegt von K. etwa 150 km Wegstrecke entfernt –, wo im Übrigen auch der Clan der Bartire ansässig ist.

Somaliland ist indes nicht von einem innerstaatlichen Konflikt erfasst. Die Staatsgewalt über die von ihr so bezeichnete "Republik Somaliland" hat in den meisten von ihr beanspruchten Gebieten für Frieden gesorgt und gleichzeitig eine verhältnismäßig stabile demokratische Ordnung aufrechterhalten. Allgemein ist die Sicherheitslage in Somaliland als gut zu bezeichnen. Nominell kontrolliert der Staat das gesamte beanspruchte Staatsgebiet, in allen Landesteilen ist die Polizei – vor allem in den Städten – präsent. Die Kapazitäten sind allerdings beschränkt. Die Kontrolle über die nordöstlichen Gebiete an der Grenze zu Puntland ist unbestätigt. Die Kräfte der Polizei sind in Hargeysa konzentriert anzutreffen, in anderen Städten bestehen nur wenige Polizeistationen, allerdings existiert auch dort eine somaliländische Verwaltungsstruktur (Bericht der D-A-CH Fact Finding Mission Äthiopien/Somaliland 2010, Mai 2010, S. 65, 67).

Auch nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes wurden in dem von Somaliland beanspruchten Gebiet (im Vergleich zu Rest- Somalia) einigermaßen funktionierende Verwaltungsstrukturen aufgebaut. In "Somaliland" wurde im somaliaweiten Vergleich das bislang größte Maß an Sicherheit, Stabilität und Entwicklung erreicht. Die Al Schabaab-Miliz kontrolliert dort keine Gebiete. Es gibt in Somaliland relativ sichere Zufluchtsgebiete, in denen weitgehend Bewegungsfreiheit für Angehörige aller Clans herrscht. In Somaliland ist es den dort faktisch herrschenden Autoritäten gelungen, einen relativ wirksamen Schutz gegen Banden und Milizen zu gewährleisten. Hargeysa ist vom Ausland aus auf dem Luftweg erreichbar (Bericht des Auswärtigen Amtes zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Somalia vom 1. Dezember 2015 (Stand: November 2015), S. 4 f., 13 f., 17; vgl. auch VG Würzburg, Urteil vom 26. März 2013 – W 3 K 11.30324 –, juris).

Angesichts dieser Auskunftslage kommt die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG nicht in Betracht.

Nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor. Insbesondere ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ergibt sich für den Kläger nicht angesichts der allgemeinen schlechten Versorgungslage in Somalia. [...]

Nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes ist in Somaliland die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln nicht gewährleistet; es gibt keinen sozialen Wohnraum oder Sozialhilfe und keine Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer. Allerdings ist es den Menschen aufgrund der im Vergleich zu anderen Landesteilen besseren Organisation der staatlichen Stellen und besseren staatlichen Intervention im Krisenfalle rascher möglich, den Lebensunterhalt wieder aus eigener Kraft zu bestreiten (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia vom 1. Dezember 2015 (Stand: November 2015), S. 16).

Nach dem Bericht der D-A-CH Fact Finding Kommission Äthiopien/Somaliland halten sich mehr als 100.000 Äthiopier in Somaliland auf. Darunter befinden sich zahlreiche Wirtschaftsflüchtlinge, die nach zwei- bis dreijährigem Arbeitsaufenthalt in Somaliland mit dem verdienten Geld wieder zurück nach Äthiopien reisen. Manche Migranten, die eine ansprechende Arbeit gefunden haben, lassen sich auch ganz in Somaliland nieder (D-A-CH, Bericht von Mai 2010, S. 85, 91).

Dass es dem Kläger in Anbetracht eines in Somaliland grundsätzlich auch für Äthiopier zugänglichen Arbeitsmarktes nicht zuletzt mithilfe seiner amharischen und englischen Sprachkenntnisse möglich wäre, etwa in Hargeysa oder anderen Landesteilen Somalilands das zur Vermeidung einer Extremgefahr notwendige wirtschaftliche Existenzminimum zu bestreiten, ist nicht ersichtlich. Zudem ist nicht ersichtlich, dass er nicht auch auf die Unterstützung seines in relativer Nähe ansässigen Clans zurückgreifen könnte, zumal die Clanältesten vormals die Freilassung des Klägers erwirkt hatten und K. von Hargeysa aus über einen offiziellen Grenzübergang (Tog Wajaale) erreichbar ist (D-A-CH, Bericht von Mai 2010, S. 61, 81).

Bei dieser Sachlage ist in Bezug auf Somalia eine Extremgefahr im vorstehend dargelegten Sinne nicht mit der erforderlichen – hohen – Wahrscheinlichkeit gegeben.

3. Damit liegen die gesetzlichen Voraussetzungen für die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung ebenfalls vor, §§ 34, 38 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 59 AufenthG.

Der Umstand, dass das Bundesamt im Ergänzungsbescheid vom 22. Juni 2016 sowohl Äthiopien als auch Somalia als Zielstaaten bezeichnet hat, die alternativ für eine Abschiebung in Betracht kommen, steht der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung nicht entgegen. Zwar soll gemäß § 59 Abs. 2 AufenthG in der Androhung der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll. Hierdurch wird jedoch die Bezeichnung mehrerer Zielstaaten, die wahlweise für eine Abschiebung in Betracht kommen, nicht ausgeschlossen. Die Bezeichnung des Zielstaates ist lediglich ein Handlungsprogramm für die Ausländerbehörde ohne Regelungscharakter. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass aus der Sicht der androhenden Behörde in den genannten Zielstaat eine Abschiebung durchgeführt werden kann. Dagegen ist nicht erforderlich, dass der Ausländer jemals in dem Zielstaat gelebt hat. Rechte des Ausländers werden hierdurch nicht beeinträchtigt, da für beide bezeichneten Zielstaaten jeweils die gleichen Voraussetzungen in Bezug auf das Nichtvorliegen von Abschiebungsverboten erfüllt sein müssen wie im Falle der Bezeichnung lediglich eines Zielstaates (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2000 – 9 C 42/99 –, juris; OVG Saarland, Beschluss vom 15. April 2015 – 2 A 343/14 –, juris; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: Februar 2016, § 59 AufenthG Rn. 34 m.w.N.). [...]