EuGH

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Zitieren als:
EuGH, Urteil vom 22.12.2022 - C-279/21 X gg. Dänemark - asyl.net: M31156
https://www.asyl.net/rsdb/m31156
Leitsatz:

Sprachnachweis für Ehegattennachzug bei ARB 1/80:

Der Nachweis von Kenntnissen der Amtssprache des Aufnahmelandes als Voraussetzung für den Ehegatt*innennachzug bei türkischen Arbeitnehmenden verstößt gegen die Stillhalteklausel des Assoziationsratsbeschlusses 1/80.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Türkischer Arbeitnehmer, Stillhalteklausel, Deutschkenntnisse, Sprachkenntnisse, Familienzusammenführung, Ehegattennachzug, Assoziationsratsbeschluss EWG/Türkei, Assoziationsberechtigte,
Normen: ARB 1/80 Art. 13
Auszüge:

[...]

21 Als Erstes fragt sich das vorlegende Gericht, ob eine nationale Rechtsvorschrift wie die im Ausgangsverfahren fragliche, nach der die Erlangung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Familienzusammenführung durch den Ehegatten eines türkischen Staatsangehörigen, der sich im Aufnahmemitgliedstaat rechtmäßig aufhält und dort arbeitet, eine bestandene Prüfung der Kenntnisse in der Sprache dieses Mitgliedstaats voraussetzt, eine "neue Beschränkung" im Sinne der Stillhalteklausel in Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 darstellt und ob bejahendenfalls eine solche Beschränkung durch den Zweck gerechtfertigt werden kann, eine gelungene Integration dieses Ehegatten zu gewährleisten. [...]

25 Als Zweites fragt sich das vorlegende Gericht, ob das in Art. 10 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 aufgestellte Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit einer nationalen Rechtsvorschrift wie der im Ausgangsverfahren fraglichen deswegen entgegensteht, weil sie weder für dänische Staatsangehörige noch für Staatsangehörige der Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) gelte. Diese Bestimmung betreffe ihrem Wortlaut nach das Arbeitsentgelt und die sonstigen Arbeitsbedingungen, also Bereiche, die von der im Ausgangsverfahren fraglichen nationalen Rechtsvorschrift nicht erfasst zu sein schienen.

26 Als Drittes möchte das vorlegende Gericht für den Fall, dass der Gerichtshof Art. 10 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 vorliegend für nicht anwendbar halten sollte, wissen, ob das allgemeine Diskriminierungsverbot, das in Art. 9 des Assoziierungsabkommens zum Ausdruck komme, anwendbar sei und ob diese Bestimmung bejahendenfalls einer nationalen Rechtsvorschrift wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehe.

27 Als Viertes fragt sich das vorlegende Gericht schließlich, ob diese Bestimmung unmittelbare Wirkung entfaltet und sich der Einzelne daher vor nationalen Gerichten unmittelbar auf sie berufen kann. [...]

47 Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 dahin auszulegen ist, dass eine nach dem Inkrafttreten dieses Beschlusses in dem betreffenden Mitgliedstaat eingeführte nationale Rechtsvorschrift, nach der die Familienzusammenführung zwischen einem türkischen Arbeitnehmer, der sich rechtmäßig in diesem Mitgliedstaat aufhält, und seinem Ehegatten an die Voraussetzung geknüpft wird, dass dieser Arbeitnehmer erfolgreich eine Prüfung ablegt, die Kenntnisse eines bestimmten Niveaus in der Amtssprache dieses Mitgliedstaats bescheinigt, eine "neue Beschränkung" im Sinne dieser Bestimmung darstellt. Eine solche Beschränkung kann nicht mit dem Ziel gerechtfertigt werden, eine erfolgreiche Integration dieses Ehegatten zu gewährleisten. Denn diese Rechtsvorschrift erlaubt den zuständigen Behörden weder die Berücksichtigung der eigenen Integrationsfähigkeit des Ehegatten noch anderer Faktoren als eine solche bestandene Prüfung, die die tatsächliche Integration dieses Arbeitnehmers in dem betreffenden Mitgliedstaat und damit seine Fähigkeit, seinem Ehegatten bei der Integration in diesen Mitgliedstaat zu helfen, belegen. [...]